Eine kürzlich veröffentlichte Studie sorgt für erhitzte Gemüter. Basierend auf einer Umfrage bei Studentinnen behauptet sie, dass die meisten Frauen gar keine Karriere machen wollten und ein konservatives Familienbild hätten. Nicht Diskriminierung, sondern die freiwillige Lebensplanung sei der Grund für die wenigen Professorinnen an der Uni. 

Nach dem ersten medialen Aufschrei über die angeblich konservativen jungen Frauen steht mittlerweile die Studie selbst in der Kritik. Die Fragen seien so gestellt, dass die Antworten fast zwangsläufig stereotyp ausfielen, schreiben Medien wie «Watson» oder der «Tages-Anzeiger». Zudem hätten unabhängige Wissenschaftlerinnen die Studie noch gar nicht überprüft.

Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin des Bundes Schweizerischer Frauenorganisationen, sagte im Interview mit «Watson»: «Wenn die gesellschaftlichen Strukturen anders wären, würden Frauen vielleicht auch mehr arbeiten wollen und die Fragen anders beantworten.»

Co-Studienautorin Katja Rost relativierte währenddessen in einem Interview mit der «NZZ» die vereinfachten Schlussfolgerungen: «Dass alle Frauen reiche Männer heiraten und nicht selbst Karriere machen wollen, stimmt ganz sicher nicht.» Es gebe jedoch systematische Unterschiede in den Wünschen und Vorstellungen der Männer und der Frauen. 

Dass Frauen seltener den Weg in die Chefetagen finden, hat mit «einer Art Selbstselektionseffekt» zu tun, sagt Benedikt Hell, Professor für Personalpsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. «Frauen sind in ihrer Selbsteinschätzung zurückhaltender und kritischer, während Männer dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen.» Frauen schreckten eher vor anspruchsvollen Stellenausschreibungen zurück, wogegen Männer sich eher darauf bewerben – auch wenn sie nicht perfekt passen. 

Losverfahren verfehlt das Grundproblem

Wie kann man das ändern? Die Autorinnen der Studie schlagen das qualifizierte Losverfahren vor. Aus einer sorgfältig ausgewählten Gruppe von qualifizierten Bewerbungen soll zum Schluss das Los entscheiden. Frauen würden sich risikofreudiger zeigen, wenn über eine Zufallsauswahl entschieden werde. Sofern nur die wirklich qualifizierten Personen teilnehmen dürften, wäre das für alle gerechter, sagte Rost dem «Tages-Anzeiger»

Das Losverfahren hat zahlreiche Anhänger. Vor zwei Jahren forderte die Justiz-Initiative dieses Prinzip für die Bestellung des Bundesgerichts. Bundesrichterinnen sollten per Los ausgewählt werden. So hätten auch parteilose Richterinnen und Richter eine Chance, was die Unabhängigkeit des Gerichts vergrössere, so die Argumentation. Das Volk lehnte die Initiative jedoch mit 68 Prozent ab.

Auch Personalpsychologe Hell hält wenig vom Losverfahren: «Auch für das Losverfahren müssen sich Frauen aktiv auf eine Stelle bewerben, von der sie selbst möglicherweise annehmen, nicht optimal zu passen.» Dadurch würde man die Frauen, die sich selbst unterschätzen, schon gar nicht in den Bewerbungsprozess bekommen. Die Chancengleichheit werde kaum gefördert.
 
Stattdessen plädiert Hell für das sogenannte «Opt-out-Verfahren». Dabei werden qualifizierte Kandidatinnen über Netzwerke rekrutiert. Dadurch entfällt die erste Hürde der aktiven Bewerbung. Frauen müssen sich also aktiv gegen eine Stelle entscheiden, anstatt sich aktiv dafür zu entscheiden.

Frauen in ihrem Selbstbild zu stärken, führe zu mehr Frauen im Bewerbungsverfahren und schliesslich in Spitzenpositionen, sagt Hell. Mit der Anwendung der Methode auf beide Geschlechter würden auch die Männer nicht vernachlässigt. Und es würden keine starren Geschlechterquoten festgelegt. Tatsächlich berichten mehrere Studien über eine Verringerung der geschlechtsspezifischen Unterschiede durch die Opt-out-Methode. «Für mich ist es der Königsweg der Auswahlverfahren», sagt Hell.