Draussen bläst der Winterwind, drinnen im Supermarkt machen die frischen, knackigen Auslagen im Gemüseregal Lust auf einen gemischten Salat. Ein wenig Sommer fürs Gemüt. Die Tomaten sind rot und prall, der Kopfsalat ist so prächtig wie im schönsten Juli. Doch beim Blick auf die Herkunftsbezeichnung der Ware nagt das Umweltgewissen: Darf man bei diesem Gemüse zugreifen?

Da stapeln sich Tomaten aus Marokko oder Spanien. Der Kopfsalat ist im beheizten Gewächshaus in der Schweiz oder in Holland herangereift. Es ist ein Dilemma: Im Winter wird frisches Gemüse und Obst entweder quer über Kontinente und Ozeane transportiert oder unter viel Energieaufwand bei uns im kalten Norden angebaut.

Drei Regeln für Einkauf und Küche

 

  1. Fleisch-, Eier- und Milchkonsum zugunsten einer fleischarmen, aber vollwertigen Ernährung reduzieren.
     
  2. Saisongerechtes Gemüse aus regionalem Anbau wählen und auf Gewächshausprodukte möglichst verzichten.
     
  3. Energiesparend kochen und kühlen, möglichst keine Tiefkühlprodukte verwenden und Abfall vermeiden.
     
Nicht immer ist einheimisch besser

Solches Sinnieren am Gemüseregal ist nicht trivial: Unsere Ernährung belastet die Umwelt erheblich. Sie ist für rund ein Drittel der Schäden an Klima, Natur, Boden und Gewässern verantwortlich, die jeder Konsument pro Jahr verursacht, wie Umweltanalysen in mehreren europäischen Ländern zeigen. Damit fällt sie so stark ins Gewicht wie die Belastung, die das Heizen erzeugt. Sie liegt sogar noch vor der Mobilität mit Autofahrten und Ferienflügen. Einige Gedanken zur Umweltverträglichkeit sind beim Einkauf durchaus angebracht.

Wie viel Erdöl steckt in einem Kilo Spargel? Wie viele Lastwagenkilometer legen die Rohstoffe für ein Himbeerjoghurt zurück? Diese Art von Rechnungen ist das Metier von Niels Jungbluth, Geschäftsführer der auf Öko-Bilanzen spezialisierten Beratungsfirma ESU-Services. Firmen oder Behörden wenden sich an ihn, wenn sie die durch bestimmte Produkte verursachten Umweltbelastungen vergleichen wollen. Bei Lebensmitteln fliessen Aspekte wie Luft- und Klimaschadstoffe, Boden- und Wassernutzung, Pestizid- und Düngerverbrauch sowie der Verlust von Biodiversität in eintönigen Monokulturen in die Kalkulation mit ein – also der Alltag der intensiven Nahrungsmittelproduktion, vom ersten Pflügen bis zum Gratinieren im Ofen.

Oft tritt dabei Überraschendes zutage: Das Institut für Umweltwissenschaften an der ETH Zürich erstellte 2008 im Auftrag von Coop eine Bilanz. Sie ergab, dass im Winter für sonnengereifte Tomaten aus Spanien weniger Energie aufgewendet wird als für solche aus beheizten Gewächshäusern der Schweiz – trotz des weiten Transportwegs. Im Hochsommer erhältliche Schweizer Äpfel, die seit dem Herbst gelagert wurden, sind nicht wesentlich umweltfreundlicher als ihre frischen Pendants aus Neuseeland. Die 17'000 Tonnen Gurken, die in der Schweiz pro Jahr verkauft werden, schädigen die Umwelt fast dreimal mehr als die viermal häufiger verkauften Karotten, die im Freiland gedeihen. Der Sinn solcher Berechnungen: «Ökobilanzen stellen eine künstliche Transparenz her im Hinblick auf das, was wir konsumieren», so Jungbluth.

Saisontabelle Obst und Gemüse

In der Saisontabelle sehen Sie auf einen Blick, welches Obst und Gemüse wann Saison hat: Saisontabelle (PDF, 44 kb)

Am meisten bringt Fleischverzicht

Die ratlose Kundin in der Gemüseabteilung muss aber nicht kopfrechnen. Für den Heimgebrauch gebe es einige glasklare Faustregeln, sagt Jungbluth: Die grösste Ökotat sei es, öfter vegetarisch zu essen. Der Konsum von Fleisch und tierischen Produkten wie Milch und Eiern ist für fast die Hälfte der gesamten Umweltbelastung durch Lebensmittel verantwortlich. Nicht der Transport, sondern die Produktion ist dabei das Problem: Der Futteranbau verschlingt Treibstoff und Land, und eine grosse Menge Energie geht verloren, weil für ein Kilo Fleisch viele Kilos Futter pro Tier aufgewendet werden müssen. Zusätzlich schädigen die Methan-Rülpser von Millionen von Wiederkäuern das Klima.

