In einer kleinen Schule in der Ostschweiz ist in diesem Sommer nichts wie in den Jahren zuvor. Zwar wird immer noch fleissig Mathe gebüffelt und Rechtschreibung gepaukt – aber die 120 Schüler und ihre Lehrer treibt vor allem eines um: ihr Schulgarten.

Im Jahr zuvor ist das Gelände modelliert und vorbereitet worden, heuer wollen sie den Garten zum Blühen bringen. Diese Aufgabe packen sie mit so viel Eifer und Begeisterung an, dass Schulleiterin Tanja Schneider zu Recht sagen kann: «Unser Garten ist unser ganzer Stolz!»

So viel Enthusiasmus macht neugierig:

  • Warum will eine Schule einen Garten?
  • Wer erntet die Tomaten während der Sommerferien?
  • Und wer bezahlt das eigentlich alles?
Die Geburtsstunde

Projekttag in der Schule Rüthi. Nach heissen Junitagen hat es über Nacht merklich abgekühlt. Ein idealer Tag, um im Garten zu arbeiten. Eine Gruppe Kinder baut ein Gerüst ins Beet und bindet daran die Tomatensetzlinge auf. Kindergärtler ziehen die Hirse, die überall spriesst, mit vollem Krafteinsatz aus dem Boden und füllen sichtlich stolz Eimer um Eimer mit dem Unkraut Pflanzenschutzmittel Gift im Garten muss nicht sein . Sechstklässler laden Kies auf Schubkarren, stossen sie auf das Flachdach des Gartenhäuschens und verteilen die Steine dort. 

Als das Schulhaus Rüthi vor zwei Jahren einen Anbau erhielt, musste auch der Aussenraum neu gestaltet werden. Zuerst wollte man einfach Rasen ansäen – doch dann sagte Lehrer Christoph Naef, 37: «Stopp, jetzt überlegen wir noch einmal. Das ist doch eine Riesenchance.» 

Das Projekt Schulgarten war geboren. Die Lehrer waren bald überzeugt. Die Schulleiterin fand heraus, dass die Gemeinde über einen Kredit für Spielraumgestaltung verfügt – ob man den anzapfen könnte? Man konnte. Unter der Bedingung, dass der Schulgarten auch für die Dorfbewohner öffentlich zugänglich wäre. Und dass Lehrer und Schüler mit anpacken, um die Kosten tief zu halten. Aber anpacken, das wollte man ja sowieso.

Es wird gepflanzt

Walter Wolf mit Schülern im Schulgarten Rüthi

Walter Wolf (vorn) platziert unter den neugierigen Blicken der Schüler einen Düngertopf neben die Tomatensetzlinge.

Quelle: Nik Hunger
Bienenhotel, Pumpbrunnen, Kompost

In so mancher Sitzung wurde die Idee konkreter:

  • Jede Klasse sollte ein eigenes Gartenbeet bepflanzen dürfen!
  • Verstecke, die Tiere anlocken!
  • Ein Bienenhotel!
  • Ein Gartenhaus und Sitzgelegenheiten unter der Linde! 
  • Ein Kompost!
  • Eine Wetterstation!
  • Ein Teich!
  • Eine Trockenmauer!
  • Ein Pumpbrunnen!

All diese Ideen wurden verwirklicht. Am meisten zu diskutieren gab der Teich. Weil er für Kleinkinder gefährlich sein könnte. Man einigte sich darauf, einen Zaun um den Schulgarten zu bauen.

Im Landschaftsgärtner der Gemeinde fand man einen Verbündeten, der das Projekt sofort zu einer Herzensangelegenheit erhob und der, wie die Schulleiterin zu berichten weiss, manchmal sogar am Wochenende im Schulgarten zu sehen sei. Heute wuchtet Hubert Schneider, 57, mit den grossen Jungs den Kies auf das Dach des Gartenhauses.

Voller Einsatz

Kids im Schulgarten Rüthi

Beim Kiestransport legen sich Sechstklässler ins Zeug.

Quelle: Nik Hunger
Frische Tomaten statt Znüni

Die Vorkenntnisse seien unterschiedlich, sagt Schulleiterin Tanja Schneider. So habe ein Junge beim Tomatensetzen verkündet, er werde am nächsten Tag keinen Znüni mitbringen: «Er wollte dann schon Tomaten ernten.» 

Die Schüler sollen den neuen Lernort dereinst vielfältig nutzen: Lebenszyklen von Pflanzen erforschen, Wetterdaten interpretieren oder Experimente machen. «Man kann in einem Garten nicht nur naturwissenschaftliche Themen vermitteln, sondern auch historische, technische, gestalterische und sogar mathematische», sagt Christoph Naef. Warum nicht Lindenblütentee herstellen, an der Dorfchilbi verkaufen und so das Thema Geld behandeln?

