Wenn es eine Zahl gibt, die die Schweiz als Land des öffentlichen Verkehrs definiert, dann diese: 494'058. So viele Generalabonnemente waren Ende September 2018 im Umlauf. Jeder 17. Einwohner fährt so oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dass sich ein GA lohnt. 

Den Managern bereitet diese Zahl aber Kopfweh. «Gegenüber dem restlichen ÖV-Sortiment ist der GA-Preis verhältnismässig tief beziehungsweise das Preis-Leistungs-Verhältnis zu gut», heisst es in einem internen Dokument von CH-Direct, einem Zusammenschluss von rund 250 Transportunternehmen.

Das Papier datiert vom 6. März 2019 und liegt dem Beobachter vor – sehr zum Unmut der Verantwortlichen. (Erste Reaktionen von Umweltverbänden, Parteien und den SBB lesen Sie hier.) Es ist eine Vorlage für die Sitzung des Strategischen Ausschusses von CH-Direct. Darin sitzen die Grössen der Branche, etwa SBB, BLS, Zürcher Verkehrsverbund und Postauto.

Vier Massnahmen gegen unrentable Vielfahrer

Die Pläne sind brisant. Am Erfolgsmodell Generalabonnement soll zwar nicht grundsätzlich gerüttelt, aber doch heftig geschraubt werden – preislich nach oben.

Dabei hat man vor allem die «Heavy User» im Visier, die ihr GA unter Umständen schon nach wenigen Monaten amortisiert haben. Sie generieren pro gefahrenen Kilometer bloss einen Erlös von 13,8 Rappen in der zweiten und 19,2 Rappen in der ersten Klasse – zu wenig für die Transportunternehmen.

Diesem Problem wollen die ÖV-Manager nun zu Leibe rücken, unter anderem mit diesen Massnahmen:

  • Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2021 soll das GA satte 10 Prozent teurer werden. Statt wie heute 3860 Franken würde dann ein Jahresabo 4250 Franken kosten. Zum Vergleich: 1990 bezahlte man für ein GA noch 2150 Franken. Seither betrug die allgemeine Teuerung 31 Prozentpunkte. Das GA wurde jedoch um 79 Prozent teurer. Mit dem geplanten Aufschlag würde sich der Preis gegenüber 1990 verdoppeln.
  • Die Möglichkeit, das GA für bis zu 30 Tage zu hinterlegen – etwa wegen eines Ferienaufenthalts –, soll gestrichen werden.
  • Zur Diskussion steht auch eine Abschaffung der beliebten Gemeinde-Tageskarten per Dezember 2020.
  • Am härtesten trifft es nach der Absicht der ÖV-Manager Studierende über 25. Sie profitieren bisher bis zum 30. Altersjahr von einem Junioren-GA und bezahlen damit nur 2650 Franken. Damit soll ab Ende Jahr Schluss sein: Die 26'000 Studierenden mit Junioren-GA sollen dann den vollen Preis von 3860 Franken bezahlen. Das bedeutet eine Preiserhöhung um satte 45 Prozent.

Bei CH-Direct hätte man die brisanten Pläne gern noch etwas für sich behalten. «Aktuell gibt es keinen Entscheid, die GA-Preise zu erhöhen», lässt man verlauten. Die Überlegungen dazu sind aber, zumindest was die Abschaffung des Junior-GAs für Studierende über 25 angeht, offenbar sehr weit gediehen: «Neu sollen alle 25-Jährigen einen Rabatt von 500 Franken beim GA erhalten im Übergang zwischen GA Jugend und GA Erwachsene. Dieser Rabatt ersetzt den heutigen Sonderrabatt für Studierende zwischen 25 und 30 Jahren.»

Die Pläne von CH-Direct

Ein Auszug aus dem internen Papier von CH-Direct

Kein Studenten-GA und keine Gemeinde-Tageskarten mehr: Ein Ausschnitt aus dem internen Papier von CH-Direct. Er zeigt, wie man die Rentabilität des Bahnverkehrs steigern will.

Quelle: ZVG

GA soll 10 Prozent teurer werden

Auszug aus dem internen Dokument von CH-Direct.

Ein weiterer Auszug aus dem internen Strategiedokument: Die Preiserhöhung von 10 Prozent beim GA soll in einem Schritt vollzogen werden, um «negative Kunden- und Pressereaktionen zu bündeln».

Quelle: ZVG
Auch das «Gleis 7» ist weg

Bei den Betroffenen lösen die Pläne Konsternation aus. Mit der Abschaffung des beliebten «Gleis 7» mussten Jugendliche ohnehin eben erst eine massive Preissteigerung hinnehmen, sagt Nino Wilkins, Co-Präsident des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS). «Nur weil man 26 wird, ist man als Studierende Studium Wer soll das bezahlen? nicht plötzlich reich.» Es gebe durchaus Gründe, dass jemand über dieses Alter hinaus an der Uni oder ETH sei. «Wer während des Studiums Kinder bekommt oder länger Militärdienst leistet, braucht halt unter Umständen ein paar Semester mehr.» Es könne auch vorkommen, dass man an mehreren Hochschulen in der Schweiz Kurse belege: «Da ist man extrem froh um ein vergünstigtes GA.»

