Flavia Krattiger* ist wütend und traurig. Die Post stellt die 62-Jährige nach 38 Dienstjahren auf die Strasse. Seit ihrer Lehre hat die alleinerziehende Mutter für den gelben Riesen gearbeitet. Doch nach ihrem 62. Geburtstag beendet die Post das Arbeitsverhältnis vorzeitig. Der Staatsbetrieb schickt Krattiger zwangsweise in die Frühpension. Das ist in Wahrheit eine Sparübung: Die Frührentnerin muss jetzt stempeln gehen.

«Sie können sich arbeitslos melden in ihren letzten beiden Erwerbsjahren vor der Pensionierung. Das lohnt sich finanziell für Sie», habe der Personalberater der Post gesagt. Die Arbeitslosenversicherung zahle bis zu ihrem ordentlichen Pensionsalter mit 64. So hätte sie trotz tiefer Post-Frührente keine Probleme und müsse die AHV-Rente nicht zwei Jahre vorbeziehen – und so auch keine Kürzung in Kauf nehmen (siehe Box unten «Zwangspensioniert und arbeitslos»).

«Die Post schiebt uns Alte in die Arbeitslosenversicherung ab. Das hätte ich von einem Staatsbetrieb nie erwartet.»

 

Flavia Krattiger*, ehemalige Post-Mitarbeiterin

Tatsächlich kann die Arbeitslosenkasse Gelder auszahlen, wenn die Frühpensionierung unfreiwillig war. Die Taggelder bessern Krattigers Einkommen so auf, dass sie zusammen mit der Post-Rente auf 70 Prozent ihres letzten Lohns kommt. Allerdings muss sich die 62-Jährige nun regelmässig bewerben. Erst ein halbes Jahr vor ihrem 64. Geburtstag wird sie vom Bewerbungszwang befreit sein. «Die Post schiebt uns Alte in die Arbeitslosenversicherung ab», sagt Krattiger. «Das hätte ich von einem Staatsbetrieb nie erwartet.»

Der Beobachter hat Kenntnis von zwei weiteren unfreiwillig Frühpensionierten, die sich nach dem Gespräch mit ihrem Post-Personalberater arbeitslos meldeten. Als 62-jährige Männer hatten sie keinen Anspruch auf eine AHV-Frührente. Die Arbeitslosigkeit blieb der einzige Weg.

Die Renten sind geschrumpft

Bei der Post sind Zwangspensionierungen mit 62 Jahren keine Seltenheit. Sie sind sogar im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen. Wenn die ausbezahlten Renten der Pensionskasse Post hoch genug wären, gäbe es daran auch nichts zu kritisieren. Doch seit der Sozialplan 2010 ausgehandelt wurde, hat die Post den Rentenumwandlungssatz stark gesenkt. Zwangspensionierte erhalten zwar von der Post bis zu 61'200 Franken zusätzlich in die Pensionskasse einbezahlt. Doch wegen des tieferen Umwandlungssatzes sind die Renten um bis zu einem Fünftel gesunken. Selbst mit einer AHV-Frührente bleibt das Einkommen oft bescheiden. Und auf Januar senkt die Post den Rentenumwandlungssatz erneut. Dadurch wird der Gang aufs Arbeitsamt noch attraktiver.

«Ich befürchte, dass die Post einen Teil ihrer finanziellen Probleme auf den Staat abwälzen könnte, wenn sie jetzt nichts ändert.»

 

Roland Lamprecht, Gewerkschaft Syndicom

Roland Lamprecht von der Gewerkschaft Syndicom befürchtet, dass die Post «einen Teil ihrer finanziellen Probleme auf den Staat abwälzen könnte», wenn sie jetzt nichts ändert. Er strebt neue Verhandlungen mit dem Staatskonzern an, der letztes Jahr 558 Millionen Franken Gewinn machte. Der Gewerkschafter will, dass die Post eine Frühpensionierung nur noch bei einigermassen guten Konditionen verlangen kann. Die übrigen Teile des Sozialplans würde Lamprecht gern beibehalten.

Denn eigentlich haben Post und Gewerkschaften einen guten Deal ausgehandelt: Wer mindestens 55 ist und 20 Dienstjahre auf dem Buckel hat, ist unkündbar. Falls seine Stelle wegrationalisiert wird, kommt er in den Sozialplan. Sofern er sich in diesem Programm kooperativ verhält, einen längeren Arbeitsweg und eine Lohneinbusse von höchstens zehn Prozent hinnimmt, darf die Post ihn nicht entlassen. Wenn Betroffene interne Stellenangebote erhalten, dürfen sie diese im Normalfall nicht ablehnen. Wenn sie keine neue Stelle bei der Post finden, endet der Kündigungsschutz mit der Frühpensionierung mit 62. Dann erhalten sie von der Post eine Rente von rund 35 Prozent des letzten Lohns ausbezahlt, sagt diese.

Die Post rechtfertigt sich

Die Post will an diesem System nichts Schlechtes erkennen. Sprecher Oliver Flüeler sagt, der Entscheid, sich als Frühpensionierter arbeitslos zu melden, liege nicht bei der Post, sondern bei jedem Einzelnen. Die Mitarbeiter würden vom Personalberater lediglich über alle Möglichkeiten in ihrer Situation aufgeklärt. Die Post wälze keine Probleme auf den Staat ab. Das Vorgehen sei Teil des Sozialplans. Bei Härtefällen könnten zudem Ausnahmen gemacht werden. Die Post engagiere sich für möglichst gute Vorsorgelösungen.

Die Gewerkschaften hätten zugestimmt, dass die Beschäftigungsgarantie mit 62 ende, sagt Post-Sprecher Flüeler. Doch der Kompromiss ist brüchig. Die Gewerkschaft Syndicom will neu verhandeln und den Kündigungsschutz bis 64 Jahre verlängern. 

Zwangspensioniert und arbeitslos

Aus Sicht der Sozialversicherungen kann ein Frühpensionierter zwei unterschiedliche Pensionsalter haben. Bei der Pensionskasse zum Beispiel mit 62 Jahren und bei der AHV mit 65. Das hat weitreichende Folgen.
 

  • Pensionskasse

    Wer «aus wirtschaftlichen Gründen» unfreiwillig frühpensioniert wird, erhält wie alle Frührentner eine gekürzte Pensionskassenrente. Wenn sie tiefer ist als eine mögliche Arbeitslosenentschädigung, können sich Betroffene arbeitslos melden. Denn der Arbeitgeber hat den vorzeitigen Ruhestand erzwungen, deshalb entspricht die Zwangspensionierung einer Entlassung.

    Die Arbeitslosenversicherung springt aber nur als Lückenfüllerin ein. Taggeld und Rente betragen zusammen 70 Prozent des letzten Lohns. Wenn Betroffene Kinder haben, sind es 80 Prozent.

    Es gibt aber Obergrenzen. Wer vier Jahre vor dem ordentlichen AHV-Alter zwangspensioniert wird, erhält während rund zweieinhalb Jahren Taggelder. Bedingung ist, dass man davor während 22 Monaten angestellt war.
     
  • AHV

    Die AHV-Rente kann man um höchstens zwei Jahre vorbeziehen, Frauen frühestens ab 62, Männer ab 63. Pro Jahr Vorbezug wird die Rente um 6,8 Prozent gekürzt. Wer die AHV früher beantragt, stimmt einer lebenslangen Rentenkürzung zu.

*Name der Redaktion bekannt

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