Gleissendes Licht. Drückende Hitze. In der Luft der Duft nach Joint. In einer ehemaligen Teigwarenfabrik in Kradolf-Schönenberg TG züchtet Mike Toniolo Cannabis-Setzlinge. In den grossen Hallen sind Hunderte Lampen auf die zarten Pflänzchen gerichtet. «Wenn unsere Pflanzen blühen, riecht man es im ganzen Dorf.»

Der gelernte Landschaftsgärtner und Mitinhaber der Firma The Botanicals hat grosse Pläne mit dem «Kraut mit der besonderen Genetik», wie er es nennt. Er will Cannabis-Präparate für die Medizin entwickeln. Das Cannabis aus dem Thurgau hat weniger als ein Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) – für einen Rausch viel zu wenig. Dafür enthält es bis zu 23 Prozent Cannabidiol (CBD): ein Stoff, der beruhigt, aber nicht berauscht.

Der Grenzwert wurde stark erhöht

Cannabis mit einem THC-Gehalt von unter einem Prozent ist in der Schweiz seit 2011 legal. Zuvor lag der Grenzwert bei 0,3 Prozent. «Diesen Wert konnten die Produzenten fast nicht einhalten, zu gross sind die natürlichen Schwankungen», erklärt Markus Jann, Leiter Sektion Drogen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Erst seit dem höheren Grenzwert blühe der industrielle Hanfanbau auf.

Gleichzeitig züchteten die Hanfbauern Pflanzen mit einem höheren Gehalt an CBD, das als «Wundermittel» gehandelt wird. Der Erfolg von CBD geht auf eine amerikanische Geschichte zurück: Charlotte Figi, ein Kind mit Epilepsie, wurde mit CBD-Öl behandelt. Seither soll sie von Anfällen praktisch verschont geblieben sein.

Inzwischen weiss man, dass CBD nicht nur bei Epilepsie helfen kann, sondern auch bei Angstzuständen und Schmerzen. Die Forschung steht allerdings noch am Anfang. Es mangelt an klinischen Studien, das Interesse galt bisher vor allem dem THC.


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Die Firma The Botanicals vertreibt Blüten und Cannabis-Extrakt als Rohstoff an CBD-Shops. Solche Shops gibt es in jeder grossen Schweizer Stadt, aber auch in Brig, Einsiedeln, Erstfeld oder Herisau. Für Toniolo ist es ein einträgliches Nebengeschäft. «Damit wird unsere medizinische Forschung querfinanziert.» Die Shops verkaufen Tropfen aus CBD, Pulver, Pasten oder Joints – fixfertig gedreht und nach Hause geliefert.

Das Bundesamt für Gesundheit und die Heilmittelkontrolle Swissmedic haben auf den Boom reagiert und diesen Frühling eine Wegleitung erarbeitet. Ihre Botschaft: Die Shops dürfen keine Heilversprechen abgeben. Als Arzneimittel ist die Substanz nur unter strengsten Bedingungen zugelassen.

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«Meine Grossmutter schläft besser»

In einem Hanfladen in Zürich erzählt ein junger Verkäufer gerade von seinen Erfahrungen mit CBD. «Meiner Grossmutter habe ich das Öl gebracht. Seither schläft sie besser und mag wieder essen.» Der Mitarbeiter, Typ braungebrannter Surfer mit verkehrt herum getragener Baseballmütze, raucht die Blüten nach der Arbeit selber ab und zu. Es beruhige ihn.

Ein Kunde um die 50 in Turnschuhen und kurzer Hose betritt den Shop. Er habe jahrelang sehr viel Sport getrieben und leide unter Arthrose, sagt er. Vielleicht helfe ihm CBD. «Möglich», sagt der Verkäufer, nur leider dürfe er nichts dazu sagen. «Aber informieren Sie sich ruhig online.» Der Sportler kauft ein Fläschchen mit zehn Milliliter CBD-Öl. Kostenpunkt: knapp 50 Franken.

Die Produkte sind relativ teuer. Die Schwachstromblüten kosten etwa so viel wie das verbotene Cannabis, das viel THC enthält. Vier bis fünf Gramm CBD-Blüten sind für etwa 50 Franken zu haben. «Unter den Kunden hat es aber auch Kiffer, die den Ausstieg suchen», sagt der Verkäufer. «Sie vertragen den Rausch nicht mehr, wollen jedoch nicht auf das Ritual des Joint-Rauchens verzichten.»

