51’547 Mal suchten Opfer von Gewaltstraftaten oder ihre Angehörigen letztes Jahr Unterstützung bei einer Opferhilfestelle. Diese sind für den Vollzug des Opferhilfegesetzes (OHG) verantwortlich, das 1993 auf Initiative des Beobachters eingeführt wurde. Die neueste nationale Opferhilfestatistik weist damit einen Höchstwert aus. 

Drei Viertel der Ratsuchenden sind Frauen

Mirjam Bugmann, Leiterin des Bereichs Angebote bei der kantonalen Opferhilfestelle in Zürich, erklärt sich die steigenden Zahlen damit, dass die Opferhilfe immer bekannter wird. «Gerade über das Thema häusliche Gewalt berichten die Medien öfter als früher», sagt sie. «Das führt zu einer stärkeren Sensibilisierung für die Opfer und ihre Bedürfnisse.»

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Das gilt jedoch nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleichermassen. Denn fast drei Viertel der Besucherinnen auf einer Beratungsstelle sind Frauen. 

Die Männer haben grössere Hemmungen, sich Hilfe zu holen – und zwar in allen Altersstufen. Verglichen damit, wie häufig Männer gemäss Kriminalstatistik selber Opfer von Gewaltstraftaten werden, sei die Nachfrage «deutlich unterdurchschnittlich», so Bugmann. Die Opferhilfe müsse mehr tun, um männliche Gewaltbetroffene anzusprechen.

Grosse Dunkelziffer bei Gewalt im Alter

Mirjam Bugmann führt die Zurückhaltung auf die Begrifflichkeit zurück. «Männer tun sich schwerer damit, als ‹Opfer› angesehen zu werden. Das ist für viele abschreckend.» Darum sei es wichtig, den Begriff anders zu besetzen. Nämlich in diesem Sinn: «Ein Opfer ist jemand, der sich in einer bestimmten Situation nicht wehren konnte. Aber es ist kein Etikett fürs ganze Leben.»

Ältere Menschen über 64 Jahre erreicht die Opferhilfe ebenfalls zu wenig. Hier wurde gegenüber dem Vorjahr sogar ein Rückgang an Beratungen registriert. Gewalt im Alter ist ein stark tabuisiertes Thema mit grosser Dunkelziffer. Fachleute schätzen, dass es in der Schweiz jährlich 300’000 bis 500’000 Fälle von Gewalt gegen Betagte gibt. Viele davon geschehen im Verborgenen. Wichtig in diesem Zusammenhang: Die Opferhilfe bietet auch Beratungen bei nicht angezeigten Straftaten an.

Trendwende bei den Genugtuungen?

Was im Langzeitvergleich auffällt: Die Beratungen nehmen zwar zu, die finanziellen Leistungen der Opferhilfe gesamthaft jedoch ab. Die Genugtuungen, mit denen das erlittene seelische Leid eines Gewaltopfers wiedergutgemacht wird, haben sich fast halbiert: Wurden im Jahr 2000, als die Daten erstmals erhoben wurden, pro genehmigten Fall durchschnittlich noch 12’300 Franken ausbezahlt, waren es 2024 nur gut 7000 Franken. 

Zuzuschreiben ist das der Knausrigkeit der Kantone. 2009 wurden die Genugtuungsbeiträge gedeckelt: auf maximal 70’000 Franken für das Opfer und 35’000 Franken für Angehörige. Das führt dazu, dass seither Betroffene von schweren Gewalttaten oft weniger Geld erhalten, als ihnen die Gerichte zusprechen. Opferanwälte kritisieren dies seit langem.

Immerhin: Zuletzt stieg die Gesamtsumme der ausgerichteten Zahlungen wieder an – gegenüber dem Vorjahr um gut 8 Prozent auf 5,3 Millionen Franken. Weil auf Anfang dieses Jahres die Höchstgrenzen heraufgesetzt wurden (neu: 76’000 Franken für Opfer, 38’000 Franken für Angehörige), könnte sich diese Entwicklung fortsetzen.

Verschenkte Entschädigungen? 

Einen anderen Weg gehen die Entschädigungen, die 2024 im Vergleich zum Jahr davor weiter zurückgingen – von 1,4 auf 1,2 Millionen Franken. Diese Leistungen gleichen die finanziellen Schäden einer Straftat aus, etwa Erwerbsausfall oder Bestattungskosten. 

Eine Erklärung: In Gerichtsverfahren wird dieser Posten oft gar nicht erst geltend gemacht, wie Mirjam Bugmann von der Zürcher Opferhilfestelle festgestellt hat. Dies, weil viele Anwältinnen und Anwälte den administrativen Aufwand dafür scheuen würden. Bugmann ärgert das: «Es gäbe durchaus Möglichkeiten, um einem Opfer zu einer faireren finanziellen Entschädigung zu verhelfen.»
 

Quellen