Velofahrende sind in der Schweiz besonders gefährdet
Eine Studie zeigt: Autos überholen Velos in der Schweiz mit weniger Abstand als in Deutschland und Österreich. Doch Empfehlungen für mehr Sicherheit haben es in Bundesbern nicht leicht.
Veröffentlicht am 11. März 2025 - 16:44 Uhr
Wenn Velofahrer von Autos überholt werden, wirds oft eng. (Wenn der Autofahrer nicht wie auf dem Bild unerlaubterweise die Sicherheitslinie überfährt.)
Im Stadtverkehr vor der Kreuzung: Das schwarze SUV zieht nach rechts, der Velofahrer richtet sich ruckartig auf, schlägt seine Faust an die Seitenscheibe des SUV und schickt ein paar böse Fluchworte hinterher. Solche oder ähnliche Szenen kann ab und an beobachten, wer regelmässig im Strassenverkehr unterwegs ist.
Wie gefährlich Velofahren ist, hat jetzt eine österreichische Forschergruppe in einem länderübergreifenden Projekt dokumentiert. Die Gruppe hat wissenschaftlich untersucht, wie gross der Abstand ist, mit dem Autos die Velos überholen. In der Schweiz wurden dafür Strassenabschnitte in Bühler AR, Marbach LU, Sachseln OW, Uznach SG und Walchwil ZG sowie vier Strassen in Zürich genauer unter die Lupe genommen.
Nur gerade 21 Zentimeter Abstand
In der Schweiz halten die Autos im Vergleich zu Deutschland und Österreich den geringsten Abstand ein. 107 Zentimeter misst er im Durchschnitt. Der kleinste gemessene Abstand betrug nur gerade 21 Zentimeter. Etwas sicherer für Velofahrer waren Überholvorgänge in Österreich mit einem Abstand von durchschnittlich 118 Zentimetern. Am meisten Distanz halten Autos in Deutschland ein: 128 Zentimeter.
Aus den Ergebnissen ihrer Studie leiten die Forscher zwei Empfehlungen für die Schweiz ab:
- Aufnahme eines Überholverbots von einspurigen Fahrzeugen ins Strassenverkehrsgesetz. Das Verbot könnte für enge oder unübersichtliche Strassenabschnitte verhängt werden.
- Obligatorischer Abstand von 1,5 Metern beim Überholen innerorts.
In Deutschland und Österreich ist der Mindestabstand bereits Pflicht, in Deutschland kann zudem ein Überholverbot verhängt werden.
VCS dafür, TCS dagegen
Beim Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) stossen die Forderungen erwartungsgemäss auf Zuspruch. «Wir unterstützen beide Forderungen mit einem klaren Ja», erklärt die Medienstelle.
Der Touring Club Schweiz (TCS) lehnt die Forderungen ab. Das Gesetz schreibe bereits heute vor, dass man nur überholen dürfe, wenn genügend Platz vorhanden sei. «Ein minimaler Überholabstand wäre ausserdem kaum zu kontrollieren», sagt Mediensprecher Marco Wölfli. Die gelben Velostreifen sensibilisierten die Autofahrenden bereits dafür, genügend Abstand zu halten.
Mitglieder der Verkehrskommissionen von National- und Ständerat äussern sich unterschiedlich. Der Graubündner Mitte-Ständerat Stefan Engler unterstützt eine seitliche Abstandsregel bei Geschwindigkeiten ab 50 Kilometer pro Stunde. «Ein Überholverbot sehe ich eher nicht», so Engler. Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt möchte die Sicherheit eher mit baulichen Massnahmen statt mit Verboten erhöhen.
«Der Königsweg wären eigene Linienführungen.»
Barbara Schaffner, Nationalrätin Grünliberale/ZH
Die Zürcher Nationalrätin Barbara Schaffner von den Grünliberalen bekennt sich zwar zu den Bedürfnissen der Velofahrenden: «Velofahren muss attraktiver und sicherer gemacht werden, damit mehr Leute umsteigen. Der Königsweg wären eigene Linienführungen oder klar markierte Velostreifen», sagt sie. Ein Überholverbot sei prüfenswert bei engen Platzverhältnissen, ein vorgeschriebener Mindestabstand beim Überholen jedoch nicht, da dieser kaum kontrollierbar sei.