Nicht psychoaktiv, das Cannaboidsystem im Körper, mildernde Wirkung und vom Arzt verschrieben: 4 Facts zu Cannabidiol

Der nächste Kunde allerdings sucht genau dieses berauschende Erlebnis. «Kann man hier auch ganz normale Wiese kaufen?», fragt ein Mann mittleren Alters mit schleppender Stimme. Es klingt, als hätte er bereits ein paar Joints intus. Er will echtes Gras, solches mit anständig viel THC. Der Verkäufer winkt ab, erklärt das Sortiment. Es komme hin und wieder vor, dass Leute nach «echtem» Cannabis fragen, erzählt er nachher.

Apotheker mit Ausnahmebewilligung

Hippie’s Disappointment, Hippies Enttäuschung, wird der CBD-Hanf auch genannt. Man kann sich fragen: Warum soll man Cannabis konsumieren, das nicht berauscht? Wer sind die Konsumenten? Erhärtete Daten gebe es noch keine, sagt Monique Portner-Helfer von Sucht Schweiz. Sie geht von drei Typen aus:

  • Neugierigen, die das CBD ausprobieren,
  • Haschrauchern, die die Wirkung des «neuen Cannabis» testen,
  • und Patienten, die sich eine therapeutische Wirkung versprechen.


Tatsächlich wird die Substanz auf legaler Basis auch als rezeptpflichtiges Medikament verkauft. Ärzte dürfen CBD allerdings nur unter strengen Auflagen als Medikament verschreiben. Und die CBD-Lösungen können ausschliesslich über die Bahnhof-Apotheke in Langnau im Emmental bezogen werden. Apotheker Manfred Fankhauser besitzt als Einziger eine Ausnahmebewilligung des Berner Kantonsapothekers.

Fankhauser ist als «Cannabis-Apotheker der Schweiz» bekannt. Seit vielen Jahren arbeitet er auch mit THC-Extrakten, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden. Er selber hat nie Cannabis geraucht. Die CBD-Tropfen habe er aber «interessehalber» probiert, dabei jedoch nichts gespürt. «Es braucht eine relativ hohe Dosis, damit man etwas merkt.»

«Ich kenne kaum Medikamente, die ein so breites Anwendungsspektrum haben wie THC und CBD.» 

 

Manfred Fankhauser, Leiter der Bahnhof-Apotheke in Langnau BE, der einzigen Apotheke der Schweiz, die THC und CBD abgeben darf.

Er wolle keine Lifestyleprodukte verkaufen, sondern Medikamente mit CBD-Wirkstoff, sagt Fankhauser. Die aktuelle Situation hält er für absurd: «In den Läden sind die Produkte frei verkäuflich. Bei uns bekommt man CBD nicht oder nur unter strengen Auflagen.» Viele Patienten verstünden das nicht. Der Apotheker erhält auch Anrufe von Kunden, die in einem CBD-Shop vor dem Regal stehen. «Sie wollen wissen, was sie kaufen sollen. Darauf gebe ich aber keine Antwort; das wäre unseriös.»

Wenigstens wisse man, dass Cannabidiol «relativ untoxisch» sei, sagt Fankhauser – vor allem in den niedrigen Dosierungen, die man im Shop kaufen kann. Der Emmentaler Apotheker ist überzeugt, dass bei den frei erhältlichen Tinkturen, Pasten oder Blüten vor allem der Placeboeffekt spielt. «Der Hype wird schnell wieder abflauen», sagt er. «In ein, zwei Jahren flacht das wieder ab.»

Stossend findet er, dass seine Produkte in der Apotheke hohe qualitative Anforderungen erfüllen müssen, während in den Läden kaum kontrolliert werde. Die Shops verkaufen die Blüten als «Tabakersatzstoffe» oder als «Rohstoffe». Auf Tabakersatzstoffe wird die Tabaksteuer fällig. Produkte wie Tinkturen oder Pasten mit CBD werden mitunter als «Chemikalien» deklariert. Auf der Verpackung findet sich dann der Hinweis, sie seien nicht zu konsumieren. Damit geben die Verkäufer die Verantwortung an die Kunden weiter.

«Wildwuchs» im Hanfgeschäft

Die Produkte in den CBD-Shops würden «punktuell» kontrolliert, sagt Markus Jann vom BAG. Zuständig seien in erster Linie kantonale Behörden wie Kantonschemiker oder Lebensmittelinspektoren. «Für systematische Kontrollen ist das Geschäft noch zu jung. Es hat sich unheimlich schnell entwickelt.» Es fehle das Personal, um alle Läden zu überprüfen. Jann spricht von einem gewissen «Wildwuchs» in der Szene. «Das ist bei einem neuen Produkt aber nicht ungewöhnlich.»

«Wenn es gelingt, im grossen Stil Cannabis mit sehr tiefem THC-Gehalt zu produzieren, könnte sich der Anbau zu einem Milliardengeschäft entwickeln.»

