150 Millionen Franken Sparpotenzial bleiben weiter ungenutzt
Gegen die Augenkrankheit feuchte Makuladegeneration gibt es ein wirksames, sicheres und günstiges Medikament. Doch Pharma und Parlament blockieren seinen Einsatz.

Veröffentlicht am 22. Dezember 2025 - 18:37 Uhr

Das Parlament blockierte den «ökonomischen Off-Label-Use», mit dem der Bundesrat sparen wollte: Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider.
Es ist ein teurer Piks: Eine Spritze mit Eylea, einem Medikament gegen die feuchte Makuladegeneration (AMD), kostet rund 1000 Franken. Damit gehört Eylea zu den teuersten Arzneien überhaupt. Allein im letzten Jahr zahlte die obligatorische Grundversicherung (OKP) 162 Millionen Franken dafür, wie der aktuelle Arzneimittelreport der Helsana zeigt.
Medikamente treiben die Kosten
Der Report zieht ein klares Fazit: Die Kosten generell für Medikamente steigen unaufhörlich. 2024 beliefen sie sich auf 9,4 Milliarden Franken – ein Plus von 3,6 Prozent oder 323 Millionen Franken im Vergleich zum Vorjahr. Medikamente bleiben damit ein zentraler und wachsender Kostentreiber.
Der Beobachter-Prämienticker
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Umso unverständlicher ist es, dass ein enormes Sparpotenzial ungenutzt bleibt. Gegen AMD gibt es mit Avastin nämlich eine wirksame, sichere und deutlich günstigere Alternative. Der Bundesrat schätzte das Einsparpotenzial bereits 2020 auf mindestens 150 Millionen Franken. Heute dürfte es noch höher liegen.
Roche blockiert Avastin-Zulassung
Das Problem: Avastin ist ein Krebsmittel und wird von Hersteller Roche nicht für die Behandlung von AMD zugelassen. Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider erklärte im Februar, sie wolle bei diesem Thema dranbleiben. Nach Veröffentlichung des Helsana-Reports fragte der Beobachter bei der Bundesrätin nach dem aktuellen Stand.
Die Frage beantwortet hat schliesslich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in einem ausführlichen Schreiben. Das kurze Fazit: Wenn überhaupt, dürfte erst im Jahr 2027 wieder Bewegung in das Dossier kommen.
Parlament blockiert Sparvorschlag
Schuld am Stillstand ist nicht der Bundesrat. Er hatte ursprünglich vorgeschlagen, kostengünstigere Therapiealternativen auch dann zu bezahlen, wenn sie im sogenannten Off-Label-Use – also ausserhalb der zugelassenen Indikation – eingesetzt werden («ökonomischer Off-Label-Use»). Doch die parlamentarischen Kommissionen lehnten den Vorschlag ab. Deshalb wurde er nicht in die aktuelle Verordnungsrevision von 2024 zur Kostensenkung aufgenommen.
Das nächste Mal soll die Revision 2027 geprüft werden. Der Bundesrat will dann entscheiden, ob Anpassungen oder Ergänzungen – wie etwa der ökonomische Off-Label-Use – erforderlich sind. Doch auch wenn sich der Bundesrat erneut dafür aussprechen sollte, ist fraglich, ob das Parlament dieses Mal mitziehen wird. Vor allem die bürgerlichen Parteien haben sich dazu in einer aktuellen Umfrage des Beobachters ablehnend geäussert.
Roche und Novartis weisen Vorwürfe zurück
Während sich in der Schweiz die Parlamentarierinnen und Parlamentarier noch grundsätzlich über den Sinn und Unsinn von günstigen Therapiealternativen im Off-Label-Use streiten, hat Frankreich im Fall von Avastin bereits ein erstes Urteil gesprochen: Dort verhängte die Wettbewerbsbehörde gegen Novartis und Roche eine Rekordstrafe von 444 Millionen Euro.
Der Vorwurf: Beide Unternehmen hätten den Verkauf des teuren AMD-Medikaments Lucentis auf Kosten des günstigeren Avastin gefördert. Novartis soll zudem die Risiken des Off-Label-Use von Avastin übertrieben dargestellt haben. Da Roche und Novartis bei diesen Medikamenten über Beteiligungen und Lizenzverträge verflochten sind, profitieren beide von der aktuellen Situation.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Roche und Novartis haben Berufung eingelegt. Roche betonte gegenüber dem Beobachter, es habe keine Interessenkollision gegeben. Novartis erklärte, man habe stets im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht und den Interessen der Patientinnen und Patienten gehandelt.
In Italien verurteilt
Anders sah es die italienische Wettbewerbsbehörde: Auch sie verhängte Strafen, und zwar 90,5 Millionen Euro gegen Roche und 92 Millionen Euro gegen Novartis. Die Richter befanden, beide Unternehmen hätten sich abgesprochen, um die Off-Label-Nutzung von Avastin zu verhindern. Die Strafen in Italien sind inzwischen rechtskräftig.
Novartis «bedauerte» das italienische Urteil, während Roche erklärte, ihre Aufgabe sei es, neue Medikamente zu entwickeln.
Was denken Sie über die Schweizer Politik zu den Medikamentenkosten? Schreiben Sie uns in der Kommentarspalte!
- Italienisches Consiglio di Stato: Urteil gegen Roche und Novartis
- Französische Autorité de la concurrence: Urteil gegen Roche und Novartis





