«Eine solche Organisation soll kein Geld mehr von mir erhalten!» Diesen Gedanken hegen in den letzten Wochen viele Mitglieder der katholischen Kirche. Internetportale wie Austritt.ch oder Kirchenaustritt.ch vermelden eine stark erhöhte Nachfrage. Auch Leute aus ländlichen Gebieten und ältere Personen nähmen ihre Dienstleistung in Anspruch, das sei neu, sagte etwa Monika Büttler von Austritt.ch dem «Tages-Anzeiger».

Das Fass zum Überlaufen brachte eine Studie der Universität Zürich. Sie dokumentiert über 1000 Missbrauchsfälle seit 1950 und beschreibt, wie Kirchenobere diese verharmlosten, vertuschten und Täter schützten.

«Die ersten Rückmeldungen deuten auf einen deutlichen Anstieg bei den Austritten hin.»

Urs Brosi, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz

 

Schon zuvor hatte der Beobachter aufgedeckt, wie der Basler Bischof Felix Gmür einen Fall nicht wie vorgeschrieben nach Rom meldete und dem Täter sogar noch persönliche Daten des Opfers zukommen liess.

Die Kirche bestätigt den Mitglieder-Exodus. «Die ersten Rückmeldungen deuten auf einen deutlichen Anstieg bei den Austritten hin», sagt Urs Brosi, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ). Wie viele es sind, lasse sich noch nicht beziffern, da die Zahlen nur einmal jährlich flächendeckend erhoben würden.

Die Pfarreien und ihre Arbeit leiden

Klar ist hingegen, wer finanziell unter diesen Austritten am meisten leidet: Es sind nicht die Bischöfe. Es sind die Kirche und deren Dienstleistungen im eigenen Dorf oder Quartier. Von 2019 bis 2021 nahm die katholische Kirche im Schnitt pro Jahr rund 1,07 Milliarden Franken Steuern ein. Nicht ganz drei Viertel davon stammen von einfachen Mitgliedern, der Rest von der öffentlichen Hand und von Firmen. Letztere zahlen in allen Kantonen Kirchensteuern ausser im Aargau, in Basel-Stadt, Genf, St. Gallen, im Tessin und im Wallis. 

Gemäss RKZ-Generalsekretär Brosi sind die kirchlichen Strukturen in den Kantonen sehr unterschiedlich. Als Richtgrösse gilt: Etwa 85 Prozent der Kirchensteuern oder rund 910 Millionen Franken bleiben in den Pfarreien. Dort finanzieren sie die klassische Seelsorge wie etwa Gottesdienste oder Seelsorgegespräche, aber auch Jugend-, Familien- und Seniorenarbeit, soziale Dienste und kulturelle Anlässe.

Direkt nach Rom fliesst nichts

Rund 13 Prozent der Steuereinnahmen kommen für Aufgaben auf kantonaler Ebene zum Einsatz. Dazu zählt etwa die Seelsorge in Spitälern, Kliniken, Gefängnissen und Asylzentren sowie für spezifische Migrationsgruppen, Einrichtungen der Caritas oder Fachstellen etwa in der Jugendarbeit oder Erwachsenenbildung.

Ein Prozent der Kirchensteuern erhält die RKZ, die mit einem Teil davon, nämlich mit 2,3 Millionen Franken, die Bischofskonferenz finanziert.

Nur ein Prozent der Steuereinnahmen geht an die bischöflichen Ordinariate. Dieses Geld überweisen die kantonalen Landeskirchen an ihr jeweiliges Bistum. Direkt nach Rom fliesst nichts.

«Bischöfen den Geldhahn zudrehen»

Bei den Bistümern setzt auch die Zentralkonferenz an: In einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung» ermunterte RKZ-Präsidentin Renata Asal-Steger die Landeskirchen, den Bischöfen den Geldhahn zuzudrehen, solange sich die Machtstrukturen in der Kirche und die Art und Weise, wie mit Missbrauchsfällen umgegangen wird, nicht grundlegend ändern und das Pflichtzölibat besteht. Als erste Kirchgemeinde hat Adligenswil im Kanton Luzern Ernst gemacht: Der Kirchenrat hat beschlossen, dieses Geld vorläufig auf ein Sperrkonto einzuzahlen.

Wer den Bischöfen Beine machen will, tut das also wohl am effektivsten innerhalb der kirchlichen Strukturen. Dafür muss man allerdings Mitglied sein.