Midlife-Crisis – es könnte mitten auf seiner Stirn stehen. Lester Burnham ist 42 und gelangweilt. Vom Job, von der Familie, vom Leben. «In gewisser Weise bin ich bereits tot», sagt er und duscht im Selbstmitleid. Doch dann nimmt sein trauriges Leben eine glückliche Wendung – mit Angela, einer minderjährigen Cheerleaderin. Er verliebt sich, fühlt sich wieder jung. Schmeisst den Job hin, raucht Gras, trainiert in der Garage und kauft einen Sportwagen.

Auch wer den Antihelden aus dem preisgekrönten Film «American Beauty» (1999) nicht kennt, hat vielleicht schon über einen Lester gelästert. Über verzweifelte Flirtversuche, gebleichte Zähne oder einen Solarium-Teint. Im Alltag ist die Midlife-Crisis zum Klischee geworden. Zum Schimpfwort, das meist Männer trifft. In der Wissenschaft wird seit Jahrzehnten debattiert, ob die Krise überhaupt existiert. Was also steckt dahinter?

Zeitreise ins London der 1950er-Jahre. Psychoanalytiker Elliott Jaques beobachtete bei vielen Patienten eine mehrjährige depressive Phase. Die Männer, alle Mitte 30, konnten ihr Leben nicht mehr geniessen. Sie waren unsicher und unzufrieden. Einige sorgten sich stark um Gesundheit und Aussehen, andere wurden religiös oder sexuell freizügig. Für Jaques stand fest: Der Auslöser war ihr Alter, die Mitte des Lebens. Viele Wünsche blieben unerfüllt, die Möglichkeiten schwanden. Der Tod wurde plötzlich konkret, weil er vielleicht die Eltern traf. Besonders ausführlich schilderte Jaques die Leiden eines 36-Jährigen – seine eigenen, wie er später zugab. Der Vortrag trug den Titel «The Mid Life Crisis».

Brettspiele und T-Shirts

Als betroffen galten Männer aus der Mittel- und Oberschicht. Sie hatten Zeit, sich mit Sorgen auseinanderzusetzen, und Geld, sich davon abzulenken. Bei Frauen ging man von einer eigenen Zeitrechnung aus. Zugespitzt: Zunächst kam die Erziehung der Kinder, dann die Menopause. Erst die amerikanische Journalistin Gail Sheehy befragte in den 1970ern beide Geschlechter. Ihr Sachbuch «In der Mitte des Lebens» wurde zum Bestseller, die Midlife-Crisis zum Massenphänomen. Bald gab es bedruckte T-Shirts, ja sogar Brettspiele.

Doch auch kritische Stimmen wurden laut, und sie sind es bis heute geblieben. Der Begriff werde inflationär verwendet, bemängeln sie. Ist die Beziehung mit 40 weniger aufregend? Midlife-Crisis. Langweilen sich Angestellte nach 20 Jahren im Job? Midlife-Crisis. 2009 gaben neun von zehn Schweizerinnen in einer Befragung der Uni Zürich an, dass sie an die Existenz der Midlife-Crisis glauben. 70 Prozent sagten, sie kennen Betroffene. Damit bestätigen sie den Eindruck der Kritikerinnen: Die Midlife-Crisis wird vorschnell über jedes Problem gestülpt, das im mittleren Erwachsenenalter auftritt.

Dabei handelt es sich weder um einen medizinischen Fachbegriff noch um ein anerkanntes Krankheitsbild. «Alltagsbegriffe und Fachdiagnosen dürfen nicht vermischt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass etwa eine Depression oder ein Burn-out als vorübergehende Phase bagatellisiert werden», sagt Pasqualina Perrig-Chiello.

Die Entwicklungspsychologin ist auf das mittlere Erwachsenenalter spezialisiert, das in der Forschung lange vernachlässigt wurde. Die hitzige Debatte um den Begriff hält sie für einen Sturm im Wasserglas. Wichtiger sei das Phänomen an sich: «Die Krise gibt es sicher nicht. Aber das Alter zwischen 40 und 60 ist eine sehr krisenanfällige Zeit, das gilt inzwischen als bewiesen.»

