Leserfrage: «Ich fühle mich zunehmend einsam. Was raten Sie mir?»

Sie schreiben, dass das Thema Einsamkeit immer Ihre Achillesferse war. Sie sind alleinstehend, der Beruf hatte eine grosse Bedeutung für Sie. Und das Bedürfnis nach sozialen Kontakten war zum Glück über den Kontakt im Büro immer einigermassen abgedeckt. Sie gehörten deshalb zu den wenigen, die sich sehr freuten, nach den Ferien wieder zur Arbeit gehen Post-Holiday-Syndrom So überstehen Sie die ersten Arbeitstage nach den Ferien zu können.

Im privaten Bereich haben Sie eine Handvoll Freundinnen, die sind aber recht beschäftigt, zumal einige eine eigene Familie haben.

Nun hat sich die Situation mit Corona aber auch für Sie grundlegend geändert. Am schwierigsten ist für Sie das Homeoffice Home-Office So meistern Sie die Arbeit zu Hause . Ihre Firma ist seit letzten März mehr oder weniger geschlossen, alle arbeiten von zu Hause aus.

«Einsamkeit ist kein Luxusproblem. Sie ist für Betroffene existenziell schwierig.»

Thomas Ihde, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH

Mit den Freundinnen haben Sie sich meist in der Stadt auf einen Kaffee getroffen. Oft verbunden mit einem kleinen Shoppingbummel. Das hatte eine gewisse Regelmässigkeit. Jetzt merken Sie, dass Sie sich nur noch halb so oft treffen, weil Ihnen ein gemeinsamer Spaziergang in der Natur eben schon nicht gleich viel Spass macht. Auch wenn Sie sich dafür fast etwas schämen. Sie spüren, dass Sie lustloser sind Antriebslosigkeit «Ich fühle mich so ausgelaugt» , weniger Energie haben, dass Ihr Leben weniger farbig ist.

Vom Umfeld belächelt

Einsamkeit war lange ein Thema, das ein Schattendasein fristete. Heute weiss man, dass Einsamkeit häufig ist. Jede vierte Person empfindet mehrmals wöchentlich eine innere Leere Einsamkeit Wege aus der Isolation oder auch einen inneren Schmerz, weil sie gern mehr oder vor allem befriedigendere Sozialkontakte hätte. Betroffene fühlen sich oft etwas belächelt im Sinne von: «Was es heute alles für Probleme gibt.» Sie seien selber schuld, sie müssten halt einfach etwas mehr unter die Leute, hören sie oft.

Dabei ist Einsamkeit kein Luxusproblem, für Betroffene ist es eine existenzielle Schwierigkeit. Das Gefühl hat mit unseren Instinkten zu tun, mit dem Überlebensinstinkt. Deshalb ist das Gefühl so tief und auch recht schwierig.

Menschen brauchen Kontakt, um zu gedeihen und gesund zu bleiben. Deshalb hatten Kinder in irischen Kinderheimen eine zehnfach erhöhte Sterberate – Nonnen schenkten ihnen keine Zuwendung, weil die Zöglinge unehelich geboren worden waren.

Pillen gegen Einsamkeit?

Stresshormone werden durch das Gefühl der Einsamkeit so beeinflusst, dass der negative Effekt auf die Gesundheit dem von 15 Zigaretten pro Tag entspricht – das Risiko für einen Herzinfarkt oder auch für Alzheimer steigt.

Die Briten befassen sich weltweit am meisten mit diesem Thema, dabei sind sie gemäss Untersuchungen nur halb so einsam wie wir in der Schweiz. Sie haben ein Ministerium, das Massnahmen vorschlägt. So können Ärztinnen einsamen Menschen ein «Sozialrezept» ausstellen. Damit erhalten sie eine Beratung Prix Courage Lifetime Award «Die Einsamkeit der Leute gibt mir zu denken» durch einen Sozialarbeiter, die hilft, Sozialkontakte zu vermehren und zu verbessern. Bei uns erhalten wir vielleicht etwas Mitgefühl, vielleicht ein Antidepressivum.

3 Tipps möchte ich Ihnen geben:
  • Führen Sie ein paar Wochen lang Buch. Einsamkeit kann, aber muss nicht mit zu wenig Kontakten zu tun haben. Man kann sich in einem Raum voller Menschen einsam fühlen Alleinsein Was gegen die innere Einsamkeit hilft . Achten Sie beim Buchführen auf zwei Sachen: Wann treten Einsamkeitsgefühle vor allem auf? Welchen Einfluss haben welche Beziehungen?

    Vielleicht merken Sie, dass Einsamkeit bei Ihnen viel mit Trauer zu tun hat und sich immer meldet, wenn es um etwas geht, was mit Ihrer früh an Krebs verstorbenen Mutter zu tun hat. Oder dass Sie zwei vermeintliche Freundinnen haben, deren Anrufe Ihre Stimmung stets verschlechtern.
     
  • Soziale Rituale sind wichtig. Im Büro trafen Sie jeden Morgen sieben Personen, im Fitnessclub war der kleine Schwatz mit dem Réceptionisten etwas, worauf Sie sich immer freuten. Mit zwei Freundinnen hatten Sie einen Rhythmus, immer der zweite Dienstag im Monat, und das seit über fünf Jahren. Ritualisierte Kontakte sind von uns unabhängig, und das ist gut so. In der Einsamkeit werden wir nämlich pessimistischer und ängstlicher Pandemie-Trance «Corona macht mir Angst und verärgert» . Wir sehen vermeintliche soziale Gefahren – also beispielsweise Ablehnung – schon im Voraus drohen und rufen drum die Freundin gar nicht an, da sie ja eh immer so beschäftigt ist. Soziale Rituale braucht es vor allem auch im Homeoffice.
     
  • Haustiere helfen. Auch das sagt die Datenlage recht klar. Eine Katze merkt, wie es uns geht Haustiere Glück auf vier Pfoten , und reagiert darauf. Auf dem Spaziergang mit dem Hund entsteht ein neues soziales Ritual mit Kontakt zu anderen Hundebesitzern. Seien Sie sich aber bewusst, dass Sie mit einem Haustier eine jahrelange Verpflichtung eingehen.

Wie stärke ich meine psychische Gesundheit?

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Die Corona-Pandemie löst viele negative Emotionen aus. Im Webinar stellt Dr. med. Thomas Ihde Folgen und Gegenstrategien vor.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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