Der Nationalrat hat am Mittwoch einem radikalen Umbau des schweizerischen Steuersystems zugestimmt, wenn auch nur knapp, mit 101 gegen 95 Stimmen. Demnach sollen Ehepaare nicht mehr wie bis jetzt gemeinsam besteuert werden. Stattdessen sollen beide Ehepartner je eine Steuererklärung mit ihrem eigenen Einkommen und Vermögen ausfüllen, genau wie Konkubinatspaare.

Der Nationalrat will damit die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen, die seit Jahrzehnten für politischen Zündstoff sorgt.

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Der Beobachter hat die Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Gilt der Entscheid ab sofort?
Nein. Um den Entscheid ringt das Parlament seit Jahren, und noch ist nichts definitiv. Die Vorlage geht jetzt zurück an den Ständerat, der voraussichtlich im Juni entscheiden wird. Falls der Ständerat zustimmt, werden Mitte und/oder SVP voraussichtlich das Referendum ergreifen, dann hat das Volk das letzte Wort. Sagt das Volk Ja, dauert es wiederum mehrere Jahre bis zur Umsetzung, weil auch alle Kantone ihre jeweiligen Steuergesetze anpassen müssten. 

Wird die Heiratsstrafe damit wirklich abgeschafft?
Kommt darauf an, wie man das definiert. Rein aufgrund des Zivilstands (alleinstehend, verheiratet, geschieden, verwitwet) gäbe es keine unterschiedlichen Steuerbelastungen mehr. Dafür entstünden neue Ungleichbehandlungen. Haushalte mit Paaren – ob verheiratet oder nicht – würden sehr unterschiedlich besteuert, je nachdem, wie die Einkommen auf die beiden Partner verteilt sind. Je gleichmässiger die beiden Partner verdienen, umso tiefer die Steuern. 

Verlierer sind traditionell organisierte Familien und Alleinstehende mit höherem Einkommen.

Wer profitiert von der geplanten Reform, und wer verliert?
Profitieren würden vor allem Doppelverdiener und Pensionierte, Verlierer sind traditionell organisierte Familien sowie Alleinstehende mit höherem Einkommen. Paare mit tiefem Einkommen zahlen meist ohnehin kaum Bundessteuern und sind deshalb von der Reform weniger stark betroffen.

Laut Finanzministerin Karin Keller-Sutter kann sich gesamthaft rund die Hälfte aller Steuerpflichtigen auf eine Entlastung freuen, bis hin zu mehreren Tausend Franken pro Jahr. Im Gegenzug müssten rund 14 Prozent der Steuerzahlenden mehr berappen, ebenfalls bis zu mehreren Tausend Franken pro Jahr. Für den Rest würde sich nichts ändern. Für die Politik war klar, dass nur eine Variante, bei der es mehr Gewinner als Verlierer gibt, eine Chance auf eine Mehrheit in einer Volksabstimmung hat. 

Was würde konkret geändert?
Falls die Vorlage durchkommt, müssten inskünftig alle eine eigene Steuererklärung ausfüllen, auch Ehepartner. Der bisherige Spezialtarif für Verheiratete würde entfallen, im Gegenzug würde der für alle geltende Steuertarif so verändert, dass kleine und mittlere Einkommen entlastet, höhere Einkommen hingegen stärker besteuert würden.

Zudem würde der Kinderabzug von bisher 6700 auf neu 12’000 Franken (pro Kind) erhöht. Beide Elternteile könnten je den halben Kinderabzug geltend machen. Der Kinderabzug könnte aber nicht, wie ebenfalls diskutiert wurde, auf den anderen Elternteil übertragen werden.

Ein solcher Übertrag würde Familien mit traditionellem Lebensmodell helfen, denn wenn jemand nichts oder fast nichts verdient, nützt der Kinderabzug nichts – hingegen würde es dem viel verdienenden Ehepartner steuerlich etwas bringen, den ganzen statt den halben Kinderabzug vornehmen zu können. FDP und SP wollten dies jedoch nicht. 

Gesamthaft kann sich rund die Hälfte aller Steuerpflichtigen auf eine Entlastung freuen.

Was kostet das Ganze?
Gemäss Berechnungen der Steuerverwaltung nähme der Bund mit der Reform pro Jahr rund 600 Millionen Franken weniger Steuern ein. 

Wer ist dafür und wer dagegen?
Hinter der Reform stehen in erster Linie die FDP und die SP, unterstützt von den Grünen und den Grünliberalen. Sie erhoffen sich zusätzliche Anreize für Ehefrauen, erwerbstätig zu werden oder ihr Pensum zu erhöhen, weil die Steuerbelastung sinkt.

Die Mitte und die SVP sind geschlossen dagegen, sie sehen die Ehe als Institution bedroht. Ausserdem bemängeln sie, dass traditionell organisierte Familien, in denen ein Elternteil den Hauptteil des Einkommens erzielt, deutlich mehr Steuern zahlen müssen wegen der Reform. Auch die Kantone sind mehrheitlich dagegen: Sie fürchten den Zusatzaufwand, weil es rund 1,7 Millionen zusätzliche Steuerdossiers gäbe.

Wie geht es weiter?
Die Vorlage geht jetzt wieder in den Ständerat, der im Juni erneut darüber berät. Gut möglich, dass dort die gesamte Vorlage abstürzt. Beim letzten Anlauf resultierte in der kleinen Parlamentskammer nur eine Stimmenmehrheit von 23:22. Und nun fehlt dem Ja-Lager die Stimme von Simon Stocker (SP, SH), weil das Bundesgericht seine Wahl annulliert hat.

Falls im Ständerat ein Nein resultiert, geht das Ringen um die Abschaffung der Heiratsstrafe weiter. Gibt es ein Ja, werden Mitte und/oder SVP aller Wahrscheinlichkeit nach das Referendum ergreifen und damit eine Volksabstimmung herbeiführen.