Pharmafirmen überschütten Ärzte und Spitäler mit noch mehr Geld
Die Pharmaindustrie zahlte Ärzten, Spitälern und Fachgesellschaften letztes Jahr rund 262 Millionen Franken – ein weiterer Rekord. Damit summieren sich diese Gelder in den letzten zehn Jahren auf fast zwei Milliarden.
Veröffentlicht am 23. Oktober 2025 - 06:00 Uhr
Am meisten Sponsorengelder verteilte 2024 AstraZeneca – rund 30 Millionen Franken.
Es ist beinahe eine Verdoppelung: 2015 gab die Schweizer Pharmaindustrie das erste Mal an, wie viel Geld sie an Ärztinnen und Ärzte zahlt, an Spitäler und Universitäten, an Kongressveranstalter und Fachgesellschaften. Es waren 141 Millionen Franken. Zehn Jahre später sind es 262 Millionen Franken – ein neuer Höchststand.
Das zeigt eine Analyse von Pharmagelder.ch, einem Rechercheprojekt von Ringier Medien Schweiz, an dem der Beobachter, die «Handelszeitung», «Blick» und «Sonntags-Blick» beteiligt sind.
Die Gelder fliessen als Kongressgebühren für Ärzte, als Beratungshonorare, als Sponsoring, in Form von Spesen oder Spenden. In einem Branchenkodex haben sich die über 60 Pharmafirmen 2014 verpflichtet, diese Gelder offenzulegen.
Auf Pharmagelder.ch kann jedermann prüfen, ob ein bestimmter Arzt, ein Ärztenetzwerk, eine Patientenorganisation oder eine andere ärztliche Einrichtung Geld von der Pharmaindustrie erhalten hat.
Wie viel Geld erhält Ihr Arzt von der Pharmaindustrie?
AstraZeneca vor Novartis
Am meisten zahlt inzwischen nicht mehr Novartis, sondern AstraZeneca – rund 30 Millionen Franken. Der Konzern verdoppelte seine Gelder an Akteure der Gesundheitsbranche. Im Vorjahr lag AstraZeneca mit 14,6 Millionen noch an fünfter Stelle. Novartis liegt nun an zweiter Stelle.
AstraZeneca begründet die markante Steigerung der Sponsoringaktivitäten mit dem aktuellen Umsatzwachstum um fast 20 Prozent sowie den ehrgeizigen Unternehmenszielen für die nächsten Jahre. Bis Ende 2027 will AstraZeneca in der Schweiz 30 neue Therapien gegen Krebs auf den Markt bringen: «Die gestiegenen Sponsoringaktivitäten für Fachgesellschaften, Spitäler und andere Organisationen des Gesundheitswesens stehen im Einklang mit unserem wissenschaftlichen Engagement in der Onkologie.»
Diese Ärzte kassierten am meisten
Von den Geldern am meisten profitiert hat 2024 Thomas Rosemann, Professor und Direktor des Instituts für Hausarztmedizin am Unispital Zürich. Er kommt auf 105’000 Franken. Seine Einnahmen stammen vorwiegend von AstraZeneca und Novartis. Er betont, er sei nicht ärztlich tätig, verordne also weder Medikamente noch Therapien. Mit AstraZenecas Sponsoringbetrag von 55’000 Franken habe er den Kidney Score entwickelt, ein Instrument, um die Versorgung von chronisch Nierenkranken zu analysieren.
Den zweithöchsten Geldbetrag erhielt mit 92’000 Franken die Ärztin Marva Safa, Besitzerin einer Neuenburger Schönheitsklinik. Sie lag im Vorjahr mit 152’000 Franken an der Spitze. Ihre Einnahmen stammen aus Beratungsdienstleistungen für den Medikamentenhersteller AbbVie. Sie erklärt, sie unterstütze den Konzern als «unabhängige Beraterin», um andere Ärzte zu schulen.
An dritter Stelle liegt mit 89’000 Franken Luc Biedermann, leitender Arzt an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie des Unispitals Zürich. Eine Anfrage, ob er bei seiner Tätigkeit einen Interessenkonflikt sehe, blieb unbeantwortet.
Total erhielten im vergangenen Jahr 3650 Ärztinnen und Ärzte Geld der Pharmaindustrie. Den tiefsten Betrag liess sich ein Berner Arzt auszahlen – Fr. 17.10.
Millionen für europäische Fachorganisationen
Die am höchsten beschenkte Institution war wie in den Vorjahren die Europäische Gesellschaft für medizinische Onkologie (ESMO): Die Organisation erhielt 23,5 Millionen Franken, im Vorjahr waren es noch 19 Millionen. Auf Platz zwei liegt die Europäische Gesellschaft gegen Rheuma (EULAR) mit 8,5 Millionen Franken. Den dritthöchsten Betrag verzeichnet mit 5,6 Millionen Franken die Europäische Gesellschaft für Atemwegsmedizin (ERS).
Der grösste Teil der 262 Millionen Franken – 109,5 Millionen – floss ebenfalls an Spitäler; allerdings bleiben die Empfänger unbekannt. Den Bereich nennen die Pharmafirmen summarisch «Forschung und Entwicklung», gemeint sind Projekte der klinischen Forschung. Hier herrscht komplette Intransparenz. Welche Spitäler oder welche Ärztinnen und Ärzte davon profitieren, ist nicht bekannt. Vor zehn Jahren lag dieser Betrag noch bei 48 Millionen.
- Ringier Medien Schweiz: Pharmagelder.ch
- Unternehmen der Pharmaindustrie
- Branchenverband: Scienceindustries
- Branchenkodex: Pharma-Kooperations-Kodex