Kommentar
Warum der Eigenmietwert nichts als gerecht ist
Es gibt viele Gründe, gegen die Abschaffung des Eigenmietwerts zu sein. Einer davon ist Gerechtigkeit – und damit der soziale Zusammenhalt.
Veröffentlicht am 31. August 2025 - 06:00 Uhr
In der Schweiz sollen alle nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden – doch was heisst das konkret?
Quelle: KeystoneViele Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer ärgern sich, dass sie in der Steuererklärung eine fiktive Miete ihres eigenen Hauses als «Eigenmietwert» einsetzen und so versteuern müssen. Wieso sollen sie auch noch Miete zahlen für das Haus, das sie sich mühsam erspart haben? Darum weg mit dem unverständlichen Eigenmietwert!
Klingt vernünftig. Aber beim Eigenmietwert geht es eigentlich um etwas sehr Grundsätzliches: Es geht um Gerechtigkeit. Denn, so formuliert es unsere Bundesverfassung in Artikel 127: Jede und jeder in der Schweiz soll nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Und weil es um Gerechtigkeit geht – um einen Kernwert des Beobachters –, nehmen wir ausnahmsweise zu einer Abstimmungsvorlage Stellung.
Was heisst «Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit»? Nehmen wir den Fall von Frau Müller und Herrn Egli (danke, NZZ, für das gute Beispiel!). Beide verdienen gleich viel und haben das gleiche Vermögen von einer Million Franken. Sie sind also wirtschaftlich gleich leistungsfähig.
Frau Müller und Herr Egli im Vergleich
Frau Müller ist aber Mieterin. Herr Egli ist Hauseigentümer und hat fürs Wohnen keine Kapitalkosten, weil er sein Haus abbezahlt hat.
Hauseigentümer Eglis Million steckt in der Liegenschaft. Mieterin Müller hat ihre Million hingegen in Obligationen, Aktien und Immobilienfonds angelegt. Daraus erwirtschaftet sie einen Ertrag (ohne allfällige Kursgewinne) von 30’000 Franken. Diesen Ertrag muss sie versteuern.
Damit Mieterin Müller nun nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gleich besteuert wird wie Hauseigentümer Egli, braucht es den Eigenmietwert. Das ist der Wert, den Egli aus seiner Immobilie herausholen könnte, wenn er das Haus nicht selbst bewohnen, sondern vermieten würde.
Eigentlich geht es um ein Naturaleinkommen
Das Bundesgericht betrachtet Eglis Eigenmietwert als Naturaleinkommen – ein Einkommen, das man nicht in Geld, sondern in Naturalien bekommt – wie etwa Kost und Logis, die ein Arbeitnehmer als Teil seines Lohns erhält. Wenn wir annehmen, dass Eglis Eigenmietwert 30’000 Franken beträgt, werden Egli und Müller im Sinne der Bundesverfassung gleich besteuert.
Wenn wir also den Eigenmietwert abschaffen, entsteht eine Ungleichbehandlung von Mietern und Hauseigentümern, welche die Bundesverfassung nicht will.
Gleichzeitig verstärken wir dadurch eine Tendenz, die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren immer deutlicher zeigt: Mieter fühlen sich gegenüber Hauseigentümern im Nachteil, weil die Mieten exorbitant gestiegen sind, der Hypozins jedoch, also ein wichtiger Teil der Wohnkosten der Hauseigentümer, insgesamt sank. Gleichzeitig hat sich der Wert von Immobilien in den letzten zwanzig Jahren je nach Lage sogar verdreifacht. Das Vermögen der Hauseigentümerinnen stieg also stark. Mietende können sich hingegen kaum mehr leisten, ein Haus zu kaufen.
Es drohen soziale Spannungen
Pech gehabt, könnte man sagen. Ja, aber dadurch tut sich eine Kluft zwischen den rund 60 Prozent Mietern und 36 Prozent Hauseigentümern auf. Eine solche Kluft bei einem existenziellen Gut wie Wohnen bringt soziale Spannungen. Darum kann man die Steuer auf den Eigenmietwert auch als eine Art Spende für Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt betrachten.
Auch die meisten Ökonomen und Steuerrechtlerinnnen loben den Eigenmietwert als gerechtes System. Dass die Schweiz mit dem Eigenmietwert also weltweit fast allein dasteht, ist kein Grund, das System zu ändern, sondern im Gegenteil: Die andern sollten es vielleicht auch einführen.
Transparenzhinweis: Dominique Strebel ist Mieter und besitzt kein Wohneigentum, seine Eltern hingegen schon. Er stellt sich diese Fragen vor allem als Staatsbürger.
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