Die Pläne der Transportunternehmen irritieren auch Preisüberwacher Stefan Meierhans. Er weiss offiziell noch nichts davon, hat aber generelle Vorbehalte: «Die Kostenschere zwischen dem Individual- und dem öffentlichen Verkehr geht immer weiter auf», sagt er. Sprich: Der Kluge fährt nicht Zug, sondern Auto, weil das im Vergleich mit dem öffentlichen Verkehr immer billiger wird.
 

«Plötzlich setzen sich viele wieder ins Auto statt in den Zug. Das kann wohl nicht die Absicht sein.» 

Edith Graf-Litscher, SP-Nationalrätin


Meierhans sagt, es seien die grossen Verkehrsverbünde, die nach höheren Tarifen rufen. Weil bei ihnen die Netze ausgedehnt werden, steigen die Preise. Somit ist es für immer mehr ÖV-Benutzer attraktiver, ein GA zu kaufen – und die Verkehrsverbünde machen Druck, dass sie über einen höheren GA-Tarif ÖV Kein Halbtax mehr, dafür ein teureres GA? trotzdem auf ihre Rechnung kommen.

Die SBB als wichtigste Akteurin hätten diesem Druck lange standgehalten, sagt Meierhans. «Aber jetzt ist der Burgfrieden in der Branche mit ihren vielen verschiedenen Akteuren offenbar wichtiger als die Interessen der Kunden.»

Kommission will Klarheit

Dass Vielfahrer stärker zur Kasse gebeten werden, stösst auch Edith Graf-Litscher sauer auf. Die SP-Nationalrätin und Gewerkschaftssekretärin des Eisenbahnpersonalverbands befürchtet, dass sich bei einer Preiserhöhung viele wieder ins Auto statt in den Zug setzen. «Das kann wohl nicht die Absicht sein.» 

Im Parlament erfahre man meist erst sehr spät, wenn im ÖV wieder Preiserhöhungen anstünden, moniert Graf-Litscher. Nun will die Präsidentin der nationalrätlichen Verkehrskommission Gegensteuer geben. «Ich werde das Thema für eine der nächsten Kommissionssitzungen traktandieren. Dann möchte ich gern von den Transportunternehmen Auskunft bekommen, was sie effektiv planen.»

Reaktionen zu den Preiserhöhungen

Die Reaktionen auf die Pläne, das GA zu verteuern, fallen heftig aus. Kritik kommt nicht nur aus Umweltkreisen.

Laut den Pendlervertretern Pro Bahn werden mit diesen Massnahmen genau die «treusten Kunden» bestraft. Kritik übt auch VCS-Geschäftsführer Andres Gautschi. Er sei entsetzt über diese massiven Preissteigerungen, sagte er gegenüber dem Onlinemedium nau.ch. Rechne man dazu, dass das GA nicht mehr hinterlegt werden könne, belaufe sich die Preissteigerung faktisch auf 19 Prozent, übersteige die allgemeine Teuerung bei weitem und mache das Autofahren eindeutig attraktiver. Ein Trend, der gerade in Zeiten des Klimawandels umgekehrt sein müsse.
 
Auch die SBB haben Stellung genommen. Die Branche prüfe bei der Preis- und Sortimentsstrategie viele mögliche Massnahmen. Beschlüsse seien noch keine gefallen. «Die SBB setzen sich für stabile und möglichst sinkende Preise ein», schreibt das Bahnunternehmen in einer Pressemitteilung.  Zudem seien 2018 via Sparbillete Preissenkungen im Umfang von 80 Millionen Franken umgesetzt worden. 2019 seien für die Verbesserung des Preis-Leistungsverhältnisses rund 230 Millionen Franken vorgesehen, darunter Sparbillete um Umfang von mehr als 100 Millionen Franken. 
 
Gegen die Ideen der Transportunternehmen regt sich auch politischer Widerstand. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Pläne reichte der grüne Nationalrat Michael Töngi eine Interpellation ein. Und die Jungen Grünen haben eine Online-Petition lanciert, mit der sie die Pläne vereiteln wollen.

Gemeinde-Tageskarten und Studenten-GA bleiben vorerst

Die Veröffentlichung der geplanten Sparmassnahmen hatten ein grosses Echo ausgelöst. Jetzt krebst die ÖV-Organisation CH-Direct Schritt für Schritt zurück. Nachdem sie schon im Mai bekannt gab, das GA «Junior für Studierende» vorerst nicht abzuschaffen, lenkt sie nun auch bei den Gemeinde-Tageskarten ein: «Die ÖV-Branche führt aktuell konstruktive Gespräche mit dem Gemeindeverband, wie die Gemeinde-Tageskarte weiterentwickelt werden kann», sagt CH-direct-Sprecherin Sabine Krähenbühl dem Beobachter. Auch andere Massnahmen aus dem Ideenpapier seien noch keineswegs beschlossen.

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