Velofahrer sind in der Schweiz besonders gefährdet
Eine Studie zeigt: In der Schweiz überholen viele Autos die Velofahrenden mit weniger Abstand als in Deutschland und Österreich. Doch Empfehlungen für mehr Sicherheit haben es in der Politik nicht leicht.
Veröffentlicht am 5. August 2025 - 15:09 Uhr
Riskantes Überholmanöver: Zu wenig Abstand zur Velofahrerin (und hier auf dem Bild auch noch die Sicherheitslinie überfahren)
Im Stadtverkehr vor der Kreuzung: Das schwarze SUV zieht nach rechts, der Velofahrer richtet sich ruckartig auf, schlägt seine Faust an die Seitenscheibe des SUV und schickt ein paar böse Fluchworte hinterher. Solche oder ähnliche Szenen kann ab und an beobachten, wer regelmässig im Strassenverkehr unterwegs ist.
Wie gefährlich Velofahren ist, hat jetzt eine österreichische Forschergruppe in einem länderübergreifenden Projekt dokumentiert. Die Gruppe hat wissenschaftlich untersucht, wie gross der Abstand ist, mit dem Autos die Velos überholen. In der Schweiz wurden dafür Strassenabschnitte in Bühler AR, Marbach LU, Sachseln OW, Uznach SG und Walchwil ZG sowie vier Strassen in Zürich genauer unter die Lupe genommen.
Nur gerade 21 Zentimeter Abstand
In der Schweiz halten die Autos im Vergleich zu Deutschland und Österreich den geringsten Abstand ein. 107 Zentimeter misst er im Durchschnitt. Der kleinste gemessene Abstand betrug nur gerade 21 Zentimeter. Etwas sicherer für Velofahrer waren Überholvorgänge in Österreich mit einem Abstand von durchschnittlich 118 Zentimetern. Am meisten Distanz halten Autos in Deutschland ein: 128 Zentimeter.
Aus den Ergebnissen ihrer Studie leiten die Forscher zwei Empfehlungen für die Schweiz ab:
- Aufnahme eines Überholverbots von einspurigen Fahrzeugen ins Strassenverkehrsgesetz. Das Verbot könnte für enge oder unübersichtliche Strassenabschnitte verhängt werden.
- Obligatorischer Abstand von 1,5 Metern beim Überholen innerorts.
In Deutschland und Österreich ist der Mindestabstand bereits Pflicht, in Deutschland kann zudem ein Überholverbot verhängt werden.
VCS dafür, TCS dagegen
Beim Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) stossen die Forderungen erwartungsgemäss auf Zuspruch. «Wir unterstützen beide Forderungen mit einem klaren Ja», erklärt die Medienstelle auf Anfrage des Beobachters.
Der Touring Club Schweiz (TCS) lehnt die Forderungen ab. Das Gesetz schreibe bereits heute vor, dass man nur überholen dürfe, wenn genügend Platz vorhanden sei. «Ein minimaler Überholabstand wäre ausserdem kaum zu kontrollieren», sagt Mediensprecher Marco Wölfli. Die gelben Velostreifen sensibilisierten die Autofahrenden bereits dafür, genügend Abstand zu halten.
Mitglieder der Verkehrskommissionen von National- und Ständerat äussern sich unterschiedlich. Der Graubündner Mitte-Ständerat Stefan Engler unterstützt eine seitliche Abstandsregel bei Geschwindigkeiten ab 50 Kilometer pro Stunde. «Ein Überholverbot sehe ich eher nicht», sagt Engler zum Beobachter. Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt möchte die Sicherheit eher mit baulichen Massnahmen statt mit Verboten erhöhen.
«Der Königsweg wären eigene Linienführungen.»
Barbara Schaffner, Nationalrätin Grünliberale/ZH
Die Zürcher Nationalrätin Barbara Schaffner von den Grünliberalen bekennt sich zwar zu den Bedürfnissen der Velofahrenden: «Velofahren muss attraktiver und sicherer gemacht werden, damit mehr Leute umsteigen. Der Königsweg wären eigene Linienführungen oder klar markierte Velostreifen», sagt sie. Ein Überholverbot sei prüfenswert bei engen Platzverhältnissen, ein vorgeschriebener Mindestabstand beim Überholen jedoch nicht, da dieser kaum kontrollierbar sei.
