Die Stadtpolizei schickte gleich eine Dreierpatrouille. Denn die Verwaltungsratssitzung war eskaliert – bevor sie überhaupt angefangen hatte. «Hausfriedensbruch», gab der Notar gegenüber den Beamten zu Protokoll und liess Matthias J. aus seinem Haus bringen. Die Sitzung in Baden fand ohne ihn statt. Das war im letzten Frühling.

Zum Polizeieinsatz war es wegen eines Streits um eine Erbschaft gekommen. Der Grossvater von Matthias J. hatte eine vierstöckige Liegenschaft neben dem Bahnhof Baden hinterlassen. Sie ist mehrere Millionen Franken wert. Verwaltet wird sie von einer Aktiengesellschaft, die der Erbengemeinschaft gehört.

Der Notar hat in dieser Erbengemeinschaft eine Machtposition, die auch die zuständige Aufsichtsbehörde für «höchst problematisch» hält. Denn der Aargauer Jurist tritt einerseits als neutraler Schiedsrichter auf, der Teilungsverträge ausarbeitet. Anderseits hat er Rechte an einem Erbanteil Nachlass Wer erbt was? erworben und ist somit Partei. Ein Interessenkonflikt. «Ich ging an die Verwaltungsratssitzung, um mich gegen die unhaltbare Doppelrolle des Notars zu wehren», sagt Erbe Matthias J. Doch statt zu einer Aussprache kam es zum Polizeieinsatz.

An bester Lage

Der Notar heisst Martin Schmidt und führt am Bahnhofplatz Baden seit über zehn Jahren ein Notariat – notabene in der umstrittenen Liegenschaft. Von seinem Büro überblickt er den städtischen Springbrunnen und die Fussgängerzone. Schmidt ist 58, hat einiges erreicht, seit er die Kanzlei eines stadtbekannten Anwalts übernahm. Heute gehören ihm zwei Zuger Immobiliengesellschaften und zwei Aargauer Altersheime, die er mit seiner Frau betreibt.

In einem der Altersheime wohnt seit Februar auch einer der treusten Kunden des Notars: der 80-jährige Joseph Ott*, Treuhänder im Ruhestand. Im vergangenen Dezember erlitt er einen Schlaganfall. Trotzdem verwaltet er bis heute als Willensvollstrecker den Nachlass der Familie J. Vor einem Jahr liess er sich gar auf den Präsidentenstuhl der Erben-Aktiengesellschaft Nachlass Beim Erben lernt man die Leute kennen wählen. Es war eine unfreundliche Machtübernahme.

Joseph Ott sollte als neutraler Vermittler den Willen des Grossvaters umsetzen. Eigentlich. Doch der betagte Mann ist seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen, stellte die Aufsichtsbehörde Mitte Oktober offiziell fest. Sie setzte ihn als Willensvollstrecker ab – auch weil er von Notar Schmidt «abhängig» sei. Die Aufsichtsstelle wirft Schmidt vor, dass er «eigene Interessen am Nachlass verfolgt».
 

«Der Willensvollstrecker kann sein Mandat nicht mehr gehörig und zielführend ausüben kann.»

Kantonale Aufsichtsbehörde


Tatsächlich ist Martin Schmidt mehr als nur ein Notar, der einen älteren Willensvollstrecker juristisch berät. Schmidt ist Immobilienspezialist und möchte das grösste Aktienpaket übernehmen und so auch die Kontrolle über die lukrative Liegenschaft. Das zeigen Vertragsentwürfe, die er den Erben in seinem Büro präsentierte.

«Schmidt spricht eloquent und überzeugend», sagt Erbe Matthias J. «Nach seinem Vortrag schien sein Teilungsplan eigentlich logisch. Doch ich fragte mich, weshalb plötzlich er den grössten Anteil am Haus besitzen sollte, obwohl es gemäss Testament meiner Familie gehört.» Statt zu unterschreiben, engagierte Matthias J. eine Anwältin.

Das Verhalten von Notar Martin Schmidt beunruhigt auch den 73-jährigen Vater von Matthias J. «Schmidt sagte mir, ich solle doch das Leben geniessen, er kümmere sich um alles.» Diverse Verträge habe Schmidt ihm vorgelegt, doch er habe nicht unterzeichnet. «Laut meinem Anwalt wären das sehr schlechte Verträge gewesen. Sie zielten darauf ab, dass Schmidt die Aktienmehrheit erlangt.»

