Saftige Busse für Fortnite-Entwickler

Der für das Videospiel Fortnite bekannte US-Entwickler Epic Games muss wegen Verstosses gegen das Kindesschutzrecht mehr als eine halbe Milliarde Dollar Strafe zahlen. Die US-Verbraucherschutzbehörde FTC einigte sich auf einen Vergleich im Umfang von 520 Millionen Dollar (etwa 481 Millionen Franken). 

Die FTC wirft Epic Games vor, Minderjährige und Erwachsene mit Tricks dazu gebracht zu haben, bei Fortnite Käufe zu tätigen, die sie eigentlich gar nicht beabsichtigt hatten. Für Kinder seien dabei «nicht autorisierte Kosten ohne jegliche Beteiligung der Eltern» entstanden, erklärte die FTC. Ausserdem habe Epic Games die Daten von Fortnite-Spielern unter 13 Jahren gesammelt, ohne – wie es gesetzlich vorgeschrieben wäre – die Zustimmung der Eltern einzuholen oder die Eltern zu informieren. Das Unternehmen habe auch Kindern und Jugendlichen geschadet, indem es diese in Chats mit erwachsenen Spielern in Kontakt brachte. «Kinder und Teenager wurden auf Fortnite gemobbt, bedroht, drangsaliert und mit gefährlichen und psychologisch traumatisierenden Themen wie Suizid konfrontiert», erklärte die FTC. Im Zuge des Vergleichs wird Epic Games seine Voreinstellungen ändern, um Minderjährige besser zu schützen.

Der Beobachter berichtete bereits 2018 über die unlauteren Methoden des Videogame-Herstellers. 

Da unten, auf dem Dach des Hochhauses, schimmert goldgelb eine Schatzkiste. Max reisst den Gleiter herum, sucht den Himmel nach kleinen Punkten ab. Wollen seine Gegner auch auf den «Tilted Towers» landen? Glück gehabt, sie drehen ab und nehmen Kurs auf das Wäldchen am Ufer des «Loot Lake».

Der Zwölfjährige setzt auf, öffnet die Truhe: eine Schrotflinte, etwas Munition, Verbandsmaterial. «Könnte besser sein», findet Max, der auf einen Raketenwerfer gehofft hatte oder auf ein Maschinengewehr. Er packt die Spitzhacke aus, zertrümmert eine Klimaanlage und anderen Gerümpel. Mit dem Material, das er so sammelt, wird er später eine Festung bauen. «Auf gehts!»

Wer sich nun fragt, wo wir uns befinden, hat vermutlich keine Kinder im Teenageralter Youtube Was gucken Jugendliche da ständig? . Max spielt Fortnite, wie weltweit über 40 Millionen andere Jugendliche. Das Videogame ist dermassen erfolgreich, dass es ein Jahr nach seiner Lancierung schon zur Popkultur gehört. Basketball-Profi Josh Hart von den Los Angeles Lakers trägt lila Turnschuhe mit dem Fortnite-Logo, US-Rapper Drake lässt sich beim Zocken im Internet von Hunderttausenden über die Schulter gucken. Und als der Franzose Antoine Griezmann im Final der Fussball-WM zum 2:1 gegen Kroatien traf, legte er ein lustiges Tänzchen auf den Rasen wie die Spielfiguren in Fortnite. Innerhalb kürzester Zeit hat das Spiel seine virtuellen Fesseln aus Bits und Bytes abgelegt und ist in der physischen Realität angekommen.

Game-Experte Philipp Rüegg nennt drei Gründe, die Fortnite populär machen. Es ist gratis, wirkt mit seinem bunten Comic-Look freundlich und einladend, und die Regeln sind simpel.

