Für Islam Alijaj ist es ein grosser Tag. Der Ständerat sagte am Montag Ja zum Stimm- und Wahlrecht für alle. Bisher durften rund 16’000 Schweizerinnen und Schweizer mit einer kognitiven Beeinträchtigung nicht abstimmen. Der Zürcher Alijaj, der 2023 als erster Politiker mit Zerebralparese den Sprung in den Nationalrat geschafft hat, hat die Debatte mitverfolgt.

«Der Entscheid ist ein starkes Signal für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Das ist ein historischer Entscheid», sagt er zum Beobachter. Jetzt liege es am Bundesrat und am Volk, zu zeigen, dass die Demokratie in der Schweiz wirklich für alle gilt, so der Inklusionsaktivist. 

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Mit 29 zu 13 Stimmen bei 2 Enthaltungen unterstrich die kleine Kammer als Zweitrat, dass die diskriminierende Regelung in der Bundesverfassung abgeschafft werden muss. Artikel 136 besagt, dass Personen, «die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind», von der Ausübung politischer Rechte ausgeschlossen sind. Es geht um den Grundsatz der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger.

Verstoss gegen UN-Behindertenrechtskonvention

Dass die heutige Bestimmung in der Bundesverfassung nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vereinbar ist, hielt der Bundesrat 2023 in einem Bericht zur politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen fest.

Verschiedene Kantone gehen bereits mit gutem Beispiel voran: Ende 2020 beschloss Genf als erster Schweizer Kanton, die entsprechende Bestimmung in der Verfassung zu ändern. Es folgten Appenzell Innerrhoden und Glarus. Auch in Zürich, Zug und Solothurn wird eine solche Lösung angestrebt. 

Die Abstimmung ist auch ein Erfolg der ersten Behindertensession von 2023: Eine der Forderungen war, dass niemand aufgrund einer Behinderung vom Wahlrecht ausgeschlossen werden darf.

«Politik regelt einen Grossteil unseres Lebens. Mitzubestimmen bedeutet, als vollwertige Bürger anerkannt zu werden.»

Maya Graf, Ständerätin und Co-Präsidentin von Inclusion Handicap

Maya Graf, Ständerätin und Co-Präsidentin von Inclusion Handicap, sagt: «Politik regelt einen Grossteil unseres Lebens. Mitzubestimmen bedeutet, als vollwertige Bürger anerkannt zu werden.» Der Dachverband setzt sich für die Inklusion und die Respektierung der Rechte und der Würde aller Menschen mit Behinderungen ein. 

Klare Botschaft ans Stimmvolk

Mit der Annahme der Motion «Politische Rechte für Menschen mit Behinderungen» sendet das Parlament eine klare Botschaft an die Schweizer Stimmbevölkerung. Der Bundesrat hat nun die Aufgabe, die Motion umzusetzen. Da diese fordert, den diskriminierenden Text aus der Verfassung zu streichen, wird eine Volksabstimmung darüber nötig sein. 

Wann diese erfolgen wird, ist noch nicht bekannt. «Sie wird die Gelegenheit bieten, die Gleichstellung und den Beitrag von Menschen mit Behinderungen in der Bevölkerung zu thematisieren», sagt Philipp Schüepp von der Behindertenfachorganisation Pro Infirmis. Er ist sich sicher, dass das Volk dieser Diskriminierung ein Ende setzen wird.