Der Fall von Céline Pfister sorgte 2017 schweizweit für Entsetzen. Mit 13 Jahren nahm sich das Mädchen aus Spreitenbach AG das Leben, nachdem sie monatelangem Cybermobbing ausgesetzt war. Ihre Eltern Nadya und Candid Pfister kämpfen seither für besseren Schutz von Cybermobbing-Opfern. Für ihr Engagement zeichnete der Beobachter die beiden 2020 mit dem Prix Courage aus.

Es sah lange so aus, als würde die Schweizer Gesetzgebung etwas mehr im digitalen Zeitalter ankommen. Die parlamentarische Initiative von SP-Nationalrätin Gabriela Suter forderte einen expliziten Straftatbestand Cybermobbing, also für das systematische Beleidigen, Bedrohen oder Blossstellen von Personen über digitale Kanäle.

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Überraschende Kehrtwende im Parlament

Nationalrat und Ständerat stimmten zu, die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats (RK-N) arbeitete über Monate hinweg einen Vorschlag für einen neuen Artikel im Strafgesetzbuch aus.

Doch nun die Kehrtwende: Am 19. Dezember empfiehlt die Kommission dem Nationalrat, die Übung abzubrechen und den Vorstoss abzuschreiben. Die Begründung der Mehrheit: Das geltende Strafrecht genüge. Tatbestände wie üble Nachrede, Beschimpfung, Drohung oder Nötigung würden ausreichen. Ein neuer Artikel sei nicht nötig.

«Ein gefährliches Signal»

Bei der Stiftung Pro Juventute sorgt dieser Rückzieher für Unverständnis. «Die Kommission hat bereits einen konkreten Entwurf erarbeitet. Dass man diesen nun nicht einmal in die Vernehmlassung schickt, ist unverständlich», sagt Lulzana Musliu, Leiterin Politik und Medien bei Pro Juventute.

In einem offenen Brief an die Nationalräte warnt die Organisation vor den Folgen. «Wenn der Nationalrat der Empfehlung folgt und das Geschäft beerdigt, ist das ein fatales Zeichen», sagt Musliu. «Die Politik signalisiert diesen Jugendlichen damit: Euer Leid wird nicht ernst genommen.»

Zerstörerische Nadelstiche

Befürworter des neuen Gesetzes weisen seit Jahren auf eine Lücke im System hin. Cybermobbing funktioniert anders als klassische Gewalt. Es sind oft viele kleine Nadelstiche, die in der Summe eine zerstörerische Kraft entfalten. «Das Phänomen Mobbing via Smartphone muss im Gesetz klarer benannt werden», sagt Musliu.

Besonders tragisch ist die Entwicklung für Familien, die die Folgen hautnah erlebt haben. 

«Als Mutter eines betroffenen Kindes appelliere ich eindringlich, dass der gesetzliche Schutz im digitalen Raum dringend modernisiert werden muss.»

Nadya Pfister, Mutter von Céline Pfister

Dass die Politik nun kurz vor dem Ziel den Rückwärtsgang einlegt, trifft Nadya Pfister hart. Sie widerspricht der Meinung, die heutigen Gesetze würden genügen, vehement. Die zwei Jugendlichen, die Céline mit einem Intimbild mobbten, traf ein mildes Urteil: Sie kamen mit wenigen Tagen gemeinnütziger Arbeit davon.

Candid und Nadya Pfister isind für den Prix Courage 2020 nominiert

Candid und Nadya Pfister, die Eltern von Céline, haben 2020 für ihr Engagement gegen Cybermobbing den Prix Courage gewonnen.

Quelle: Christian Schnur/Beobachter

Justiz mit veralteten Werkzeugen

«In unserem Fall lautete das Urteil: Versuchte Drohung und Beschimpfung, weil Céline in den Chats keine Angst für Leib und Leben gezeigt hat», sagt Pfister. Das zeige das Dilemma der Justiz, die mit veralteten Werkzeugen arbeite. «Als Mutter eines betroffenen Kindes appelliere ich eindringlich, dass der gesetzliche Schutz im digitalen Raum dringend modernisiert werden muss.»

Am 19. Dezember liegt der Ball beim Nationalrat. Stimmt er gegen die Abschreibung, geht der Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung. Folgt er der Kommission, bleiben Mobbingopfer im Netz weiterhin ungenügend geschützt.

Hilfe in persönlichen Krisen

Diese Angebote sind schweizweit rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und ihr Umfeld da – vertraulich und kostenlos:

  • Dargebotene Hand: Telefon 143, 143.ch
  • Pro Juventute für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, 147.ch
  • Adressen von Beratungsangeboten in allen Kantonen: Reden-kann-retten.ch
  • Adressen und Infos für Hinterbliebene: Trauernetz.ch
Quellen