Bauen, ballern, sterben

Gespielt wird im «Battle Royale»-Modus – vom Prinzip her ähnlich wie in der SRF-Quizshow «1 gegen 100». Ein fliegender Schulbus wirft 100 Spieler über einer riesigen Insel ab. Einmal am Boden, gilt es, in Ruinen, Minen oder verlassenen Pizza-Restaurants schlagkräftige Waffen, nützliche Gadgets, Tränke und Baumaterialien zu sammeln und sich schliesslich vor dem herannahenden Sturm und den 99 Widersachern in Sicherheit zu bringen. Es wird gebaut, geballert, gestorben. Wer als Letzter noch steht, gewinnt die Runde.

Was Fortnite so speziell macht: Hersteller Epic liefert ständig Neues. Das Universum wächst, verändert sich. Fast täglich gibt es Aufgaben zu erledigen, oder es erscheinen alberne Vehikel wie Einkaufswagen, die sich als Fortbewegungsmittel verwenden lassen.

Als vor ein paar Wochen ein Spieler eine steile Klippe heruntergefallen war und sich nicht mehr befreien konnte, startete ein anderer Gamer eine Rettungsaktion – mit einem Golf-Wägelchen. Das Unterfangen scheiterte spektakulär: Der, den es zu retten galt, flog in hohem Bogen ins Meer und ertrank jämmerlich. Das Video verbreitete sich im Netz rasend schnell. Schliesslich programmierten die Fortnite-Macher eine digitale Gedenktafel an jener Stelle am Strand, wo das Unglück geschah. Die Community war entzückt.

Fortnite-Spielfigur

Im Anflug auf die Action-Welt: Fortnite gehört ein Jahr nach der Lancierung zur Popkultur.

Quelle: Epic Games
«Bei uns herrscht striktes Fortnite-Verbot»

Kurze Umfrage im Grossraumbüro. Es genügt, das Stichwort «Fortnite» in die Runde zu werfen, schon prasseln Kommentare aus den Müttern und Vätern. «Meine Tochter tanzt mit ihren Freundinnen ständig den Boogie Down», sagt ein Layouter. Früher verrenkte man sich auf Campingplätzen an der Adria und in den Dorfdiskotheken kollektiv zu «La Macarena» oder «Saturday Night», heute imitieren die Kids die Winner-Moves der Fortnite-Avatare.

«Bei uns herrscht ein striktes Fortnite-Verbot», sagt eine Bildredaktorin. Das habe den Sohnemann aber nicht daran gehindert, einen Nachmittag auf der Couch des Nachbarsjungen zu verbringen, wo die Lüftung der Playstation gegen die hochsommerlichen Temperaturen ansurrte. «Als ich die Jungs spielen sah, gabs das grösste Donnerwetter.»
 

«Eltern sollen dabei sein, wenn ihr Kind spielt, und Abmachungen treffen, wie lange gespielt werden darf.»

Philipp Rüegg, Game-Experte


Game-Experte Philipp Rüegg spricht sich gegen ein Verbot aus. «Eltern sollen dabei sein, wenn ihr Kind spielt, und Abmachungen treffen Kinder und Internet Wie sollen Eltern das Surfen regeln? , wie lange gespielt werden darf.» Dieses Begleiten werde freilich dadurch erschwert, dass Fortnite auch auf dem Smartphone spielbar ist. «Bei uns wars einfacher, da wurde dem PC der Stecker gezogen.»

Grosser Profit mit In-Game-Käufen

Ein spezielles Auge müsse man auf die In-Game-Käufe werfen, sagt Rüegg. Hier macht Hersteller Epic nämlich den grossen Reibach. Das Spiel ist zwar gratis, neue Tanzschritte (Emotes), die Kostüme, Gleiter und Spitzhacken kosten jedoch echtes Geld. Die «epische» Ritterrüstung «Highland Warrior» zum Beispiel gibts derzeit für 1500 V-Bucks, das sind rund 15 Franken. Über eine Milliarde Dollar hat Epic bislang so eingenommen. Theoretisch könnte man diese Dinge auch ohne Geld freispielen Games Für Kinderaugen nicht geeignet , das erfordert aber viel Können – und noch mehr Geduld. Zumal die meisten Waffen oder Outfits nur für begrenzte Zeit erhältlich sind.

