Verrate mir deinen Standort und ich sage dir, wer du bist
Handys, Autos und sogar E-Bikes sammeln Standortdaten. Geraten sie in die falschen Hände, wird es gefährlich.
Veröffentlicht am 11. August 2025 - 15:20 Uhr
Wer seine Standortdaten auf dem Handy nicht blockiert, geht beträchtliche Risiken ein.
Der «Le Temps»-Journalist Kylian Marcos übergibt der ETH-Forscherin Nina Wiedemann für ein Experiment seine Google-Standortdaten. Ihr Algorithmus braucht nur einen Moment, um sein Leben zu durchleuchten: Er erkennt Wohn- und Arbeitsort, das Velo als bevorzugtes Verkehrsmittel und Marcos’ Leidenschaft für Sport und Kultur. Wie ist das möglich?
«Künstliche Intelligenz (KI) gibt den Datensammlern neue, mächtige Werkzeuge an die Hand, um grosse Datenmengen zu interpretieren und erschreckend genaue Persönlichkeitsprofile zu erstellen», sagt Wiedemann. «Das kompromittiert unsere Privatsphäre.»
Der Algorithmus kombiniert Standortdaten mit Informationen darüber, was sich dort befindet. Beispielsweise ein Theater. Das funktioniert sogar, wenn die Apps nur den ungefähren Standort weitergeben. Gemäss Wiedemann lassen sich Verhaltensmuster bei Ungenauigkeiten bis 100 Meter immer noch präzise vorhersagen; erst ab 1000 Metern verlieren die Koordinaten an Aussagekraft.
«Versicherungen könnten sich dafür interessieren, wie oft ich zum Arzt gehe, ins Fitnessstudio oder auf Partys, und ihre Konditionen entsprechend anpassen.»
Nina Wiedemann, ETH-Forscherin
Bei solchen KI-Anwendungen sieht Wiedemann hohes Missbrauchspotenzial: «Versicherungen könnten sich dafür interessieren, wie oft ich zum Arzt gehe, ins Fitnessstudio oder auf Partys, und ihre Konditionen entsprechend anpassen.» Regierungen können das KI-Standorttracking nutzen, um Oppositionelle auszuspionieren. Für Wiedemann ist klar: «Die verbreitete Einstellung ‹Ich habe nichts zu verbergen, also kümmert mich das Tracking nicht›, ist definitiv nicht mehr zeitgemäss.»
Auch Erik Schönenberger von der Digitalen Gesellschaft ist besorgt. Ein grosses Problem sieht er bei modernen Autos. «Das sind regelrechte Datenstaubsauger.» Die Digitale Gesellschaft habe versucht herauszufinden, welche Daten die Fahrzeuge sammeln. Das sei aber schwierig. «Für diese Fragen will niemand zuständig sein.»
Heikel sind Apps mit Werbung
Richtige Datenschleudern sind Wetter- und Spiele-Apps. Ingo Dachwitz von Netzpolitik.org erklärt das Prinzip: «Grundsätzlich geben alle werbefinanzierten Apps Daten über ihre Nutzer an Dutzende oder gar Hunderte Firmen im Ökosystem der Onlinewerbung weiter.»
«Wir konnten genaue Bewegungsprofile von einzelnen Personen erstellen: wo sie wohnen, arbeiten, ins Krankenhaus oder ins Bordell gehen.»
Ingo Dachwitz, Netzpolitik.org
Die Netzpolitik-Recherche «Databroker Files» zeigte, dass vom Handel mit Standortdaten eine reale Gefahr ausgeht. «Wir haben von Datenhändlern riesige Datensätze mit teils sehr genauen Standorten von Millionen Menschen erhalten. So konnten wir genaue Bewegungsprofile von einzelnen Personen erstellen: wo sie wohnen, arbeiten, ins Krankenhaus oder ins Bordell gehen.» Selbst hochrangige Beamte, Soldaten und sogar Mitarbeitende von Geheimdiensten lassen sich so ausspionieren – eine grosse Gefahr für die nationale Sicherheit.
Netzpolitik.org fordert ein rigoroses Verbot, Standortdaten für Werbung zu sammeln oder damit zu handeln. Der auf Cyber-Themen spezialisierte Freiburger Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne) sieht dafür in der Schweiz derzeit aber keine Mehrheit. Immerhin: Bei der elektronischen Identität (E-ID), über die wir im September abstimmen, habe das Parlament auf Datensparsamkeit gesetzt: Daten entstünden möglichst gar nicht und würden nur lokal unter Kontrolle der Nutzer gespeichert.
- Standortfreigabe entziehen: Deaktivieren Sie in den Smartphone-Einstellungen standardmässig den Standortzugriff für alle Apps.
- Werbe-ID (MAID) sperren: Verbieten Sie die Nutzung der Werbe-ID, mit der Sie von Werbetreibenden wiedererkannt werden. Dazu in den Einstellungen Ihres Smartphones allen Apps die Verwendung der MAID untersagen. Bei Android findet sich diese Option unter Google-Dienste / Alle Dienste / Werbung. Bei iOS findet man sie unter Datenschutz / Tracking / Tracking für Apps verbieten.
- Werbefinanzierte Apps meiden: Auf Apps mit personalisierter Werbung verzichten. Selbst bei deaktivierten Berechtigungen fliessen bei Werbeauktionen Daten an unzählige Firmen.
- ETH-Studie: Was Standortdaten verraten
- Netzpolitik.org: Databroker Files