«Endlich werden wir gehört, gesehen und ernst genommen»
Jetzt sagt auch der Ständerat Ja: Damit ist der Weg frei für eine nationale Strategie, um Menschen mit Long Covid und ME/CFS zu helfen. «Ein extrem wichtiger Schritt», sagt Chantal Britt, Präsidentin von Long Covid Schweiz.
Veröffentlicht am 18. September 2025 - 13:12 Uhr
«Wir sind sehr stolz und zuversichtlich, dass sich nun etwas ändern wird»: Chantal Britt, Präsidentin von Long Covid Schweiz
Beobachter: Chantal Britt, im März 2021 haben Sie die Patientenorganisation Long Covid Schweiz gegründet. Jetzt, viereinhalb Jahre später, gibt es eine nationale Strategie zur Verbesserung der Situation. Sind Sie zufrieden?
Chantal Britt: Das ist ein erster extrem wichtiger Schritt und ein politisches Signal für die Anerkennung dieser Erkrankungen. Wir Patientenorganisationen waren die treibenden Kräfte dahinter. Endlich werden wir gehört, gesehen und ernst genommen. Für uns ist es ein Meilenstein. Wir sind sehr stolz und zuversichtlich, dass sich nun etwas ändern wird für die fast 500’000 betroffenen Menschen hierzulande. Rund 70 Prozent davon sind Frauen. Die Schweiz erhält als erstes europäisches Land eine nationale Strategie, um Betroffenen zu helfen.
Zur Person
Wie haben Sie das geschafft?
Zentral war, dass die drei Patientenorganisationen ME/CFS Schweiz, die Schweizerische Gesellschaft für ME & CFS und wir von Long Covid Schweiz sich zusammengeschlossen haben und für das gemeinsame Ziel gekämpft haben. Wir sind strategisch vorgegangen und haben uns in die Arbeit gestürzt, obwohl wir selbst alle krank sind und nicht viele Ressourcen haben, auch finanziell nicht. Einige wenige Ärztinnen und Ärzte haben uns unterstützt, ebenso einige Personen aus der Politik. Dass nun der Bundesrat und beide Kammern des Parlaments hinter uns stehen, ist wunderbar.
«Die adäquate Unterstützung der Betroffenen durch die Sozialversicherungen ist ein zentrales Anliegen.»
Was sind die wichtigsten Forderungen? Wie muss die Strategie nun umgesetzt werden?
Wir fordern eine schnellere Diagnostik und eine zweckmässige Behandlung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zudem einen freien Zugang zu Tests, Therapien und Arzneimitteln – auch für Kinder und Jugendliche. Die adäquate Unterstützung der Betroffenen durch die Sozialversicherungen ist ebenso ein zentrales Anliegen. Ein langfristiges Ziel ist die Einrichtung von Kompetenzzentren für postinfektiöse Erkrankungen. Diese sollen gezielte Forschungsprogramme haben, um den Verlauf der Erkrankungen zu verstehen und gemeinsame Muster zu erkennen.
Gibt es ausländische Vorbilder?
Deutschland und Österreich haben Aktionspläne und Forschungsschwerpunkte, die sehr gut sind. Zum Beispiel medizinische Empfehlungen für den Einsatz von sogenannten Off-Label-Use-Medikamenten, die helfen, obwohl sie eigentlich für andere Zwecke zugelassen sind. Es kann nicht sein, dass Risiko und Kosten von den Betroffenen selbst getragen werden müssen.
Bis die neue nationale Strategie umgesetzt wird, braucht es Zeit. Was sagen Sie den vielen Betroffenen, die krank zu Hause sind?
Ich habe jetzt einfach die Hoffnung, dass etwas geschehen wird und versucht wird, Lösungen zu finden. Und dass man uns miteinbezieht. Es ist uns wichtig, dass die Patientenorganisationen Teil der Lösung sind. Alles, was sich bewegt hat in diesem Bereich, kam von uns aus. Betroffene haben Druck gemacht und mit verschiedenen Politikerinnen und Politikern gesprochen und ihre Schicksale mit der Öffentlichkeit geteilt. Das war emotional und hat viel ausgelöst. Das ist einmalig.
Glossar
Long Covid bezeichnet Symptome nach einer Infektion, die mehr als einen Monat und bis zu drei Monate anhalten. Von Post Covid sprechen Mediziner, wenn die Symptome länger als drei Monate anhalten. In der Bevölkerung hat sich die Bezeichnung Long Covid für alle bleibenden Beschwerden etabliert. Die schlimmste Form von Long Covid ist das Chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Eine neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu starker körperlicher Behinderung führt.
- Motion 24.4452: Nationale Strategie zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit ME/CFS und Long Covid
- Medienmitteilung der drei Patientenorganisationen: ME/CFS Schweiz, Schweizerische Gesellschaft für ME & CFS und Long Covid Schweiz