Neue Ansätze sollen jungen IV-Bezügern helfen
Die Zahl der jungen IV-Neurentner steigt weiter – vor allem in Zürich. Psychische Probleme sind der Hauptgrund für diesen Trend. Das beste Mittel dagegen: Prävention.
Immer mehr junge Menschen schaffen den Berufseinstieg nach einer psychischen Erkrankung nicht mehr.
Heute beziehen in Zürich fast doppelt so viele unter 25-Jährige eine IV-Neurente als noch vor zehn Jahren. Im letzten Jahr wurden insgesamt 4275 neue IV-Renten gesprochen, 624 davon gingen an junge Erwachsene. Das ist ein neuer Höchststand. Und ein Rekord, der seit 2015 fast jedes Jahr gebrochen wird.
Der Grund, junge Menschen in eine IV-Rente zu verabschieden, sind vor allem psychische Probleme, schreibt die SVA Zürich in ihrer Medienmitteilung. Die schweizweiten Zahlen werden im Mai erwartet und dürften laut Expertinnen ähnlich aussehen.
«ADHS, Autismus, psychische Probleme – das alles sind keine Tabuthemen mehr.»
Niklas Baer, Psychologe
Niklas Baer kennt sich mit psychologischen Belastungen und den damit verbundenen Schwierigkeiten in der Arbeitswelt aus – als Psychologe beim Zentrum Workmed setzt er sich seit Jahren mit Betroffenen auseinander. «ADHS, Autismus, psychische Probleme – das alles sind keine Tabuthemen mehr», sagt er zum Beobachter.
Immer mehr junge Menschen liessen sich auf entsprechende Erkrankungen abklären und sich behandeln. An sich sei dies «eine positive Entwicklung», so Baer. Doch sie habe den Nebeneffekt, dass auch mehr Menschen krankgeschrieben werden. «Deshalb gibt es auch mehr IV-Anmeldungen und letztlich mehr Renten.»
Was wird dagegen unternommen?
Die SVA Zürich hat gegen diese Entwicklung Massnahmen ergriffen. Und zwar wurden zwei Projekte lanciert, die präventiv wirken und jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen den Ein- oder Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern sollen. Sie heissen Riva und Connect.
Die Plattform Riva ist ein Informations- und Beratungsangebot und richtet sich an das direkte Umfeld der Betroffenen. Sie hilft etwa Eltern, die Frage zu beantworten: Ist das eine normale pubertäre Krise oder handelt es sich um ein psychisches Problem, an dem ihr Kind leidet? Fachpersonen erklären Eltern, Lehrpersonen und Berufsbildenden zudem in einem persönlichen Gespräch, welche anderen Möglichkeiten es gibt anstelle einer IV-Rente. Rund 300 Gespräche seien über die Plattform im letzten Jahr geführt worden.
Im neu lancierten Angebot Connect hingegen geht es darum, betroffene Jugendliche mit Job-Coachings zu unterstützen – und zwar bereits während eines psychiatrischen Klinikaufenthalts. Junge Erwachsene sollen so nach der Entlassung einfacher eine Stelle auf dem ersten (nicht staatlich subventionierten) Arbeitsmarkt finden.
Baer fordert ein Mindestalter für IV-Renten
Psychologe Niklas Baer arbeitete bereits vor neun Jahren an einem Vorschlag, dass IV-Renten grundsätzlich möglichst erst ab 30 Jahren gesprochen werden sollen. «Ein Mindestalter für IV-Renten würde den Anreiz für die berufliche Eingliederung erhöhen», meint er.
Kann nicht mehr so leicht eine Rente gesprochen werden, stehen gemäss Baer Unternehmen und Betreuungspersonen in der Pflicht, Betroffene besser zu unterstützen. Es ist für ihn angesichts der aktuellen Zahlen der SVA Zürich noch immer ein prüfenswerter Ansatz.
Abschaffung der Renten für Junge ist umstritten
Beobachter-Expertin Gitta Limacher kritisiert diese Idee. Ein Mindestalter für IV-Renten tönt für sie vor allem nach einer Beschönigung der Zahlen – wenn Renten erst ab 30 gesprochen werden, gibt es – zumindest auf dem Papier – keine jungen IV-Neurentner mehr. Doch einfach verschwunden seien sie und die dahinter liegenden Probleme damit nicht. Zumal es für Betroffene jetzt schon extrem schwierig sei, eine IV-Rente überhaupt zu erhalten.
Aus Sicht von Gitta Limacher ist der richtige Ansatz derjenige, den auch die SVA Zürich mit ihren Präventionsprogrammen verfolgt. Je jünger eine Person mit einer psychischen Erkrankung ist, desto intensiver müssen die Anstrengungen sein, sie im ersten Arbeitsmarkt zu halten oder möglichst rasch wieder einzugliedern.
- SVA Zürich: IV-Neurenten für Junge steigen überdurchschnittlich
- SVA Zürich: Riva
- Mailaustausch mit Daniela Aloisi, Leiterin Unternehmenskommunikation SVA Zürich
- Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV): Weiterentwicklung der IV