Jobinserat sorgt für Aufsehen
Zürcher Start-up fordert 100-Stunden-Woche – das gilt beim Arbeitsrecht
Das Tech-Start-up Forgis verlangt in einem Stelleninserat von künftigen Mitarbeitern mehr als die doppelte Arbeitszeit des Schweizer Durchschnitts. Ist das erlaubt? Ein Arbeitsrechtsexperte gibt Antwort.

Veröffentlicht am 26. November 2025 - 14:19 Uhr

Arbeiten wie im Silicon Valley: Das Start-up Forgis stellt in einem Stelleninserat harte Anforderungen.
Quelle: Colour Laboratory/StocksyDie Schweizer Arbeitsmoral: fünf Wochen Ferien, um 17 Uhr ausstempeln und danach Abendessen mit der Familie. Anders sieht es im Silicon Valley des Limmattals aus, genauer gesagt in Schlieren. Dort sitzt das Tech-Start-up Forgis, gegründet von drei ETH-Studenten. Das Start-up publizierte vergangene Woche ein erstaunliches Stelleninserat: eine 100-Stunden-Woche bei einem Jahreslohn von 70’000 Franken. Dazu eine Beteiligung von einem Prozent am Unternehmen und eine Wohnung in der Nähe des Arbeitsorts.
Das Unternehmen hat auf seiner Website sechs Stellen ausgeschrieben, die Bewerbungsfrist ist allerdings bereits beendet. Vom «AI Robotics Engineer» über den «Product Growth Associate» zum «Head of Marketing». Dass Forgis viel von Mitarbeitenden erwartet, wird beim Lesen des Stelleninserats schnell klar. Man suche «keine Passagiere, jeder fährt». Und: «Wir arbeiten mehr als alle anderen», heisst es da. Um diese Ziele zu erreichen, glaubt das Unternehmen im Moment «nicht an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie».
Start-up sucht Gründungsmitglieder
Gegenüber «Blick» rechtfertigte der CEO der Firma, Federico Martelli, das Stelleninserat: «Wir suchen derzeit Gründungsmitglieder, keine Mitarbeiter», erklärte Martelli. Er argumentierte, die Gründer selbst würden je nach Intensität 80 bis 100 Stunden arbeiten, und er glaube, es sei «legal, meine Zeit so zu verbringen, wie ich es möchte».
Zwar werde von den neuen Mitgliedern erwartet, dass sie mehr als in einem normalen Job leisten, jedoch nicht so viel wie die Gründer selbst. Oder wie Martelli es im Interview zusammenfasste: «Das ist das Leben in einem Start-up, Silicon-Valley-Style. Wenn jemand das nicht möchte, zwingen wir niemanden, sich zu bewerben.»
Mehr als das Doppelte des Schweizer Durchschnitts
Federico Martelli argumentiert mit einer Philosophie, die in Konflikt mit dem hiesigen Arbeitsrecht gerät. In der Schweiz gilt eine maximale Arbeitszeit von 14 Stunden am Tag. Der Nationalrat diskutierte im September eine Erhöhung auf eine maximale Arbeitszeit von 17 Stunden im Homeoffice. Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiteten im Jahr 2023 im Durchschnitt 40 Stunden und 12 Minuten pro Woche. Die vorgegebene Arbeitszeit von Forgis über 100 Stunden pro Woche beträgt damit mehr als das Doppelte der üblichen Vollzeitstelle.
Silicon-Valley-Style statt Schweizer Ausstempelmethode. Ist das überhaupt legal? «Das hängt vorab von der Frage ab, ob das Start-up überhaupt Arbeitsverträge anstrebt», sagt Lukasz Grebski, Dozent für Privat- und Arbeitsrecht an der ZHAW. Denn nur wenn ein Arbeitsverhältnis vorliege, können die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften greifen, etwa die wöchentlichen Höchstarbeitszeiten von 45 oder 50 Stunden.
Die Frage des Arbeitsvertrags
Da das Start-up gemäss Aussage des CEO keine Arbeitnehmer, sondern Gründungsmitglieder suche, ist die Frage: Greift das Arbeitsrecht überhaupt? «Ein Arbeitsvertrag besteht immer dann, wenn Personen ihre Arbeit nach Weisungen der Firma verrichten und in die betriebliche Organisation eingegliedert sind», sagt Grebski. Man müsste also im konkreten Fall prüfen, ob wirklich kein Arbeitsvertrag zustande gekommen ist.
Höchstarbeitszeiten von 45 oder 50 Stunden gelten allerdings nicht, wenn es sich um Mitarbeitende handelt, die die Entscheidungen der Firma wesentlich beeinflussen können und damit als höhere leitende Angestellte gelten. Dies betrifft grundsätzlich nur die obersten Kaderleute, beispielsweise CEOs, die auch an der Firma beteiligt sind. Diese scheiden aus dem Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes weitgehend aus. Für sie gilt daher auch keine strikte 45- oder 50-Stunden-Woche.
Doch: «Auch dieser Personenkreis untersteht den arbeitsgesetzlichen Gesundheitsvorschriften.» Das Bundesgericht hat diesbezüglich im Jahr 2002 entschieden: Arbeitszeiten gegen 100 Stunden in der Woche sind mit dem Gesundheitsschutz nicht zu vereinbaren. Oder anders gesagt: Sollte bei Forgis das Arbeitsgesetz nicht greifen, dann zumindest der Gesundheitsschutz. Und dieser sagt: Eine 100-Stunden-Woche ist verboten.
- Bundesamt für Statistik: Mehr als 8 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr 2023
- «Blick»: Zürcher Start-up-Chefs verteidigen irre Jobausschreibung
- Bundesgericht: Urteil vom 14. Juni 2002