Eigentlich sind In-Game-Verkäufe vielen Spielern ein Dorn im Auge. Oft ist es so, dass jemand, der viel investiert, auch bessere Gewinnchancen hat. Man erkauft sich sozusagen einen Vorteil. Sei es mit Knarren, die mehr Schaden anrichten, oder mit flinkeren Raumschiffen. Bei Fortnite haben diese Käufe hingegen keinen Einfluss auf das Spiel, es sind rein ästhetische Upgrades. Natürlich ist das ein cleverer Einfall der Fortnite-Erfinder: Niemand muss Geld ausgeben, um zu gewinnen. Aber alle wollen Geld ausgeben, um beim Gewinnen noch cooler auszusehen.

Digitale Statussymbole

Wer abends mit dem rosaroten Teddy-Kostüm durch Fortnite sprintet, macht sich am nächsten Tag auf dem Pausenplatz zum Gespräch. Diese digitalen Statussymbole sind eine Fortsetzung des Kults um Markenkleider. «Früher musste es der neue Nike-Turnschuh sein, heute ist es das neue Fortnite-Outfit», sagt Philipp Rüegg. Damit imponiere man den Schulfreunden, die ebenfalls in Fortnite unterwegs seien. Auch diesbezüglich müsse man mit den Sprösslingen eine Vereinbarung finden. Eine, die auch im «richtigen» Leben funktioniert, wo es nicht alle Tage einen neuen Lego-Bausatz gibt. Eine solche Regel könnte laut Rüegg etwa lauten: «Dreimal Rasenmähen gibt ein neues Fortnite-Gadget.»

Dass ein Game quasi über Nacht einschlägt wie eine Bombe, passiert immer wieder. Eine Zeit lang schien die ganze Welt Minecraft oder Pokémon Go Smartphone-Apps Nehmt ruhig meine persönlichen Daten! zu spielen. Doch diese Hypes waren nichts im Vergleich zu dem, was derzeit mit Fortnite geschieht. 60 Millionen Mal wurde die Software runtergeladen, oft sind bis zu drei Millionen Gamer gleichzeitig online. In den USA, berichtet das «Wall Street Journal», würden Eltern ihren Kindern Fortnite-Nachhilfeunterricht spendieren. Vier Stunden für 50 Dollar. Eine besorgte Mutter klagt, ihr Sohn werde in der Schule von Kollegen gehänselt, weil er so schlecht spiele.
 

«Kinder erliegen diesem Gruppenzwang total. Fortnite schöpft das Taschengeld einer Generation ab.» 

Marcus Hammerschmitt, Schriftsteller und Journalist


So weit ist es in der Zürcher Schule von Noah, 12, noch nicht. Er darf täglich eine halbe Stunde Fortnite spielen. «Meistens wirds mehr.» Früher habe er lieber die Fussball-Simulation Fifa gespielt, dann hätten aber plötzlich alle mit Fortnite angefangen. «Am Anfang war ich megaschlecht», erzählt Noah. «Weil ich dazugehören wollte Mobbing Wenn Kinder einander fertigmachen , habe ich ganz viel trainiert.» Sein Rekord sind «neun Kills in einer Runde».

Auch Noah hat schon Geld ausgegeben für neue Outfits. So musste ein iTunes-Gutschein dranglauben, den er geschenkt bekommen hatte. Seine Figur trägt ein Raben-Kostüm. «Das ist ziemlich cool.» Noch angesagter in seinem Freundeskreis ist aber das rote Omega-Outfit. Kosten: etwa 150 Stunden Lebenszeit – oder rund 150 Franken.

