Seit der Tsunami am 11. März 2011 das Atomkraftwerk von Fukushima überrollt hat, ist die Debatte um die Energiezukunft neu lanciert. Wenn die Schweiz künftig auf Atomkraft verzichtet, muss sie neue, möglichst nachhaltige Energiequellen erschliessen. Vor allem aber braucht es Anstrengungen, um den Energieverbrauch in allen Bereichen zu drosseln. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Verbrauch der Gebäude. Drei Viertel aller Wohnhäuser, Gewerbe- und Büroliegenschaften in der Schweiz sind älter als 25 Jahre, stammen also aus einer Zeit, in der die Isolation der Aussenwände noch kaum ein Thema war. Kein Wunder, gehen knapp 50 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der Schweiz auf das Konto von Heizung und Warmwasser.

Hoher Ölpreis sorgte für ein Umdenken

Durch eine Sanierung lässt sich der Energie-bedarf eines Gebäudes mit Baujahr 1975 problemlos auf ein Drittel senken. Die Sparpotentiale im Gebäudebereich sind also riesig – und somit auch die Verdienstmöglichkeiten von Gewerbe und Industrie, die solche Modernisierungen ausführen.

Wie tief der Energieverbrauch von Gebäuden sein könnte, wurde schon Mitte der neunziger Jahre aufgezeigt – von Ruedi Kriesi, damals Leiter der Energiefachstelle des Kantons Zürich, und vom Zürcher Unternehmensberater Heinz Uebersax. Die beiden sind die «Väter» des Minergiestandards, der bei seiner Einführung 1998 angesichts von Preisen um die 30 Rappen pro Liter Heizöl noch belächelt wurde. Seither hat sich der Ölpreis fast verdreifacht, aus dem Basisstandard sind vier Standards geworden (siehe nachfolgende Box «Die vier Standards»). Fast 24'000 Gebäude in der Schweiz sind inzwischen mit einem Minergie-Zertifikat ausgezeichnet worden. «Unsere ab 1998 ausgelösten Aktivitäten haben das Thema Energieverbrauch bei Gebäuden überhaupt richtig lanciert», sagt Franz Beyeler, Geschäftsführer des Vereins Minergie, der das Qualitätslabel für Gebäude propagiert. Vor allem deshalb würden heute Häuser viel besser isoliert.

Doch was ausser tieferem Energieverbrauch bringt einem Hausbesitzer der Minergiestandard? Und wie sieht die finanzielle Seite aus?

Minergie wurde von Beginn an als Komfortsteigerung propagiert. Denn durch die bessere Isolation sind die Aussenwände in einem Minergiehaus weniger kalt, was das Wohnen angenehmer macht. Und dank der Lüftungsanlage ist die Luftqualität in den Räumen immer gut (siehe Artikel zum Thema «Lüftungsanlagen tun den Menschen und Bauten gut»). Ganz kostenlos ist dieser Mehrwert nicht zu haben. Je nach Objekt betragen die Mehrkosten bei Neubauten drei bis zehn Prozent. Dabei gilt: Je früher der Minergiestandard in die Planung einbezogen wird, desto tiefer liegen die Mehrkosten.

Wertzuwachs kompensiert Mehrkosten

Doch das zusätzlich investierte Geld ist gut angelegt: «Die Energiekosten werden künftig im Vergleich zum Einkommen stärker steigen und das Haushaltsbudget belasten», sagt Franz Beyeler. Schon bei den aktuellen Energiepreisen amortisieren sich die Mehrkosten für den Minergiestandard im Schnitt innert sieben Jahren. Noch nicht eingerechnet sind Fördergelder und vergünstigte Hypotheken (siehe Artikel zum Thema «Zustupf für Sanierungen») und die Wertsteigerung: Gemäss einer Studie der Universität Zürich und der Zürcher Kantonalbank wird ein Haus nach Minergiestandard in 30 Jahren neun Prozent mehr wert sein als eines nach gängigen Vorschriften – die Mehrkosten werden also allein durch den Wertzuwachs ausgeglichen.

Schwieriger ist die Bezifferung der Mehrkosten bei der Modernisierung eines Altbaus nach Minergie. Vergleicht man die Investitionen dafür mit denen für einen neuen Anstrich und eine neue Heizung, liegen sie deutlich höher. Nur bleiben nach der einfachen Renovation die Heizkosten fast unverändert hoch, während sie bei einer Erneuerung nach Minergie massiv sinken. So gesehen haben die Investitionen für den Minergiestandard den Charakter einer Versicherung: Auch wenn die Energiepreise künftig steigen, bleiben die Kosten für Heizung und Warmwasser dank tiefem Verbrauch im Rahmen. Zudem profitiert man von einem markant höheren Wohnkomfort im Vergleich zu einem nicht isolierten Altbau ohne Lüftung.

Die vier Standards

Seit der Gründung von Minergie und der Zertifizierung des ersten Gebäudes im Jahr 1998 hat man die Zahl der Baustandards kontinuierlich erweitert und die Anforderungen verschärft. Zurzeit sind es vier Basisstandards, die zum Teil miteinander kombiniert werden können.

Minergie
Bauten nach klassischem Minergiestandard haben eine gute Wärmedämmung und eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung. Ein Minergie-Neubau benötigt pro Jahr und Quadratmeter beheizter Wohn-fläche nicht mehr als 38 kWh Energie (3,8 Liter Heizöl). Bei nach Minergiestandard modernisierten Altbauten liegt der Grenzwert für den Verbrauch bei 60 kWh. Zum Vergleich: Neubauten nach aktuellen Vorschriften erreichen 48 kWh, bei grösseren Umbauten liegt der Zielwert bei 90 kWh.

Minergie-P
Minergiehäuser, die noch besser gedämmt sind, erhalten den Standard Minergie-P. Der Verbrauchswert von Neu- und Umbauten liegt bei 30 kWh. Wie beim Minergiestandard ist eine Lüftungsanlage Pflicht. Zudem muss die Luftdichtigkeit des Gebäudes nachgewiesen werden.

Minergie-Eco
Minergie-Eco kombiniert die Anforderungen an den Energiestandard von Minergie oder Minergie-P mit einer gesunden und ökologischen Bauweise. Um den Eco-Standard zu erreichen, müssen Bauweisen und Baumaterialien zum Einsatz kommen, die schadstoffarm und gut rezyklierbar sind.

Minergie-A
Minergie-A, der jüngste Standard, wurde im März 2011 lanciert. Er setzt auf eine ganzheitliche Betrachtung des Gebäudes und geht über Minergie-P hinaus. Ziel ist eine möglichst CO2-freie Erzeugung der Energie für Heizung und Warmwasser aus lokal verfügbaren Quellen wie Sonne oder Biomasse. Ebenfalls berücksichtigt werden der Strombedarf des Gebäudes und seiner Bewohner sowie die graue Energie in den verwendeten Baustoffen.