«Es ist kein Zufall, dass Menschen bei einer Scheidung oft Ende 40 sind.»

Pasqualina Perrig-Chiello, Psychologin

Im Jahr 2008 befragten englische Forschende zwei Millionen Menschen in über 80 Ländern zu ihrem Befinden. Dabei zeigte sich: 40- bis 50-Jährige sind am wenigsten zufrieden. Das Risiko einer Depression steigt in dieser Zeit signifikant – unabhängig von Geschlecht, Einkommen und Familienstand. Danach geht es aber wieder bergauf: 70-Jährige sind im Durchschnitt genauso zufrieden wie 20-Jährige. Die Wissenschaft spricht von einer U-Kurve des Glücks. Die Studie wurde mehrfach wiederholt und bestätigt.

Hormonspiegel verändert sich

Doch weshalb löst das mittlere Erwachsenenalter so viel Unbehagen aus? «Wie bei der Pubertät handelt es sich um eine Übergangsphase mit vielen Veränderungen», sagt Perrig-Chiello. Plötzlich schmerzt der Rücken, wächst der Bauch, ergrauen die Haare. Bei Frauen sinkt das Östrogen, bei Männern das Testosteron. Einige Paare leiden, weil die Kinder ausziehen, andere realisieren, dass Zeit für eine neue Liebe bleibt.

«Es ist kein Zufall, dass Menschen bei einer Scheidung oft Ende 40 sind», sagt die Entwicklungspsychologin. Und damit hören die Turbulenzen nicht auf: «Beruflich folgt auf eine intensive Phase häufig die langsame Degradierung zur Problemgruppe 50 plus. Privat befinden sich vor allem Frauen in einer familialen ‹Sandwich-Position›: Sie müssen sich gleichzeitig um Kinder und Eltern kümmern.» Das alles sei mit viel Stress verbunden.

Der löst aber längst nicht bei allen eine Krise aus. Die meisten kriegen trotz Rückschlägen die Kurve. Krisenanfällig sind Menschen, die stark auf Routinen bedacht sind und Angst vor Veränderungen haben. Ob der Rückschlag in einer Depression endet, entscheidet auch das soziale Netzwerk: Befassen sich Betroffene mit ihren Problemen? Sprechen sie darüber? Bekommen sie Unterstützung?

«Leider haben gesellschaftliche Rollenbilder noch immer einen starken Einfluss. Frauen haben in der Regel ein starkes Beziehungsnetz. Sie sprechen früher und vermehrt über Probleme und holen sich Hilfe», sagt Perrig-Chiello.

Übergang als Chance

Bei Männern äussere sich Überlastung eher nach aussen: Sie reagieren sich mit Sport ab, trinken Alkohol, sind gereizt. Oder sie überkompensieren die innere Unsicherheit. «Es geht mir gut!», zeigen Lester Burnhams Auto, die Muskeln, die Drogen. Klar: Der Film spielt mit Klischees. Aber sie haben einen wahren Kern.

Wie kommt man da wieder raus? Die Forschung kennt ein Zauberwort: Selbstverantwortung. Es hilft nichts, die Krise als unabdingbares Schicksal zu sehen, das erduldet werden muss. Wer mit dem Leben nicht zufrieden ist, sollte sich trennen, eine Weiterbildung starten, Träume verwirklichen. «Ein Übergang ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance: innehalten, loslassen, neu definieren», sagt Perrig-Chiello. Resilienz werde einem nicht in die Wiege gelegt, sondern wachse aufgrund von Widerständen.

Wenn die Kraft für eine Veränderung fehlt, kann ein Gespräch ein guter erster Schritt sein. Mit einer Freundin oder einer Therapeutin, einem Arbeitskollegen oder einem Laufbahnberater. Es lohnt sich – schliesslich bleiben noch 15 bis 20 Jahre im Job, Jahrzehnte in der Beziehung.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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