«Die Erwachsenen müssen endlich begreifen, was da gerade passiert»

Der berühmte US-Unternehmer John Davison Rockefeller verscherbelte einst Öllampen, um das teure Öl zu verkaufen. Heute funktioniert der Markt für Kaffeekapseln oder Druckerpatronen ähnlich. Mit Fortnite ist dem Entwicklerstudio Epic etwas Erstaunliches gelungen – die Digitalisierung des Rockefeller-Systems. Mit der gleichzeitigen Abkehr vom unsympathischen «Pay to win»-Prinzip, bei dem sich die Gamer ständig neue, noch bessere Waffen kaufen müssen, um unbesiegbar zu werden, haben die Spieledesigner den perfekten Prototyp einer Cashcow gebaut. Wer den Leuten das Geld freundlich aus der Tasche zieht, bleibt unverdächtig. Mit der kostenlosen Basis-Spielfigur kannst du alles spielen, suggeriert Fortnite. Dabei bestückt Epic seinen Shop mit ständig neuen Begehrlichkeiten. Wer sich damit schmückt, geniesst mehr Anerkennung.

«Kinder erliegen diesem Gruppenzwang total», sagt der deutsche Schriftsteller und Journalist Marcus Hammerschmitt. Der Leidensdruck sei gross, wenn man sich gewisse Gegenstände im Spiel nicht leisten könne. «So schöpft Fortnite das Taschengeld einer Generation ab.» Der Science-Fiction-Experte spricht von einer «Welle an verführerischem Zeug, die da durch die Kinderzimmer rollt». Dies müsse nicht zwingend Teufelszeug sein. Denn der Wunsch, jemand anderer zu sein, sei schliesslich so alt wie die Menschheit selbst. Die Grosseltern tanzten auf dem Maskenball im «Bären», die Enkelin tanzt in Fortnite. Die Grenzen zwischen virtueller und physischer Realität lösen sich auf. Während frühere Generationen sich bei einer Waldlichtung oder einem Shoppingcenter zum Abhängen verabredeten, treffen sich die Jungen heute in digitalen sozialen Räumen. «Die Erwachsenen müssen endlich begreifen, was da gerade passiert», sagt Marcus Hammerschmitt.

Max hat sich jetzt in einem Schuppen von «Tomato Town» verschanzt. Die Schrotflinte hat er gegen ein Scharfschützengewehr getauscht. Noch leben 45 seiner Konkurrenten, verrät die Anzeige auf dem Bildschirm. Max hört eine Tür ins Schloss fallen. Ein Gegner, ganz in der Nähe.

«Im Nahkampf habe ich keinen Stich», sagt er. Bald muss er raus aus dem Versteck, der Sturm treibt die Spieler unbarmherzig ins Zentrum, das Schlachtfeld wird im Minutentakt kleiner. «Das muss so sein, sonst würde es ewig dauern», sagt Max. Dann plötzlich ein Zischen, gefolgt von einem Knall – Max hats erwischt, eine Lenkrakete hat seiner Spielfigur den Garaus gemacht. Scharfschützengewehr und Verbandsmaterial liegen am Boden. Seine Bezwingerin sammelt den Plunder ein und hüpft von dannen. Für sie heisst es nun eine gegen 44. Und für Max, nachdem er das Spiel «1 gegen Papi und Mami» ebenso verloren hat: «Ab ins Bett!»

«Man lernt sich durch Cosplay selber kennen»

loading...
Sie erweckt Figuren aus Games, Mangas und Animes zum Leben: Cosplayer Franziska Anneler erzählt, warum in den Charakteren stets etwas von ihr selbst steckt.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
Merkblatt «Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen» bei Guider

Wann sind Kinder alt genug für ein Social-Media-Profil? Wie können Eltern ihre Kinder zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Medien erziehen? Antworten dazu lesen Beobachter-Abonnenten im Merkblatt «Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen».

Buchtipp
Digital-Life-Balance
Digital-Life-Balance
Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox
«Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox»
Peter Aeschlimann, Redaktor
Der Beobachter Newsletter