«Hören Sie jetzt bloss nicht mit dem Rauchen auf!», sagte der Arzt. Doch er meinte es keineswegs schlecht mit dem Patienten Urs Graf*. «Er hat sich nur unglücklich ausgedrückt», sagt er.

Der Westschweizer raucht ein Päckchen Zigaretten pro Tag. Weil er an einer Depression erkrankt ist, muss er regelmässig Antidepressiva nehmen. Das plötzliche Absetzen der Zigaretten könnte gefährlich werden. Denn Nikotin und Antidepressivum beeinflussen sich gegenseitig.

«Das Nikotin beschleunigt den Abbau von Antidepressiva», weiss Patient Graf. «Deshalb dosiert man bei uns Rauchern höher.» Wenn er unvermittelt aufs tägliche Päckchen verzichtete, könnte das unter anderem seinen Blutdruck gefährlich abfallen lassen.

Psychopharmaka können – wie alle Medikamente – problematische Wechselwirkungen haben. Viele Patientinnen und Patienten sind sich dessen zu wenig bewusst. «Laien fehlt oft das Wissen, um Interaktionen zu meiden», sagt Psychiater Thomas Müller, Chefarzt der Privatklinik Meiringen. Deshalb klären sie ihre Ärztinnen und Ärzte auch zu wenig darüber auf, welche anderen Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel sie noch zu sich nehmen. Auch potenziell folgenreiche Einschnitte im Lebenswandel – wie einen Rauchstopp – lassen sie unerwähnt.

Problem mit Johanniskraut

Einige, die unter Depressionen und Angststörungen leiden, nehmen neben den verschriebenen auch frei verkäufliche Präparate zu sich. Besonders beliebt sei Johanniskraut, sagt Psychiater Müller. Er warnt: «Nur weil diese Präparate pflanzlich sind, heisst es nicht, dass sie keine Wechselwirkungen mit Psychopharmaka verursachen.» Es drohen Schwankungen des Blutdrucks, Störungen des Bewusstseins und der Koordination bis hin zu lebensbedrohlichen Effekten. Einige Wirkungen können sofort, andere erst mit der Zeit zum Problem werden.

Eine Ursache für Wechselwirkungen, die oft unterschätzt wird: Alkohol. «Für gewöhnlich verstärkt er die Wirkung der Psychopharmaka», sagt Müller. So können Medikamente, die beruhigend wirken sollen, mit Alkohol sehr müde machen. Das kann zum Beispiel im Haushalt gefährlich werden.

Bei Wechselwirkungen wird entweder die Aufnahme oder der Abbau des Medikaments gestört. Das kann auch durch normale Lebensmittel geschehen. Grapefruitsaft etwa kann den Abbau von Antidepressiva verlangsamen – und zu Vergiftungen führen.

«Wir wissen allerdings noch zu wenig über die Zusammenhänge zwischen Psychopharmaka und den Inhaltsstoffen von Nahrungsmitteln», sagt die Pharmazeutin und Ernährungsexpertin Helena Jenzer, Leiterin der Spitalapotheke an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich. Ihr Rat: In sich hineinhorchen – wenn einem ein Nahrungsmittel nicht guttut, sollte man es in Zukunft vorsichtshalber meiden.

Ältere Leute müssen besonders vorsichtig sein. «Bei ihnen funktioniert der Stoffwechsel langsamer», sagt Thomas Müller. «Auch das kann Wechselwirkungen begünstigen.» Zudem nehmen die meisten über 65-Jährigen täglich mehrere Medikamente. Deshalb ist es wichtig, sich an die ärztlichen Vorgaben zu halten – und Auskunft über sämtliche Medikamente und deren Dosis zu geben. Wenn sich eine Medikation ändert, sollten alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte davon erfahren.

Ärzte nicht vernetzt

«Dass die Kolleginnen und Kollegen nicht voneinander wissen, ist eines der Hauptprobleme bei der Behandlung mit Psychopharmaka», sagt Thomas Müller. Personen mit bipolarer Störung etwa nehmen Lithium ein. Das hilft, Krankheitsphasen zu verhindern. Allerdings sollten Herzkranke, die Blutdrucksenker zu sich nehmen, die Lithium-Einnahme sofort mit ihrem Kardiologen besprechen. Sonst kann es zu einer Vergiftung kommen.

Fachleute machen auch auf genetische Unterschiede aufmerksam: Manche Menschen können trotz niedriger Dosis eines Psychopharmakons einen hohen Wirkspiegel im Blut aufweisen – und umgekehrt. «Leider können wir heute noch keine personalisierten Therapien anbieten», sagt Pharmazeutin Helena Jenzer. Noch müssen Betroffene die Medikamente erst einmal einnehmen, um festzustellen, ob sie aufgrund genetischer Veranlagungen zu bestimmten Wechselwirkungen neigen. Aber bei allen Beschwerden können – und sollten – Betroffene ihren Arzt aufsuchen.


* Name geändert

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Quelle: Beobachter-Edition
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Jasmine Helbling, Redaktorin
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