Jetzt können die Verantwortlichen der katholischen Kirche in der Schweiz nicht mehr zurück: Was Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich in einer Pilotstudie zum Thema Missbrauch im kirchlichen Umfeld zusammengetragen haben, ist bahnbrechend und erschreckend zugleich. Ob Bischöfe, Äbte, Pfarrer oder weltliche Vertreter der Kirche: Sie alle müssen der unbequemen Wahrheit ins Auge blicken, dass ihre Institution jahrzehntelang weggeschaut hat, wenn es um sexuellen Missbrauch ging.

Die erst am Wochenende bekannt gewordenen Vorwürfe, Schweizer Bischöfe hätten Missbrauchsfälle aktiv vertuscht und ein Bischof sei möglicherweise sogar selber sexuell übergriffig geworden, sind der beste Beweis dafür.

Weggeschaut und Akten vernichtet

1002 Fälle seit 1950 haben die Forschenden unter der Leitung der Geschichtsprofessorinnen Monika Dommann und Marietta Meier gefunden. Dabei gab es nicht einmal einen Aufruf an Opfer, sich zu melden. Die Belege für Missbräuche fanden sich in den Archiven der Bistümer und Ordensgemeinschaften.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, wie die Forschenden richtig feststellen. Es ist zu vermuten, dass viele Missbrauchsfälle gar nie an kirchliche Stellen gemeldet wurden. Und falls doch, konnten die Bischöfe jahrelang – im Einklang mit dem Kirchenrecht – nach einer bestimmten Zeit die Akten vernichten.

Die Bischöfe haben – auch das zeigt die Pilotstudie – über Jahre systematisch weggeschaut und die Opfer zum Schweigen gebracht.

Mit ihrer akribischen Arbeit haben die Forscherinnen die Erwartungen an die Pilotstudie bei weitem übertroffen. Sie geben den Opfern von sexuellen Missbräuchen im Umfeld der katholischen Kirche eine Stimme – und gleichzeitig die Hoffnung, dass nun das dunkle Kapitel endlich seriös aufgeklärt wird.

Das endlich zu tun, ist die Aufgabe der kirchlichen Würdenträger, allen voran der Bischöfe. Sie jedoch haben – auch das zeigt die Pilotstudie – über Jahre systematisch weggeschaut und die Opfer zum Schweigen gebracht. Um es kurz zu sagen: Sie haben versagt, zum Teil bis in die jüngste Zeit, wie der Beobachter aufdeckte.

Eine einmalige Chance

Wenn ihnen jetzt ihre jahrelange Ignoranz, Selbstherrlichkeit und Empathielosigkeit den Opfern gegenüber um die Ohren fliegt, dann sollten die Bischöfe, Ordensoberen und Priester dafür dankbar sein. Die akribische Pilotstudie und die nun folgende definitive Aufarbeitung bieten ihnen die einmalige Chance, ihren echten Willen zu Veränderung und Reue zu zeigen.

Wenn sie das tun – etwa durch die sofortige Schaffung einer wirklich unabhängigen Anlaufstelle für Opfer –, dann können sie in der Geschichte der katholischen Kirche in der Schweiz ein überfälliges neues Kapitel aufschlagen.