Fazit: Einfach dürften es die von den Forschenden abgegebenen Empfehlungen für mehr Velosicherheit in Bundesbern nicht haben.
Radkompetenz Österreich: Forschungsprojekt Radbest: Radverkehrsführung bei beengten Strassenverhältnissen
14 Kommentare
Grössere Abstände von Motorfahrzeugen sind für Velofahrende lebensnotwendig.
Wenn ich schon am Schreiben bin: Auch die unbegreiflicherweise abgeschafften Veloglocken wären es!!
Dieter Hafner . Schaffhausen
Es ist gut, dass dieses Thema auf den Tisch kommt, ich fahre seit über 45 Jahren Velo (einige davon als Velokurierin, also mehrere Stunden am Tag) habe aber auch einen Autofahrausweis, kenne also beiden Seiten. Ich habe derart viele brenzlige Situationen erlebt auf dem Velo und erlebe sie noch heute fast täglich, dass ich mich oft frage, wo gewissse Leute das Autofahren gelernt haben. Es gibt viele anständige und korrekt Fahrende, aber leider sehr viele, die völlig rücksichtslos unterwegs sind: Überholen trotz durchzogenen Sicherheitsstreifen, dito auf schmalen Brücken sogar bei doppelt durchzogenem Sicherheitsstreifen, rechts abbiegen ohne zu blinken und ohne Sicherheitsstopp trotz Vortrittsrecht der geradeausfahrenden Velofahrenden, überholen mit 30-50cm Abstand auf 80km/h-Strecken, überholen im Kreisel und direkt vor mir rechts ausfahren, während ich nach links weiterfahren will, was mich zu Vollbremsungen zwingt; rechts ranfahren ohne Blinken und ohne Blick zurück, dann Fahrertüre öffen; hupen, wenn ich links einspure, um abzubiegen oder mir das Einspuren absichtlich verunmöglichen ... Die Liste ist fast unendlich.
Und dann gibt es noch die vielen, die stark rechts in der Spur fahren, so dass Velos sich bei Stau oder langen Kolonnen bei Ampeln hinten anstellen müssen, das ist unfair, da Staus + Kolonnen nicht von Velofahrenden verursacht werden.
Die Strasse gehört allen Verkehrsteilnehmenden, alle haben dieselben Rechte, aber viele Autofahrende (leider auch einige Velofahrende, gebe ich zu, aber die sind in der Minderheit), scheinen zu denken, die Strasse sei in erster Linie für sie da, alle anderen müssten nehmen, was übrigbleibt. Mir wurde schon gesagt: "Wir sind schneller unterwegs und haben darum Vortritt." [sic].
Man müsste, wie schon anderweitig erwähnt, mal alle, die hier sagen, es gäbe keine solchen Probleme und auch alle, die in der Politik auf harmlos machen, dazu ermuntern, ein paar Monate Velo statt Auto oder ÖV zu fahren, damit sie es selbst erleben.
Oje, wie frustriert Sie sind und welch traurige Weltsicht.
Ich hoffe, dass Sie mir nie im Verkehr begegnen und wünsche Ihnen viele hoffnungsvolle Momente.
Dass ich als Velofahrer zu oft mit minimalem seitlichem Abstand von PW und LW überholt werde, ist gefährlich und ärgerlich. Dass aber vor Engstellen der Velostreifen einfach aufhört, gibt uns Velofahrer von offizieller Seite "zum Abschuss" frei. Meine Reklamation 2012, nachdem die Badenerstrasse in Zürich frisch umgebaut war, lautete simpel: das sei nach Gesetz so konform. Auf vielen Velofahrten in Frankreich, Deutschland, Holland und auch England, habe ich nie so unangenehme Überholmanöver erlebt wie bei uns.