Ein 66-jähriger Mann stirbt unerwartet nach einem Routineeingriff. Frau und Tochter sind überzeugt, dass es ein Ärztefehler war. Doch als sie Einsicht in die Krankenakte verlangen, verweigert ihnen das Spital diese mit Verweis auf das Arztgeheimnis. Dieses gelte über den Tod hinaus.

Die zwei Frauen wehrten sich – und zogen durch alle Instanzen. Am 9. September 2025 musste sich das Bundesgericht mit der Frage beschäftigen.

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Urteil schützt Ärzte

Tatsächlich soll das Arztgeheimnis in erster Linie Patientinnen und Patienten schützen. Diese sollen sich der Ärztin oder dem Arzt vorbehaltlos anvertrauen können – auch in Bezug auf Themen, die sie nicht mit ihren Angehörigen teilen wollen. Doch: Das gilt nicht absolut. Man muss im Einzelfall abwägen, ob dem Geheimhaltungsinteresse andere gewichtige Interessen entgegenstehen – beispielsweise ein laufendes Strafverfahren.

Im vorliegenden Fall erachtete das Bundesgericht das Interesse der Angehörigen nicht als genügend gewichtig. Dass sie die Chancen einer möglichen Haftungsklage gegen Arzt und Spital prüfen wollten, sei weniger wichtig als das Arztgeheimnis.

Rechtsfreier Raum, sobald jemand stirbt

Aus Sicht von Rechtsanwalt Stephan Kinzl, der die Angehörigen vertrat, hat der Entscheid katastrophale Auswirkungen. Ohne Einsichtnahme in die Krankengeschichte könnten ärztliche Behandlungen nicht mehr überprüft werden. «Sobald ein Patient stirbt, werden die Behandlungen faktisch zum rechtsfreien Raum. Ärzte können auch für gröbste Fehler nicht mehr belangt werden.»

Für Kinzl ist die Begründung des Bundesgerichts, mit seinem Entscheid das Patientengeheimnis schützen zu wollen, zynisch. «Tatsächlich schützt es einzig die Haftpflichtversicherungen der Ärzte.»

Patientenorganisationen: Vertrauensverhältnis geht vor

Das sehen nicht alle so: Patientenorganisationen begrüssen das Urteil des Bundesgerichts. Für sie ist klar, dass nicht alle Patientinnen und Patienten wollen, dass die Akten nach ihrem Tod für die Angehörigen einsehbar sind. 

Denn: Wer will, dass seine Angehörigen nach dem Tod Einsicht in die Akten haben, kann das ausdrücklich festhalten. Entweder vor Ort, im Spital oder vorsorglich mittels Patientenverfügung. Gut zu wissen: Eine Patientenverfügung muss datiert und von Hand unterschrieben werden. Sie sollte klar formuliert und aktuell sein. Der Beobachter stellt Ihnen ein Muster zur Verfügung.