Ein Schwätzchen an der Kaffeemaschine, ein spontanes Lob, ein gemeinsames Feierabendbier: Die Pflicht zum Homeoffice Ende der Homeoffice-Verordnungen Muss ich jetzt ins Büro? macht das in vielen Firmen unmöglich. Dabei sind es gerade diese informellen Kontakte, die uns helfen würden, die aktuelle Krise besser zu bewältigen.

«Für das Wohlbefinden ist die soziale Unterstützung eine enorm wichtige Ressource. Sie kann viele Belastungen wettmachen», sagt die Berner Arbeits- und Organisationspsychologin Rita Buchli. «Wenn diese Ressource wegen Homeoffice wegbricht, ist man schneller überfordert. Plötzlich ist man auf sich selbst zurückgeworfen, fühlt sich kaum mehr als Teil eines grossen Ganzen und beginnt vielleicht, die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit zu hinterfragen.»

Hinzu kommt: Weil Arbeit und Freizeit am gleichen Ort stattfinden, fällt es vielen schwer, sich abzugrenzen Job und Privates trennen Wenn die Arbeit zu Hause weitergeht . Das macht den Alltag monoton. «Alles fühlt sich nach einem einzigen Brei an, ohne Anfang und Ende», so Rita Buchli. Wenn man dann noch um den Job fürchten muss oder private Sorgen hat, kommt man schnell an seine Grenzen.

Und der psychische Stress hat zugenommen: Während des Shutdowns im April zeigten rund 9 Prozent der Bevölkerung schwere depressive Symptome «Auffallend mehr Behandlungen als vor Corona» Die Pandemie belastet Junge psychisch mehr als Alte  – im November waren es doppelt so viele.

So kann man psychischen Belastungen vorbeugen

Gerade im Berufsleben sind psychische Probleme häufig tabuisiert. Betroffene versuchen so lange wie möglich zu funktionieren – und leiden still. In der aktuellen Situation verschärft sich das weiter. Wie soll man merken, dass es dem Arbeitskollegen schlecht geht, wenn der Livekontakt fehlt?

Doch es gibt Mittel gegen die zunehmende Entfremdung:

  • Virtuelle Kaffeepausen: Ein täglicher – oder zumindest regelmässiger – Schwatz im Team kann wichtige informelle Kontakte wenigstens ein Stück weit ersetzen. Oder: Zu Beginn jeder Sitzung erzählen alle kurz, wie es ihnen geht und was sie gerade beschäftigt.
  • Vier-Augen-Gespräche: Vorgesetzte sollten aktiv auf Mitarbeitende zugehen und Gespräche vereinbaren. Dabei soll es nicht nur um die Arbeit gehen, sondern auch um die Befindlichkeit und das Zuhören.
  • «Wie geht es dir?»: Eine wertschätzende Kommunikation untereinander ist unerlässlich. Das heisst: Nachfragen, Feedback geben, Fragen, wie es jemandem geht, Interesse zeigen et cetera.
  • Klare Abmachungen treffen: Feste Vereinbarungen sind entlastend und helfen, sich abzugrenzen. Das kann etwa sein: Wer ist wann erreichbar und wann nicht? In welcher Frist müssen E-Mails oder Aufträge erledigt sein? Wo und wie meldet man Kurzabsenzen?
  • Pausen planen: Nicht ein Online-Meeting ans andere reihen. Pausenpuffer schaffen Raum, um durchzuatmen.
  • Als Vorgesetzte Vorbild sein: Die abgemachten (informellen) Treffen einhalten und nicht wegen eines anderen Meetings absagen.
  • Informieren: Firmen, die in finanzieller Schieflage sind, sollten Angestellte – soweit möglich – über die betriebliche Situation aufklären. Unsicherheit ist ein grosser Stressfaktor.
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So kann man Betroffene unterstützen

«Vorgesetzte scheuen sich häufig davor, Mitarbeitende auf allfällige psychische Probleme anzusprechen», sagt Niklas Baer, Psychologe und Leiter von Workmed, einer Abteilung der Psychiatrie Baselland. «Weil man eben nicht übergriffig sein will. Oder weil man der Antwort oder einer Auseinandersetzung aus dem Weg gehen will. Häufig tut man dann so, also hätte man nichts gemerkt.»

Doch: Arbeitgeber sind nicht zuletzt von Gesetzes wegen verpflichtet, die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen. Das verlangt die sogenannte Fürsorgepflicht. Vorgesetzte müssen also nachhaken, wenn sie eine Verhaltensänderung beobachten und dahinter eine psychische Belastung vermuten. Als Vorgesetzte sollte man zudem Hilfsangebote kennen, an die man Betroffene verweisen kann (siehe «Tipps mit Hilfsangeboten»). Je nach Situation muss man auch den Mut haben, jemanden aufzufordern, sich in ärztliche Behandlung zu begeben.

So finden Firmen einen Umgang mit psychischen Belastungen

Rund jede zweite Person in der Schweiz erkrankt im Laufe ihres Lebens psychisch. Und ungefähr jede fünfte erwerbstätige Person hat permanent eine psychische Störung.

«Als Firma kann man psychische Erkrankungen normalerweise nicht verhindern – denn sie haben meist schon vor dem jungen Erwachsenenalter begonnen», sagt Psychologe Niklas Baer. «Man sollte sich aber mit der Frage auseinandersetzen, wie man im Betrieb mit dem Thema umgehen will. Es geht nicht darum, ob Mitarbeitende eine psychische Problematik haben, sondern darum, wie Betroffene, Kollegen und Vorgesetzte damit umgehen.»

Wenn eine Firma den Mut hat, sich mit dem Thema zu befassen und sich aktiv mit der Betriebskultur auseinanderzusetzen, könnte sie sogar gestärkt aus der Krise herausgehen. Denn: Wer eine Betriebskultur pflegt, in der man sich offen und angstfrei austauschen kann, in der auch Fehler erlaubt sind und nicht jede Schwäche und jedes psychische Problem automatisch einen Karriereknick bedeuten, der ist auch gewappnet für zukünftige Herausforderungen.

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Tipps: Hilfsangebote bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz

Anlaufstellen:

  • Sorgentelefon der Dargebotenen Hand: Telefonnummer 143 bietet unterstützende Gespräche. Kostenlos, anonym und rund um die Uhr.
  • Pro Mente Sana: kostenlose Beratung auf diversen Kanälen für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung, deren Angehörige und nahestehende Personen.

Nützliche Websites:

Kurse und Beratung:

  • Ensa – Erste-Hilfe-Kurse: von Pro Mente Sana, für interessierte Laien. Grundlagenwissen zu psychischen Erkrankungen und akuten psychischen Krisen.
  • Proitera: Personal- und Sozialberatung, mit der Firmen zusammenarbeiten und Angestellten eine Anlaufstelle bieten.
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