Wanderweg bleibt offen, obwohl Felsbrocken runterkommen
Ein Anwohner eines Wanderwegs im Oberwallis warnt vor tödlichem Steinschlag. Trotzdem bleibt der Weg offen. Wer haftet, wenn Wanderer verletzt werden? Die Antwort: Es ist kompliziert.
Veröffentlicht am 8. Oktober 2025 - 17:26 Uhr
Die Bevölkerung nutzt den Weg ins Naherholungsgebiet Grindji in Brig-Glis trotz der Gefahr.
Kristallklare Bergbäche, saftige Wiesen, majestätische Gipfel. So sieht das perfekte Wanderparadies aus. Doch dieses Idyll bekommt mehr als nur Risse, wenn der Berg bröckelt und Felsen auf die Wanderwege krachen.
Spätestens wenn sich dabei jemand verletzt oder stirbt, verwandelt sich die malerische Kulisse in einen juristischen Schauplatz. Ein trauriges Beispiel dafür lieferte der Bergsturz in Bondo im Jahr 2017. Die Wanderwege waren offen, als das Unglück geschah und acht Alpinisten verschüttet wurden.
Auch Felsbrocken können tödlich sein
In Bondo stürzten gewaltige Geröllmassen ins Tal. Doch schon kleinere Brocken können Menschen tödlich verletzen.
Genau das befürchtet ein Mann aus Brig-Glis. Er wohnt dort, wo der Wanderweg zum Naherholungsgebiet Grindji beginnt. Ende September seien dort massive Felsblöcke auf den Weg gestürzt, berichtete er kürzlich dem «Blick». Fast täglich donnerten Steine herunter.
Die Behörden liessen die Situation von einer Geologin beurteilen und gaben den Weg daraufhin wieder frei.
Was gilt rechtlich?
Wie sicher der Weg bei Brig-Glis nun ist, können wir nicht beurteilen. Aber wir können klären, welche Rechtsfragen sich stellen, wenn jemand auf einem öffentlichen Wanderweg durch einen Steinschlag verletzt wird.
Ein Schild warnt vor Steinschlag auf dem Wanderweg – nicht umsonst, wie die weggeräumten Felsbrocken zeigen.
Wer haftet? Und ist jemand strafrechtlich verantwortlich? Die Antwort lautet, so viel sei bereits vorweggenommen: Es kommt darauf an.
Das sagt das Gesetz
Wenn etwa jemand verunfallt, weil eine morsche Brücke auf einem beliebten Weg nicht instand gehalten wurde, muss das Gemeinwesen grundsätzlich dafür geradestehen.
Denn wer Werkeigentümer ist, haftet für den mangelhaften Unterhalt. Zudem schreibt das Gesetz explizit vor, dass Wanderwege möglichst gefahrlos zu begehen sein müssen.
Und was gilt bei bröckelnden Felsen? Auch bei Naturgefahren ist eine Haftung denkbar. Vor allem wenn das Risiko vorhersehbar war. Bei akuter Gefahr müssen die Behörden die Wege nämlich sperren.
Wandern auf eigene Gefahr?
Trotzdem: Auch wenn sie offen bleiben, ist die Haftung des Gemeinwesens nicht in Stein gemeisselt. Wanderer tragen eine gewisse Selbstverantwortung. Sie müssen trittsicher, gut ausgerüstet und informiert sein – etwa über die Gefahren im Gebirge und über das Wetter.
Zudem spielt der Unfallort eine Rolle. Auf einem gut ausgebauten, gelb markierten Weg darf man mehr Schutz erwarten als auf alpinen Wegen.
Strafverfahren sind möglich
Wenn Felsen herunterstürzen, kommt es oft auch zu strafrechtlichen Untersuchungen. Wie in Bondo, wo die Staatsanwaltschaft mehrere Personen wegen fahrlässiger Tötung anklagte.
Auch in einem Strafverfahren kommt es darauf an, ob man den Verantwortlichen vorwerfen kann, die Gefahr falsch eingeschätzt zu haben. Anders gesagt: ob sie fahrlässig handelten.
Wer also einen Wanderweg nicht sperrt, obwohl sich ein Felssturz klar ankündigt, macht sich strafbar, wenn jemand getroffen wird – etwa wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung.
Das letzte Wort hat das Gericht
Am Ende muss das Gericht entscheiden, ob jemand – und wer – für den Schaden haftet oder strafbar ist.
Da das Gericht kaum selbst beurteilen kann, ob man mit einem Felssturz rechnen musste, wird es sich dabei wohl auf Expertinnen stützen – etwa auf die Meinung einer Geologin.
- Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege: Planung, Anlage und Erhaltung
- Schweizerisches Strafgesetzbuch: Vorsatz und Fahrlässigkeit
- Schweizerisches Obligationenrecht: Haftung des Werkeigentümers
- Schweizer Wanderwege: Sicherheit und Haftung
- «Blick»: «Das ist eine Todesfalle, wieso tut man nichts?»