Ekstase
Komiker Patrick «Karpi» Karpiczenko bewertet alles Mögliche mit bis zu fünf Sternen. Diesmal: ein irres Gefühl!
Veröffentlicht am 20. Mai 2025 - 15:20 Uhr
Ich kenne Ekstase in erster Linie als Zuschauer. Für Nervenkitzel und Extremsituationen mache ich mir schlichtweg zu viele Sorgen. Was nicht heisst, dass ich nicht gern anderen beim Kontrollverlust zusehe – habe schliesslich meine halbe Jugend damit verbracht.
Persönlich meide ich die Aufregung lieber. Wenn ich meinen Alltag aufpeppen will, gehe ich nicht Bungee springen, sondern probiere ein neues Joghurt aus. Eins mit Stückchen!
Ich lebe in meinen Kopf
Bei so einem Lebensentwurf überrascht es niemanden, dass ich Autor geworden bin. Wir Schreiberlinge sind die Trockenschwimmer der Gesellschaft. Ich lebe in meinem Kopf – weiss alles besser und mache trotzdem nichts.
Und selbst wenn ich mich mal überwinde oder – gottbewahre! – von einem wohlwollenden Menschen aus dem Haus gezerrt werde, bereue ich es sofort.
Sinnkrise auf der Achterbahn
Als Kind wurde ich auf Achterbahnen stets melancholisch. Während meine Freunde jauchzend durch die Luft flogen, wurde mir beim Sturzflug die Flüchtigkeit des Augenblicks bewusst.Während mir der Wind durch die Haare wehte, bekam ich eine Sinnkrise: Was bedeutet Spass, wenn er schneller vorbei ist, als man ihn wahrnehmen kann? Ist Ekstase bloss eine Flucht vor unserer jämmerlichen Existenz? Mit düsterem Blick und Regenwolke über dem Kopf stieg ich aus dem Wagen.
«Der einzige Grund, der für Ekstase spricht, ist das Sammeln von Anekdoten.»
Denn Ekstase ist anstrengend und schlägt auf die Verdauung. Wenn das Adrenalin erst mal im Körper ist, lässt es sich nur noch schwer wieder loswerden. Die überschwänglichen Emotionen lähmen meinen inneren Kritiker und lassen mich leichtfertig Freundschaften schliessen, die mich im schlimmsten Fall ein Leben lang begleiten. Da verbringe ich meine Freizeit lieber vor der Tapete mit einem Buch.
Der einzige Grund, der für Ekstase spricht, ist das Sammeln von Anekdoten. Irgendwo muss das Material für meine Texte ja herkommen. In solchen Fällen kämpfe ich mich tapfer durch die Realität – für die Kunst! Doch danach kehre ich sofort in meine Höhle zurück, zum Joghurt mit den Stückchen.
Aber woher kommt dieses Angsthasentum? Bin ich über die Jahre so geworden, oder liegt der Schiss bei mir bereits in den Genen? Und werde ich ihn meiner vierjährigen Tochter mal vererben?
«Nie wieder, Papa»
Als wir letzthin mit ihr auf der Chilbi waren, wollte sie unbedingt auf die riesige Eisrutsche. Obwohl sie noch zwei Jahre zu jung und zehn Zentimeter zu kurz war, überzeugte sie mich und den Betreiber der Rutsche davon, dass sie das kann.
Also hüpfte sie, eingequetscht in einen Pneu, auf die Bahn und sauste lachend 20 Meter in die Tiefe. Uns wurde beim Zuschauen angst und bange. Quietschvergnügt kam sie unten an: «Das war super!» – «Willst du noch mal?», fragte ich. «Nie wieder, Papa», antwortete sie. Sie ist eben doch meine Tochter.
Meine Bewertung für Ekstase: ★★☆☆☆