Missbrauch mit K.-o.-Tropfen – Politikerinnen machen Druck
Opferhilfestellen berichten von steigenden Fallzahlen bei der heimlichen Verabreichung von K.-o.-Tropfen. Jetzt wird die systematische Erfassung der Fälle gefordert. Und Präventionskampagnen, die sich an Männer richten.
Veröffentlicht am 17. Juli 2025 - 14:15 Uhr
Missbrauch von K.-o.-Tropfen: Die Dunkelziffer ist hoch, eine Statistik fehlt – und die Kantone sehen unterschiedlichen Handlungsbedarf.
Immer wieder kursieren Meldungen, dass in Clubs oder bei Feiern heimlich sogenannte K.-o.-Tropfen verabreicht worden seien. K.-o.-Tropfen sind geruch- und farblos und machen Betroffene bewusstlos. Täter nutzen sie für sexuelle Übergriffe an den wehrlosen Betroffenen. Die Opfer leiden am nächsten Tag oft unter Erinnerungslücken. Weil die Inhaltsstoffe der Tropfen im Körper schnell abgebaut werden, lassen sie sich kaum nachweisen.
Politikerinnen der Kantone Aargau, Zürich und Basel-Stadt fordern deshalb von ihren Regierungen mehr Informationen über den Einsatz von K.-o.-Tropfen.
Kantone setzen auf bestehende Strukturen
Die Datenlage ist überall unklar, die Haltung der Kantone zum Thema K.-o.-Tropfen unterscheidet sich aber deutlich. Im Aargau stuft man das Problem als «seltenes Phänomen» ein und sieht keinen Bedarf an neuen Massnahmen. Die Aargauer Regierung vertraut auf bestehende Strukturen wie Rechtsmedizin, Opferberatung und die Polizei.
Basel-Stadt hingegen bezeichnet K.-o.-Tropfen als «ernst zu nehmendes Phänomen». Neben bestehenden Angeboten wie Forensic Nurses im Universitätsspital prüft die Basler Regierung zusätzliche Massnahmen. Sie will auch Erfahrungen mit dem Gewaltschutzkonzept des Eurovision Song Contests (ESC) nutzen, um sexualisierte Gewalt besser zu bekämpfen.
In Zürich gibt es seit letztem Jahr das Pilotprojekt der mobilen Forensic Nurses. Diese speziell ausgebildeten Pflegefachkräfte sichern bei Verdachtsfällen Spuren, wenn eine Person möglicherweise Opfer eines Sexualdelikts geworden ist. Durch das niederschwellige Angebot ist für Betroffene auch zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Anzeige möglich.
Opferhilfestellen gehen von Zunahme der Fallzahlen aus
Zentrale Probleme in allen Kantonen sind eine hohe Dunkelziffer und eine fehlende statistische Grundlage. In Zürich behilft sich die Regierung, indem sie aufzeigt, in wie vielen Fällen pro Jahr nach Sexualdelikten Haaranalysen zu psychoaktiven Substanzen eingesetzt wurden. Letztes Jahr waren es 18 Fälle, im Jahr 2020 waren es noch sechs. Allerdings sagt dies wenig darüber aus, wie sich die Zahlen tatsächlich entwickelt haben: Haaranalysen werden nur bei einem Bruchteil der vermuteten Fälle durchgeführt.
Auch die Opferberatungsstellen in den Kantonen können keine Zahlen nennen, diejenige in Basel stellt aber eine Zunahme der Zahl der Anfragen fest, schreibt sie dem Beobachter. Und die Dunkelziffer sei hoch.
Prävention auf Männer ausrichten
Das beobachtet auch Brigitte Kämpf, Co-Geschäftsleiterin der Frauenberatungsstelle Sexuelle Gewalt in Zürich: «Betroffene leiden unter Erinnerungslücken, kommen erst nach Stunden wieder zu sich und suchen dadurch erst spät Hilfe.» Dann aber seien die Stoffe im Körper kaum noch nachweisbar. Aus diesen Gründen erstatteten die Betroffenen nur selten Anzeige.
«Nur was sichtbar ist, kann konsequent bekämpft werden.»
Mandy Abou Shoak, SP-Kantonsrätin
Kämpf bemängelt, dass im Opferhilfegesetz der Auftrag fehle, regelmässige Präventionskampagnen durchzuführen. Sie fordert, dass der Fokus dabei nicht nur auf den potenziellen Opfern liegen dürfe. «Es fehlt der Blick auf die Täter. Diese sind grossmehrheitlich Männer. Es braucht eine Präventionskampagne, die auch auf die Ursache der Gewalt, den Machtmissbrauch, ausgerichtet ist», sagt Kämpf zum Beobachter.
Systematische Erfassung der Fälle gefordert
Die Politikerinnen, die die Vorstösse in den Kantonsparlamenten eingereicht haben, sehen weiteren Handlungsbedarf. Die Basler SP-Grossrätin Jessica Brandenburger sagt gegenüber dem Beobachter: «Der Kanton nimmt die Sache ernst. Aber es braucht weitere Massnahmen. Die Regierung hat beispielsweise nicht aufgezeigt, wie sie die Fälle zukünftig systematisch erfassen will.» Zudem brauche es eine systematische Sensibilisierung der Polizei und des Spitalpersonals.
Für die Zürcher SP-Kantonsrätin Mandy Abou Shoak ist der Dienst der Forensic Nurses ein bedeutender Fortschritt für die Opferhilfe. Trotzdem bestünden Lücken: «Was es jetzt braucht, ist ein Gesamtplan, der Prävention, Beweissicherung und statistische Erfassung wirksam miteinander verzahnt.» Sie bereitet dazu ein Postulat vor. «Denn nur was sichtbar ist, kann konsequent bekämpft werden.»
- Regierungsrat Kanton Aargau: Interpellation, Lelia Hunziker, SP, Aarau (Sprecherin), Stephan Müller, SVP, Möhlin, vom 4. März 2025 betreffend Chemische Unterwerfung: Ausprägung, Massnahmen, Sensibilisierung und Opferschutz im Kanton Aargau; Beantwortung (Download, PDF)
- Regierungsrat Kanton Basel-Stadt: Interpellation Nr. 23 Jessica Brandenburger betreffend Chemische Unterwerfung: Ausprägung, Massnahmen, Sensibilisierung und Opferschutz (Download, PDF)
- Regierungsrat Kanton Zürich: Antwort 615. Anfrage: Was tut der Kanton Zürich gegen das Phänomen der chemischen Unterwerfung von Opfern? (Download, PDF)