Tausenden wurden in der Psychiatrie Münsterlingen ohne ihr Wissen pharmazeutische Prüfsubstanzen verabreicht – über Jahrzehnte. Seit Anfang Jahr können Betroffene beim Kanton Thurgau eine Entschädigung beantragen. 

Bislang haben 86 Personen ein Gesuch gestellt. 43 von ihnen erhielten einen Solidaritätsbeitrag in der Höhe von 25’000 Franken zugesprochen. Insgesamt 1,075 Millionen Franken hat der Kanton Thurgau den Opfern damit zugesprochen. 43 Gesuche wurden abgelehnt. Das teilte das Staatsarchiv Thurgau vor wenigen Tagen mit.

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Psychiater Roland Kuhn testete für Pharmafirmen nicht zugelassene Substanzen an teilweise ahnungslosen Patienten.

Anspruch auf einen Solidaritätsbeitrag haben Personen, die von den umfangreichen Medikamentenversuchen des Psychiaters Roland Kuhn zwischen 1940 und 1980 betroffen waren. Dieser testete für Pharmafirmen nicht zugelassene Substanzen an den teilweise ahnungslosen Patienten. Der Beobachter berichtete 2014 erstmals über diese erschütternde Geschichte.

Viele wissen nicht, ob sie betroffen waren

Die Vorgaben für eine Entschädigung sind klar: In der Krankenakte oder im Nachlass von Roland Kuhn muss eine Prüfsubstanz erwähnt sein. Die Erben der Betroffenen sind explizit ausgeschlossen. Der Kanton Thurgau rechnet mit bis zu 500 Gesuchen und Kosten von rund 12,5 Millionen Franken. Gesuche können bis Ende 2028 eingereicht werden. 

Gemäss den Historikerinnen und Historikern waren bis zu 3000 Personen betroffen.

Dass bisher die Hälfte der Gesuche abgelehnt wurde, liege daran, dass viele schlicht nicht wüssten, ob sie betroffen gewesen seien. Das erklärt Urban Stäheli vom Staatsarchiv Thurgau auf Anfrage: «Viele Leute wollen zu Recht wissen, ob sie eine Prüfsubstanz erhalten haben.» Potenziell Betroffenen rät er: «Stellen Sie unbedingt ein Gesuch, auch wenn Sie nicht sicher sind. Das schafft Klarheit.» Die Fälle seien in den Akten gut dokumentiert.

2019 bestätigte ein detaillierter Bericht einer Forschergruppe der Universität Zürich, dass in der Thurgauer Psychiatrie jahrzehntelang umfangreiche Medikamentenversuche durchgeführt wurden. Gemäss den Historikerinnen und Historikern waren bis zu 3000 Personen betroffen.

 

So beantragen Betroffene eine Entschädigung

Staatsarchiv Thurgau: Gesuchformular für Entschädigungsanträge

Staatsarchiv Thurgau: Medikamententests

Quellen