Neu auch im Verwaltungsrat

Bei einem dritten Erben hatte Martin Schmidt mehr Erfolg. Von ihm übernahm er die Rechte an einem Erbteil . Wie viel Geld dabei floss, ist unklar. Er werde jetzt den Nachlass zur «vollständigen Erbteilung bringen», schrieb Schmidt den Erben per Mail. Wenige Wochen später liess er sich in den Verwaltungsrat wählen. Die anderen Verwaltungsräte erfuhren davon erst, als die Wahl schon vorbei war. Matthias J. sitzt seither nicht mehr im Verwaltungsrat. Auf seinem Stuhl Platz genommen hat Martin Schmidts Ehefrau.

Matthias J. wandte sich in der Folge an die zuständige Aufsicht. Sie hat dem betagten Joseph Ott das Mandat entzogen Anwaltskosten Streit mit dem Rechtsanwalt - was tun? . «Für die Aufsichtsbehörde steht fest, dass der Willensvollstrecker sein Mandat nicht mehr gehörig und zielführend ausüben kann. Er ist in jeder Beziehung auf Hilfe angewiesen – und dies zunehmend», heisst es im Entscheid. Ott erhalte «einseitig» Hilfe vom Ehepaar Schmidt, sowohl privat im Altersheim als auch geschäftlich als Willensvollstrecker und Verwaltungsratspräsident. Zudem habe er alle Akten dem Notar abgegeben. Deshalb sei klar, dass nicht mehr er, sondern «zunehmend» Schmidt den Nachlass verwalte. Ott sei «mit Schmidt kaum auf Augenhöhe». Er sei «offensichtlich» als Willensvollstrecker und Verwaltungsratspräsident «nicht mehr selbständig», schreibt die Aufsicht. Ott, eine Marionette.

Doch Willensvollstrecker Joseph Ott akzeptierte den Entscheid nicht. Sein Anwalt hat Verwaltungsbeschwerde erhoben, deshalb ist die Absetzung noch nicht rechtskräftig. «Nur weil ich 80 bin, heisst das nicht, dass ich geistig nicht mehr fit bin», erklärt Ott. Das Arztzeugnis belege das. Er brauche im Altersheim lediglich Hilfe beim Anziehen der Stützstrümpfe. Im Altersheim sei er wegen seines Schlaganfalls. Martin Schmidt sei so nett gewesen, ihm einen freien Platz in seinem Heim anzubieten. Es stimme nicht, dass alle Akten im Büro von Notar Schmidt seien. Er habe auch noch Papiere in seinem Zimmer. Hier besuche ihn Schmidt hin und wieder. Der Notar helfe ihm zwar, er sei aber keineswegs abhängig von ihm.

Martin Schmidt will die scharfe Kritik der Aufsichtsbehörde an seinem Verhalten nicht kommentieren. «Ich sehe keine Veranlassung, auf Ihren Fragenkatalog zu antworten», schreibt er dem Beobachter. Der Entscheid betreffe nicht ihn, sondern den Willensvollstrecker. Zudem habe er im Verfahren nie Stellung beziehen dürfen.

Ein vierter Erbe nimmt den Notar in Schutz. Er habe bloss Angebote unterbreitet. Da das Ehepaar Schmidt einen Erbanteil übernommen habe, sei es nur fair, dass die beiden ebenfalls im Verwaltungsrat vertreten seien.

«Nicht zuständig» 

Für die Aargauer Notariatskommission ist das Verhalten von Martin Schmidt mit dem Ansehen des Aargauischen Notariats vereinbar. Das geht aus einem Entscheid der Kommission hervor, den sie nach einer Aufsichtsanzeige getroffen hat. Allerdings hat sie gar nicht untersucht, ob ein Interessenkonflikt besteht. Dafür sei sie nicht zuständig. Die Notariatskommission hat bloss geprüft, ob sich Schmidt bei der Beurkundung der Verträge korrekt verhalten hat.

Doch Wegschauen hilft nicht, wenn ein Notar einen betagten Willensvollstrecker zu seiner Marionette macht. Das weiss auch der Präsident der Notariatskommission. In Zukunft werde man wegen des Falls Schmidt die nebenberuflichen Tätigkeiten von Urkundspersonen ebenfalls disziplinarisch beurteilen.


*Name geändert

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Quelle: Beobachter Edition
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