Immer mehr Männer sind Opfer
Die grösste Schweizer Fachstelle für Betroffene von Menschenhandel musste ihre achte Schutzwohnung eröffnen. Warum dies bitter nötig ist, erzählt eine Betreuerin.
Veröffentlicht am 31. März 2025 - 08:52 Uhr
Opfer von Menschenhandel leiden im Verborgenen.
Weil immer mehr Opfer von Menschenhandel in Schutzunterkünften untergebracht werden müssen, hat die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) eine achte Schutzwohnung eröffnet.
Insgesamt zehn Betreuerinnen kümmern sich um die Betroffenen, machen sogenannte psychosoziale Begleitung im Alltag. Eine davon ist Regula, die sich bereit erklärt hat, mit dem Beobachter zu sprechen. Wir anonymisieren sie hier – zum Schutz jener Personen, die sie betreut. Und zu ihrem eigenen.
«Manchmal ruft mitten in der Nacht die Polizei an.»
Regula, Betreuerin Schutzunterkünfte
«Der Alltag ist unvorhersehbar. Wir sind von acht Uhr morgens bis abends um acht in den Unterkünften. Die restliche Zeit sind wir auf Pikett, falls jemand aus der Wohngruppe ein akutes Problem hat, zum Beispiel eine Panikattacke oder einen gesundheitlichen Notfall. Manchmal ruft auch die Polizei mitten in der Nacht an, weil sie jemanden haben, der sofort in einer Schutzunterkunft untergebracht werden muss.
Die meisten unserer Klienten kommen auf diesem Weg zu uns. Andere werden von Beratungsstellen oder über das Gesundheitswesen an uns verwiesen. Manche finden uns im Internet und stehen plötzlich vor der Tür. Es kam aber auch schon vor, dass uns Freier angerufen haben, weil sie ein «ungutes Gefühl» hatten.
FIZ-Opferschutzprogramm Menschenhandel 2024 in Kürze
Viele der Betroffenen sind in einem sehr schlechten Zustand, wenn sie zu uns kommen. Psychisch, aber auch körperlich. Zudem gibt es manchmal Suchtmittelabhängigkeiten. Wir entscheiden dann, ob wir die Person direkt in die Schutzunterkunft aufnehmen können oder ob zuerst eine Einweisung ins Spital oder eine psychiatrische Einrichtung nötig ist, etwa wegen Suizidgefahr oder für einen Entzug.
Menschenhandel gibts in allen Tieflohnbranchen
Unsere Klientel ist sehr heterogen. Viele stellen sich beim Schlagwort Menschenhandel Sexarbeiterinnen vor. Menschenhandel kommt aber nicht nur im Sexgewerbe vor, sondern in allen Tieflohnbranchen, vom Bau über Nagelstudios und Gastronomie bis hin zu Pflege, Reinigungsgewerbe und Privathaushalten. Wir stellen fest, dass die Zuweisung von Männern und trans Personen zunimmt.
Wir haben relativ wenig Regeln in den Unterkünften. Toleranz ist ein Muss. Drogen inklusive Alkohol sind nicht erlaubt. Besonders wichtig sind die Sicherheitsregeln. Die Täterschaft darf auf keinen Fall herausfinden, wo ihre Opfer untergebracht sind. Denn sie wissen, dass die Betroffenen gegen sie aussagen können.
Velofahren, um den Kopf frei zu machen
Wir sehen jeden Tag die Abgründe unserer Gesellschaft. Natürlich haben wir auch Supervision, können jederzeit psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, sollte es zu viel werden. Aber ich habe auch meine eigenen Strategien: Ich frage zum Beispiel meine Klienten nie, was sie genau erlebt haben. Und ich fahre jeden Tag zwei Stunden mit dem Velo. Das hilft mir, den Kopf frei zu machen.
Besonders belastend ist es, wenn wir Betroffene, die sich entschlossen haben, gegen ihre Peiniger auszusagen, zur Einvernahme begleiten. Die Polizei muss genau nachfragen, jedes Detail kann wichtig sein. Ich versuche jeweils, mich vorher zu wappnen, achte darauf, dass ich genügend geschlafen habe. Und ich gehe vorher wenn möglich in den Wald. Das beruhigt mich und gibt mir Kraft. Und zu sehen, wie unsere Klientinnen und Klienten ihr Leben zurückerobern, ihre Selbstbestimmung, ihren Lebensmut, ist wunderschön.»
Menschenhandel: Hier gibt es Hilfe
- Gesetzesgrundlage: Opferhilfegesetz
- Bundesamt für Polizei Fedpol: Menschenhandel ist moderne Sklaverei
- Website: Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ)
- FIZ: Medienmitteilung Jahreszahlen
- FIZ: Begleittext Jahreszahlen
1 Kommentar
Und dies im 21. Jahrhundert! Die Welt ist schon schlimm geworden, resp. die Menschen! Ich weiss, war sie schon immer, aber wir sind doch nicht mehr im Mittelalter….?