Auch für den Deutschunterricht eignet sich der Garten: Soeben interviewen zwei Jungs ihre Kolleginnen für die Schülerzeitung. Sie wollen wissen, was ihnen am Projekttag am besten gefällt. «Jäten haben schon zwei andere gesagt», zeigt sich der junge Journalist mit der Antwort unzufrieden.
 

«Ich habe noch viele Ideen, die ich gern verwirklichen würde.»

Walter Wolf


Walter Wolf, 77, ist im lokalen Naturschutzverein engagiert und arbeitet als Senior an der Schule. Er erklärt zwei Mädchen, warum er neben den Tomatensetzlingen einen kleinen Blumentopf im Boden vergräbt und ihn mit biologischem Dünger füllt. Tomaten brauchen viele Nährstoffe. Deshalb lässt er das Giesswasser durch den Düngertopf fliessen. «Schlau, gell?» Die Setzlinge haben Coop und Bio Suisse im Rahmen der Initiative «Blühende Schulen» gespendet, damit Schulareale in der ganzen Schweiz ergrünen und sich Schüler mit dem Thema Biodiversität auseinandersetzen können.

Tomaten ernten in den Sommerferien? Das kann Walter Wolf schon machen. Vogelkästen bauen? Kein Problem. «Ich habe noch viele Ideen, die ich gern verwirklichen würde», sagt er. Ihn treibt die Überzeugung an, dass man den Menschen das Wissen über die Natur wieder vermitteln müsse.

In Rüthi gelingt dies. Dort hat man aber auch erkannt, dass es – in Anlehnung an das afrikanische Sprichwort – ein ganzes Dorf braucht, um einen Schulgarten zu pflegen: Senioren, Naturschutzverein, Gemeindearbeiter, eine engagierte Schulleitung, zupackende Lehrer und angehende Handwerker, die als Lehrlingsprojekt ein Gartenhaus bauen. 

«Der Biolifestyle erreicht die Schule»

Beobachter: Sie haben wissenschaftlich zu Schulgärten gearbeitet. Wann wurde der Schulgarten denn eigentlich erfunden?
Christine Künzli: Der Schulgarten ist ein altes pädagogisches Thema, das immer wieder mal in Mode kam. Ein Hoch hatte es zum Beispiel Anfang des letzten Jahrhunderts, als die Reformpädagogen Schulen forderten, die besser auf Kinder zugeschnitten sind. Im Schulgarten sahen sie eine Möglichkeit, ganzheitlich und handlungsorientiert zu unterrichten.

Und dann gerieten die Gärten in Vergessenheit?
Ja, aber in den 1980er Jahren kamen sie wieder auf, damals unter dem Vorzeichen der Ökobewegung. Angesichts der drohenden Umweltzerstörung wollten viele Lehrer mit ihren Schülern und Schülerinnen ökologische Zusammenhänge thematisieren und legten Schulgärten und Biotope an.

Sie haben die Initiative «Blühende Schulen» von Coop und Bio Suisse begleitet, die bereits über 3500 Klassen erreicht hat. Weshalb feiern Schulgärten ein Comeback?
Ich denke, das hat viel mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun. Urban Gardening, der Trend zu natürlichen, regionalen Produkten – dieser Biolifestyle Vegan leben Der Stachel im Fleisch ist ein Stück weit auch in der Schule angekommen.

Hat dieses Revival auch etwas mit dem Lehrplan 21 zu tun?
Gemäss Lehrplan 21 sollen Kinder in der Unterstufe die Kompetenz erwerben, Pflanzen und Tieren in selbst erkundeten Lebensräumen zu begegnen, Interesse und Neugierde zu entwickeln und Fragen zu stellen. Es geht darum, Pflanzen und Tiere nicht isoliert, sondern in einem Lebensraum kennenzulernen und Zusammenhänge zu verstehen. Dafür ist ein Schulgarten natürlich ideal. Aber man muss auch sagen: Gute Lehrer haben schon vor dem Lehrplan 21 so unterrichtet.

Ist ein Schulgarten auch ein Gegenmittel zur Digitalisierung?
Es gibt auch eine Retrobewegung, die den Schülern mit einem Garten wieder einen Naturbezug verschaffen möchte. Ich finde es aber spannender, den Schulgarten zukunftsgerichtet anzugehen: Warum nicht einen Gartenblog schreiben? Foodwaste Food Waste Im Müll statt im Magen kann man thematisieren, indem man Kartoffeln anbaut und die geernteten Knollen danach in eine industrielle Kartoffelsortiermaschine gibt.

Wie aufwendig ist es, einen Schulgarten anzulegen?
Der Aufwand ist sehr gross. Viele Schulgärten versanden deshalb wieder. Ich empfehle unbedingt, ausserschulische Akteure einzubinden.

zur Person

Christine Künzli

Christine Künzli ist Professorin für Bildungstheorien und interdisziplinären Unterricht an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. Einer ihrer Schwerpunkte ist Bildung im Kontext nachhaltiger Entwicklung.

Quelle: Nik Hunger
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