Fazit: Einfach dürften es die von den Forschenden abgegebenen Empfehlungen für mehr Velosicherheit in Bundesbern nicht haben.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 11. März 2025 veröffentlicht.
- Radkompetenz Österreich: Forschungsprojekt Radbest: Radverkehrsführung bei beengten Strassenverhältnissen
23 Kommentare
Es nützt wenig, wenn Autofahren die Velofahrer mit Abstand von 1.5 Meter überholen, aber Velofahrer an Autos rechts mit einem Abstand von 40 cm wieder vorbeifahren.
unterwegs – etwa 20 Jahre davon in Deutschland als Tram- und Buschauffeur und die anderen 20 Jahre in Zürich.
Ein Phänomen, das mir besonders auffällt – vor allem in Städten – betrifft das Miteinander im Strassenverkehr. Es sind immer mehr Verkehrsteilnehmer unterwegs, die Ignoranz und Risikobereitschaft nimmt zu, und alle schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Dabei liegt die Ursache oft ganz woanders: beim Tiefbauamt, bei den Verkehrsplanern, die Velofahrer und teilweise auch Fussgänger gezielt zur künstlichen Verkehrsverlangsamung einsetzen.
In der Schweiz stellen Strassenmarkierungen und künstliche Verengungen nicht selten eine Gefahr dar. Im Gegensatz dazu herrschen in Deutschland klare Normen – sei es bei der Strassenbreite, den Markierungen, der Beschilderung oder der generellen Gestaltung. So haben Autos und Velofahrer dort meist ausreichend Platz, um sicher aneinander vorbeizufahren. Ich möchte die beiden Systeme nicht gegeneinander ausspielen – jedes hat seine Eigenheiten.
Doch in der Schweiz wirkt vieles wie „abstrakte Malerei“. Was vom Tiefbauamt geplant wird, scheint oft eher eine Empfehlung als eine verbindliche Regel zu sein. Die Strassen sind künstlich eng, die Markierungen werden ständig verändert und wirken auf ortsfremde Fahrer oft völlig willkürlich. Falsche oder unlogisch platzierte Beschilderungen sind in Städten wie Zürich keine Seltenheit.
Verkehrsschilder gehören in der Regel rechts an den Strassenrand (Rechtsverkehr) – in Zürich sucht ein Fahrer, der an die EU-Standards gewöhnt ist, diese oft vergeblich. Mal stehen sie nur links, mal mehrere Meter hoch – aus dem Cockpit eines Autos oft gar nicht sichtbar.
All das führt zu Unsicherheit – und letztlich zu einer gewissen Ignoranz und Arroganz im Verkehr. Rücksichtsvoll und sicher unterwegs zu sein, wird so zunehmend schwieriger.
Das Fahren in der Schweiz ist anstrengend – es braucht viel Geduld und Aufmerksamkeit. Natürlich ist nicht alles schlecht gemacht. Aber man sollte aufhören, Strassen künstlich zu verengen und Velofahrer als fahrende Hindernisse einzusetzen. Denn am Ende wollen wir doch alle einfach nur gesund und sicher nach Hause kommen.
Wenn's knapp werden könnte, fahre ich in der Mitte der Strasse. Da überholt kein Autofahrer auf gefährliche Art. Er würde ja auch den Gegenverkehr und sich selbst gefährden. In Frankreich sind 1.5m Abstand Gesetz. Bussen unangenehm hoch.
Gute Empfehlung. Letzthin wieder so praktiziert. Wurde danach ausgepresst, bedroht und tätlich angegangen. Anzeige werde ich machen und bin gespannt, wie das endet.
Grössere Abstände von Motorfahrzeugen sind für Velofahrende lebensnotwendig.
Wenn ich schon am Schreiben bin: Auch die unbegreiflicherweise abgeschafften Veloglocken wären es!!
Dieter Hafner . Schaffhausen