Zudem empfehle es sich, saisonale Produkte zu kaufen. Im Winter stehen Nüsslisalat, Chicorée und Kohlrabi als Vitaminlieferanten zur Verfügung – der Kopfsalat mit Tomatenbeilage ist erst im Frühling wieder aktuell. Denn lange Transportwege und vor allem beheizte Gewächshäuser belasten die Umwelt. Am gravierendsten sind jedoch die Flugtransporte: Ein Kilo aus Peru eingeflogene Bohnen «verbraucht» fünf Liter Erdöl, bis es im Laden liegt – ein Kilo Schweizer Freilandbohnen gerade mal einen Deziliter, ergaben Jungbluths Bilanzen. Grüner Spargel aus Südamerika, der per Flugzeug reist, ist zwölfmal klimaschädlicher als weisser Spargel, der von dort per Schiff zu uns kommt.

Viele Konsumenten wollen das Richtige tun, kaufen aber das Falsche: Das Saisonwissen der Konsumenten ist dürftig, belegt eine Studie des WWF Schweiz. 500 Testpersonen wurden zur Kirschen-, Trauben-, Bohnen- und Tomatensaison befragt. Das Ergebnis: Nur jeder Zweite kennt die Reifezeit von Kirschen und Trauben, über die der Tomaten weiss gar nur jeder Dritte Bescheid. Bei den Bohnen lagen immerhin zwei Drittel richtig. Die Diskrepanz zwischen diesem Resultat und der löblichen Absicht ist eklatant: Fast jeder zweite Befragte gab an, beim Einkaufen immer auf die Saison zu achten; weitere 40 Prozent achten angeblich manchmal darauf.

Quelle: Thinkstock Kollektion
Angebot an Konkurrenz angepasst

Das Unwissen erstaunt nur auf den ersten Blick: Heute dauert die offizielle Schweizer Anbausaison für Tomaten vom 1. Mai bis zum 20. Oktober, für Kopfsalat gar vom 1. März bis kurz vor Weihnachten. Das widerspricht der natürlichen Vegetationsperiode und wäre im reinen Freilandanbau unmöglich. Kein Wunder also, hat sich die Fläche der Gewächshäuser seit 1996 verdoppelt. Sobald es kalt wird, bietet aber selbst ein Dach über dem Kopf den Pflänzchen keinen ausreichenden Schutz mehr: Die Plastiktunnel und Glashäuser werden beheizt; das Gemüse ist viel länger verfügbar. Das führt dazu, dass der Konsument das Gefühl dafür verliert, wann und wie seine Nahrung erzeugt wird.

Die Supermärkte tragen das Ihre zur Verwirrung bei. Zwar informieren Migros und Coop, die zusammen etwa 70 Prozent der Lebensmittel in der Schweiz verkaufen, mit Saisontabellen, saisonalen Einkaufstüten und jahreszeitlich abgestimmten Kochtipps in den Kundenzeitschriften. Coop etwa bot letzten Herbst eine Tragetasche mit Herbst- und Wintergemüsemotiven an; Migros zeichnet mit dem unabhängigen Label Climatop extra klimafreundliche Produkte wie etwa europäischen Spargel aus.

Doch gleichzeitig liegt jahraus, jahrein fast die gleiche breite Auswahl in den Läden. Das grosse Angebot ist Pflicht – sonst könnte der Kunde zur Konkurrenz abwandern.

Marokko-Spargel als Alternative

Es ist eine Gratwanderung zwischen Nachfrage und Nachhaltigkeit. «Beim Kunden werden Bedürfnisse geschaffen», kritisiert Umweltberater Jungbluth. «Früher wäre es niemandem in den Sinn gekommen, im Februar Spargel zu verlangen. Ausserdem bilden die Firmen auch die Saisonpreise zu wenig ab.» Äpfel zum Beispiel kosten immer etwa gleich viel, unabhängig von der Saison. Und mitten im Winter täuschen Aktionen vor: Jetzt ist Spargelzeit!

Coop will diesen Umweltunsinn beheben und hat in Marokko eine Produktion für Grünspargel aufgebaut, der per Schiff transportiert wird. Überdies werden sämtliche Flugtransporte mit dem «By Air»-Aufkleber gekennzeichnet und nicht mit Sonderangeboten beworben. Die Migros verzichtet auf eine solche Deklaration, da weniger als ein halbes Prozent ihres gesamten Frucht- und Gemüsesortiments per Flugzeug eintrifft, während 40 Prozent aus der Region stammen. Allerdings verursache dieser kleine Luftfrachtanteil grob geschätzt ein Drittel aller transportbedingten Treibhausgasemissionen bei Obst und Gemüse, hält Jungbluth entgegen.