 

Markus Jann, Drogenexperte beim Bundesamt für Gesundheit

Der Drogenexperte glaubt nicht, dass der Wirbel um CBD bald abnimmt. «Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Wenn es gelingt, im grossen Stil Cannabis mit sehr tiefem THC-Gehalt zu produzieren, könnte sich der Anbau zu einem Milliardengeschäft entwickeln», glaubt er. «In unseren Nachbarländern gilt eine THC-Obergrenze von 0,2 Prozent.» Der Export werde interessant, sobald andere Länder den Grenzwert anheben.

Kritiker befürchten, dass fehlende Kontrollen in den Shops die Inhaber dazu verleiten könnten, auch berauschendes Gras zu verkaufen. Doch darauf hat die Stadtpolizei Zürich keine Hinweise. «Bisherige Kontrollen verliefen alle negativ», sagt eine Sprecherin auf Anfrage.

Jeder wird gebüsst

Für die Polizisten entsteht mit dem neuen Hanf aber ein neues Problem: Der CBD-Hanf riecht wie THC-Hanf und sieht auch so aus. Wer mit dem einen oder dem anderen kontrolliert wird, bekommt in Zürich eine Busse von 100 Franken.

Der Betroffene kann zwar eine aufwendige Analyse im Labor des Forensischen Instituts verlangen. Wenn es sich bei der beschlagnahmten Ware um CBD-Hanf handelt, geht sie zurück an den Besitzer, und die Kosten für die Analyse trägt der Steuerzahler. Ist der THC-Wert zu hoch, muss der Konsument die Kosten übernehmen. An der Entwicklung eines günstigen Schnelltests wird noch gearbeitet.

Viele Shops, die CBD-Hanf verkaufen, distanzieren sich demonstrativ von der Kifferszene. Die Hanftheken sind eingerichtet wie Apotheken, mit weissen Wänden, weissen Regalen und Personal in Weiss. Und wer selber Blüten anbaut oder Extrakte herstellt, betont, dass dies biologisch, ohne Pestizide und hygienisch einwandfrei geschehe.

Auch Mike Toniolo betont, wie streng kontrolliert die ganze Produktionskette sei. Gute Kontrollen sind mittlerweile auch am Firmensitz in Kradolf-Schönenberg nötig, denn Cannabis weckt Begehrlichkeiten. Nachdem kürzlich Unbekannte einen Einbruchsversuch unternommen haben, investiert man nun in verschärfte Sicherheitsmassnahmen.

4 Facts zu Cannabidiol

Wer das Wort «Hanf» hört, denkt an THC

In einer Hanfpflanze finden sich mehr als 80 verschiedene Cannabinoide und Hunderte von anderen Wirkstoffen.

Die bekanntesten Cannabinoide sind das berauschende Tetrahydrocannabinol (THC) und das lange vernachlässigte Cannabidiol (CBD), das nicht psychoaktiv wirkt.

Deshalb unterliegt es auch nicht dem Betäubungsmittelgesetz.

 

Unser Cannabinoidsystem

Sowohl THC wie CBD wirken auf unser Cannabinoidsystem. Wie ist noch nicht ganz erforscht. Es soll den Körper vor Stress schützen und bei der Abwehr von Krankheiten helfen.

Die Andockstellen für körpereigene und zugeführte Cannabinoide sind über den ganzen Körper verteilt, befinden sich aber vorwiegend im Nerven-, im Verdauungs- und im Abwehrsystem. 

 

CBD mildert die Wirkung von THC

Kiffer sind froh, wenn sie Gras mit einem möglichst tiefen CBD-Gehalt erwischen. Denn CBD kann zwar gewisse Wirkungsweisen von THC unterstützen, andere aber mildert es.

Will heissen: Wenn das Gras viel CBD enthält, muss man für den gleichen Rausch mehr rauchen.

Für Patienten, die aus medizinischen Gründen THC einnehmen, ist viel CBD hingegen ein Vorteil. Sie können mehr THC konsumieren, ohne beeinträchtigt zu sein.

 

Wem CBD verschrieben wird

Rund 500 Patienten in der Schweiz profitierten in den letzten Jahren von Cannabidiol. Epileptiker dürfen die Substanz mit einem Arztrezept beziehen.

Menschen, die an einer Angststörung oder an Morbus Crohn leiden, zählen auch zu den Patienten – allerdings will der Bund deren anonymisierte Daten, um einen Überblick zu bekommen.

In der Schweiz ist bisher ein Medikament auf dem Markt, das neben THC auch CBD enthält. Savitex soll gegen Spastik bei MS-Patienten helfen und kann mit einem Betäubungsmittelrezept bezogen werden.

Hanftheke

Die Hanftheken sind eingerichtet wie Apotheken, mit weissen Wänden, weissen Regalen und Personal in Weiss.

Quelle: Heiko Hoffmann
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