Kaum Autos, weniger Busse und Trams, aber viel mehr Velos: Grossstädte sind seit dem Corona-Crash kaum wiederzuerkennen. Städte wie Berlin, Wien, New York und Bogotá haben auf das veränderte Fortbewegungsverhalten der Menschen reagiert. Sie nahmen kurzerhand dem Auto Fahrspuren weg und gaben sie Velofahrerinnen oder Fussgängern frei. Bestehende Rad- und Fussgängerwege wurden ausgeweitet.

Solche temporären Pop-up-Velospuren machen Sinn. Eine bessere Infrastruktur für den Langsamverkehr macht es in Pandemiezeiten erst möglich, Social Distancing einzuhalten, wenn man sich von A nach B bewegt. Bogotás grüne Bürgermeisterin, Claudia López, nannte Velofahren eine der «hygienischsten Alternativen», um die Ausbreitung des Virus Coronavirus Quarantäne: Was heisst das? zu verhindern.

Nur die Schweiz schaute bloss zu. Und hat damit eine weitere Chance verpasst. Denn die Zahlen zeigen auch bei uns, dass sich die durchschnittliche mit dem Velo zurückgelegte Tagesdistanz seit der Coronakrise fast verdreifacht hat. Die Leute weichen vor allem vom ÖV aufs Velo aus. Und was tun die Schweizer Städte, um sie zu unterstützen? Nichts.

«Der Bundesrat hätte handeln müssen»

Klar, politische Prozesse sind hierzulande langsamer und föderalistischer – was auch seine Vorteile hat. Aber man hätte die Krise nutzen können, um endlich die von der Bevölkerung erwünschten Veränderungen im Strassenverkehr anzustossen mit Pop-up-Velowegen.

Doch die Städte reagierten auf die Krise teilweise sogar zum Nachteil der Velofahrer. Zürich etwa sperrte an der Bellerivestrasse zusammen mit den Parkanlagen am See eine Veloroute , ohne eine Ausweichmöglichkeit für Zweiräder anzubieten.

Schweizer Städte verweisen auf bereits vor der Krise Umgesetztes, längerfristige Projekte oder fehlende Kompetenzen für schnelle Anpassungen der Infrastruktur. Es war der Bundesrat, der hätte handeln müssen. «Er hätte den Städten mit dem Notrecht das Recht einräumen können, ihre Verkehrsplanung temporär flexibel zu handhaben», sagt Matthias Aebischer, Präsident von Pro Velo Schweiz. Das habe die Landesregierung für die Zeit des Lockdowns Lockdown «Das grösste Risiko ist eine hohe Arbeitslosigkeit» verpasst.

Kanton soll vorwärts machen

Pro Velo fordert nun den Bundesrat auf, rechtliche Bedingungen zu schaffen, damit Kantone und Städte Velospuren selber provisorisch einrichten oder verbreitern können. Die Grünen-Politikerin Delphine Klopfenstein (GE) hat im Nationalrat eine entsprechende 
Motion eingereicht. 

Andere schlagen vor, dass die Städte auf eigene Faust vorgehen. Pro Velo Zürich fordert zum Beispiel die Stadt Zürich auf, sich mit dem Kanton anzulegen, der bei Velostrecken auf Kantonsstrassen bremst. Der Kanton solle zudem mit den geplanten neuen Velorouten vorwärtsmachen – «ein Realisierungshorizont von mehreren Jahrzehnten ist schlicht lächerlich», heisst es. 

Brüssel hat es begriffen

Die Zurückhaltung, jetzt bessere Bedingungen fürs Velo zu schaffen, könnte die prekäre Situation auf den Schweizer Strassen verschärfen. Denn seit der Lockerung der Corona-Massnahmen sind Coronavirus Rechtliche Fragen zur Lockerung der Massnahmen wieder mehr Menschen unterwegs, viele meiden aber weiterhin den ÖV. Ändert sich die miserable Situation auf den Velowegen nicht, werden noch mehr aufs Auto ausweichen – was das Velofahren zusätzlich unsicher macht.

Um das zu verhindern, reichen temporäre Massnahmen nicht. Das haben andere Städte Aufgeheizte Städte Das enorme Potenzial der Flachdächer begriffen. Brüssel, wo Velofahrer und Fussgängerinnen neu in der gesamten Innenstadt Vorrang erhalten und 40 Kilometer weitere Velowege entstehen, will die Massnahmen nach drei Monaten evaluieren.

Verkehrsministerin Elke van den Brandt kündigte bereits an: «Wir dürfen nicht zurück zum Business as usual. Wir müssen diesen Moment nutzen, um einen guten Neustart zu gewährleisten.» Der würde auch den Schweizer Städten guttun.

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