Was nicht heissen soll, dass die beiden Grossen im Detailhandel nichts für umweltgerechtere Bedingungen tun. Hinter den Kulissen verbessern sie Logistik und Verpackungen, damit weniger Esswaren verderben. Welkt dennoch Salat oder schimmeln Nektarinen, so werden sie in Biogasanlagen in Treibstoff umgewandelt. Migros wie Coop kaufen die Rohstoffe für ihre industriellen Betriebe, die Joghurt, Backwaren oder Fruchtsäfte herstellen, nach Möglichkeit in der Schweiz ein und kooperieren in Nachhaltigkeits- oder Umweltprojekten mit dem WWF. Die Marktführer verlangen internationale Mindeststandards für alle Agrarprodukte, und sie setzen den Löwenanteil der Bioprodukte in der Schweiz ab.

Die Restverantwortung liegt beim Konsumenten – und bei der Politik. Gemäss WWF lautet die Formel für umweltfreundlichen Genuss: «fleischlos, frisch, saisonal und einheimisch». Allerdings rentiert sich der Gemüseanbau hierzulande nur wegen der hohen Schutzzölle, die während der Schweizer Vegetationsperiode für Importprodukte erhoben werden. «Nur dank den Einfuhrzöllen kann in der Schweiz überhaupt konkurrenzfähig Gemüse produziert werden», erklärt Timo Weber, Leiter des Bereichs Markt und Politik beim Verband der schweizerischen Gemüseproduzenten.

Auch Soziales ist von Wert

Sollten die Zollschranken jedoch bei der nächsten Welthandelsrunde oder bei einem Freihandelsabkommen mit der EU fallen, können die Schweizer zwar billigeres Gemüse aus Europa oder südlichen Ländern kaufen, sie haben aber über dessen Erzeugung keinerlei Kontrolle mehr.

Beim verantwortungsvollen Konsum geht es nicht nur um Erdöl, sondern auch um Aspekte wie den Erhalt der Landschaft, das Wohl der Tiere und soziale Rücksicht. So lässt Coop weiterhin Rosen aus Afrika einfliegen, denn die dortige Produktion unter dem Max-Havelaar-Label sichert gerechte Arbeitsplätze. Auch die Bioproduktion zeigt ihre Stärke: Sie schont Boden und Wasser, fördert artgerechte Tierhaltung und Artenvielfalt; ausserdem sind unter dem «Bio Suisse»-Label Flugtransporte und beheizte Treibhäuser verboten. Ein Wermutstropfen ist, dass der Biolandbau mehr Fläche und höheren Maschineneinsatz für den gleichen Ertrag benötigt.

Aber zurück zur Konsumentin am Gemüseregal: Welche Tomaten soll sie denn nun kaufen die aus Spanien oder die aus Marokko? Im Prinzip kann sie die Tomaten nehmen, die ihr besser schmecken – wenn sie dafür mit dem Velo statt mit dem Auto zum Einkaufen fährt.

Ökobilanz: Rechnen und gewichten

Ökobilanzen ermitteln die Umweltauswirkungen von Gütern, Dienstleistungen oder Betrieben. So können ökologische Schwachpunkte geortet werden. Ein Beispiel: Für die Analyse der Umweltbelastungen von Gemüse und Früchten haben Umweltingenieure der ETH Zürich im Auftrag von Coop Folgendes als relevant definiert:

  • Produktionsmittel: Maschinen, Dünger, Pestizide, Gebäude
  • Ressourcen: Boden, Erdöl, Wasser, Torf, Elektrizität
  • Produktionssystem: Anbau, Ernte, Lagerung, Sortierung, Waschen
  • Emissionen in Boden, Luft, Wasser
  • Kühlung während des Transports per Flugzeug, Schiff oder Lastwagen
  • Lagerung im Laden, ohne Verpackung


Vollständig wird das Bild, wenn man die Konsumenten in der Analyse berücksichtigt: Benutzen sie für Einkäufe das Auto oder gehen sie zu Fuss? Wählen sie Fleisch oder Gemüse, Bio- oder konventionelle Produkte, tiefgekühlte oder frische Ware? Trinkt man Mineral- oder Leitungswasser?

Die gängigste Methode verteilt pro Aspekt eine gewisse Anzahl «Umweltbelastungspunkte». So lassen sich Probleme gewichten: Stuft man Umweltschäden vor Ort schlimmer ein als künftige Auswirkungen durch den Klimawandel? Sind krebserregende Pestizide schlimmer als der Verlust bedrohter Arten? Die Ergebnisse überraschen oft: Die vielgescholtene Verpackung fällt bei Lebensmitteln fast gar nicht ins Gewicht, Tiefkühlen und lange Transportwege hingegen stark.