«Diese Argumentation macht mich ziemlich giftig»
Der Giftnotruf fordert vom Bundesamt für Gesundheit 1,1 Millionen Franken Soforthilfe. Dieses schiesst öffentlich zurück. Der Beobachter hat beim Stiftungsratspräsidenten von Tox Info Suisse nachgefragt, was da los ist.
Veröffentlicht am 8. Juli 2025 - 17:44 Uhr
Kinder sind besonders gefährdet: Der Giftnotruf 145 ist die erste Anlaufstelle.
Der Giftnotruf 145 steht vor dem Aus. Das Giftkompetenzzentrum Tox Info Suisse hat letzte Woche eine Petition lanciert, in der es 1,1 Millionen Franken von der zuständigen Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider und vom Bundesamt für Gesundheit fordert. Der aktuelle Beitrag des Bundes betrage nur zehn Prozent der Gesamtkosten, die übrigen Beiträge reichten nicht aus, um die Ausgaben zu decken.
Das Bundesamt für Gesundheit hielt dagegen: Die Finanzlücke sei entstanden, weil sich bisherige Träger wie der Schweizerische Versicherungsverband oder Santésuisse zurückgezogen hätten. Zudem beteiligten sich die Spitäler nur in geringem Ausmass an den Kosten, obwohl sie von den Leistungen des Giftnotrufs profitieren. Eine Erhöhung der Bundesbeiträge sei nicht möglich. Aktuell erarbeite man Massnahmen, «die die Finanzierung von Tox Info Suisse einnahmen- und ausgabenseitig mittelfristig konsolidieren und langfristig sicherstellen sollen».
Josef Widler, Sie sind Stiftungsratspräsident beim Giftnotruf – er steht vor dem Aus, sagen Sie. Ist es tatsächlich so dramatisch?
Ja. Wenn wir kein Geld vom Bundesamt für Gesundheit erhalten, müssen wir den Giftnotruf Anfang 2026 einstellen. Obwohl wir letztes Jahr mit über 42’000 Anrufen einen Rekord verzeichnet haben. Die Folgen wären klar: Wenn wir keine Telefonberatungen mehr durchführen können, führt das zu einem Anstieg der Gesundheitskosten.
Zur Person
Warum?
Sieben von zehn Anrufen sind von Privaten. Ohne Telefondienst verzögert sich nicht nur die Versorgung der Betroffenen, auch der Druck auf Spitäler und Arztpraxen würde steigen. Wenn nur schon die Hälfte dieser Leute in die Notfallstation oder zum Hausarzt geht, wären wir bald bei etwa fünf Millionen Franken Mehrkosten.
«Seit zehn Jahren weisen wir darauf hin, dass unsere Finanzierung besser geregelt werden muss.»
Josef Widler, Stiftungsratspräsident Tox Info Suisse
Mittlerweile liefern Sie sich einen öffentlichen Schlagabtausch mit dem Bundesamt für Gesundheit.
Wir wussten nicht mehr weiter. Seit zehn Jahren weisen wir darauf hin, dass unsere Finanzierung besser geregelt werden muss. Aktuell finanziert das Bundesamt für Gesundheit etwa 10 Prozent, die Kantone 55 Prozent. Der Rest kommt von Verbänden und Stiftungen aus der Industrie und dem Gesundheitswesen.
Wichtige Verbände haben ihre Beiträge reduziert oder eingestellt. Hat es der Stiftungsrat versäumt, die Finanzierung zu sichern?
Diese Argumentation macht mich ziemlich giftig. Wie gesagt: Wir weisen seit zehn Jahren darauf hin, dass wir eine andere Finanzierungsform finden müssen. Das Chemikaliengesetz des Bundes schreibt den Betrieb einer nationalen Auskunftsstelle für Vergiftungen vor. Das Bundesamt für Gesundheit hat aber seine Aufgabe verschlafen, eine Gesetzesgrundlage zur Finanzierung zu schaffen. Wir können niemanden zu Zahlungen verpflichten.
Darum zahlen die Verbände nicht mehr
Die Beiträge der Stiftungen und Verbände sind 2024 um rund 300’000 Franken zurückgegangen. Wieso fordern Sie jetzt plötzlich 1,1 Millionen Franken Soforthilfe?
Weil wir in den letzten drei Jahren jeweils ein Defizit von etwa einer Million Franken hatten, das wir aus Eigenmitteln gedeckt haben. Jetzt haben wir kein Geld mehr.
«Wir riskieren, dass Spitalärzte nicht mehr bei uns anrufen.»
Josef Widler, Stiftungsratspräsident Tox Info Suisse
Das Bundesamt für Gesundheit stellt sich auf den Standpunkt, es habe seinen Beitrag sogar erhöht. Zudem würden Spitäler nur wenig zahlen, obwohl sie von Ihren Leistungen profitieren.
Das stimmt nicht. Das Bundesamt für Gesundheit hat seinen Beitrag einmalig um 40’000 Franken erhöht. Für nächstes Jahr haben sie wieder den Beitrag aus den Vorjahren angekündigt, der etwa zehn Prozent unserer Gesamtkosten deckt. Wenn sich die Spitäler stärker an den Kosten beteiligen würden, brächte das höchstens 400’000 bis 600’000 Franken zusätzlich. Der administrative Mehraufwand wäre aber beträchtlich. Und wir riskieren, dass die Spitalärzte wegen der höheren Kosten nicht mehr anrufen und sich so die Behandlung der Patienten verschlechtert.
Ihre Ausgaben stiegen in den letzten fünf Jahren von 3,4 Millionen auf 4,4 Millionen Franken. Sehen Sie kein Sparpotenzial?
Das Kostenwachstum geht auf ein IT-Projekt und gestiegene Personalkosten zurück. Dabei liegen unsere Löhne schon jetzt 15 Prozent unter den empfohlenen Löhnen des Berufsverbands. Es ärgert mich, dass das Bundesamt für Gesundheit schreibt, die Ausgaben sollten konsolidiert werden. Wir haben bereits verschiedene Sparvorschläge geprüft und für das Bundesamt dokumentiert. Wir können nicht weiter sparen.
Bestehen keine Alternativen dazu, den Giftnotruf einzustellen, falls kein Geld vom Bundesamt kommt?
Wir haben schon alle Optionen diskutiert. Wenn wir etwa den Nachtdienst abschaffen, sparen wir höchstens 200’000 bis 300’000 Franken. Dabei rufen in der Nacht vor allem Spitalärzte an. Wir riskieren so, dass die Qualität der Behandlung auf den Notfall- und Intensivstationen sinkt. Den Giftnotruf abzuschaffen, heisst, ein beliebtes, niederschwelliges Angebot abzuschaffen.
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