Hungrig steht der Gast mit dem Tablett in der Kantine und hat die Qual der Wahl: Fleisch oder «Vegi»? Seine Entscheidung hat einen erstaunlichen Einfluss auf die Umwelt. Bei der Herstellung eines Zürcher Geschnetzelten mit Kalbfleisch verpuffen dreieinhalb Kilogramm Kohlendioxid in die Atmosphäre, beim gleichen Gericht mit Tofu ist es lediglich ein halbes Kilogramm.

Fleischlos, regional und saisonal. Gebetsmühlenartig predigen Umweltorganisationen die Losung für umweltfreundliches Essen. Dabei wird der überwiegende Teil der Lebensmittel gar nicht von den Konsumenten selbst eingekauft und gekocht: Zwei von drei Mahlzeiten lassen sich die Europäer in einer gastronomischen Einrichtung servieren, hat eine Studie des internationalen Marktforschungsinstituts CHD Expert ergeben. In der Schweiz werden pro Jahr rund 5,5 Millionen Tonnen Nahrungsmittel und Getränke konsumiert – ein immer grösserer Teil davon ausser Haus. Ihre Erzeugung belastet Klima, Boden und Wasserhaushalt rund um den Globus. Ein Drittel aller Umweltschäden, die der Privatkonsum in der Schweiz anrichtet, geht aufs Konto der Ernährung – so viel wie diejenigen aus Individualverkehr, Heizung und Stromverbrauch zusammen.

Schnitzel und Steaks fallen bei der Ernährung am stärksten ins Gewicht: Die Umweltbelastung durch ein Kantinengericht liesse sich um 30 bis 50 Prozent reduzieren, wenn Grossküchen von Fleisch auf vegetarisches Essen umstellen würden. Dies ergab eine Ökobilanzstudie, die das Umweltberatungsbüro ESU-services unlängst im Auftrag des WWF Schweiz erstellt hat. Hinter einem vegetarischen Menü verbergen sich zwei Kilogramm weniger Klimagase als hinter der tierischen Variante – das entspricht immerhin rund 15 im Auto gefahrenen Kilometern.

Per Flugzeug transportierte Waren und auch beheizte Gewächshäuser lassen die Umweltbilanz weiter ins Negative purzeln. So sind im Spätherbst aus Spanien importierte Freilandtomaten klimafreundlicher als jene aus Schweizer Treibhäusern. Doch entscheidend für die Gesamtbilanz ist der Fleischkonsum: Fleisch deckt nur zwölf Prozent unseres Energiebedarfs, verursacht aber die Hälfte der ernährungsbedingten Treibhausgase. Sie entstehen bei der Düngerherstellung, beim Futteranbau und bei der Verdauung der Tiere. Die Tierproduktion nimmt zudem einen grossen Teil der Ackerfläche und des Wasserverbrauchs weltweit in Anspruch.

Quelle: Alessandro Della Bella/Keystone

Durchschnittliche Umweltbelastung einer Person in der Schweiz nach Konsumbereichen und Nahrungsmitteln, in Prozent. Bei der Berechnung der Umweltbelastung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, zum Beispiel der Ausstoss von Treibhausgasen, der Verbrauch von Wasser und Landfläche.

Die Bratwurst ohne Fleisch

Jeder Schweizer isst im Schnitt 53 Kilogramm Fleisch pro Jahr; die Hälfte davon in Restaurants. Dort enthalten acht von zehn Menüs Fleisch, schätzt Felix Meier, Leiter des Bereichs Konsum und Wirtschaft beim WWF Schweiz. Auch Spitäler, Altersheime und Kantinen servieren täglich Tausende von Menüs. Allein die Stadt Zürich kocht in zwei Stadtspitälern, 38 Alters- und Pflegeheimen und zehn Kantinen täglich rund 7000 Hauptmahlzeiten.

Die gute Nachricht: Ein Totalverzicht auf Fleisch ist unnötig. Wer nur dreimal wöchentlich statt täglich Ragout, Frikadellen oder Fleischvögel esse, würde seine jährlichen Treibhausgas-Emissionen um fast 600 Kilogramm senken, rechnet der WWF vor. Bei einer vierköpfigen Familie sei das so viel Kohlendioxid, wie ein Auto im Schnitt in einem Jahr produziere.

Die entwicklungspolitische Organisation «Erklärung von Bern» hat berechnet, wie viel Fleisch die Schweiz ohne Sojaimporte produzieren könnte. Denn in vielen südlichen Ländern wird für die Produktion dieses Futtermittels Regenwald abgeholzt, werden Bauern vertrieben. Und siehe da: Ein Fleischkonsum von jährlich 30 Kilo pro Person wäre immer noch machbar – etwas mehr als die Hälfte von heute.

Einen Schritt in diese Richtung macht die belgische Stadt Gent: Jeden Donnerstag ist hier «Vegi-Tag», und das schon seit 2009. Deutsche Städte haben die Aktion aufgegriffen – in Wiesbaden führt sogar eine Würstchenbude donnerstags eine vegetarische Bratwurst im Sortiment. Die Schweizerische Vereinigung für Vegetarismus hat den Vegi-Tag lanciert, bislang hat ihn aber nur Lausanne eingeführt – und auch dies nur in Schulkantinen. Ein Zeichen setzt der WWF mit seiner Aktion «Klima-Zmittag» – Einzelpersonen, Familien und Grossküchen sind aufgerufen, am 20. September auf Fleisch zu verzichten.

Noch vor 20 Jahren mussten sich Vegetarier in der Kantine mit Kartoffeln ohne Fleisch und Sauce begnügen. Heute hat fast jede Grossküche wenigstens ein fleischloses Menü im Angebot. Auch beim Einkauf nimmt das Umweltbewusstsein allmählich zu. Die Stadt Zürich kauft seit 2007 fünf Prozent aller Lebensmittel in Bioqualität ein und bezieht Fisch aus umweltzertifiziertem Fang. Die Stadt Genf fördert ebenfalls die Beschaffung von lokalen, biologischen und Fairtrade-Produkten für ihre Grossküchen.

Wirtschaftliche, aber auch umwelt-, tier- und menschenfreundliche Menüs will der grösste Kantinenbetreiber der Schweiz, SV Group, anbieten. So sieht es das Umweltleitbild vor. Einkaufsziele sind Freilandeier, nach Möglichkeit Schweizer Fleisch und vom WWF empfohlener Fisch. Gemüse und Obst sollen regional und saisonal produziert sein. Die SV-Logistik verzichtet auf Einwegverpackungen und Leerfahrten. Andere Grossküchen haben sich dem Label «Goût Mieux» angeschlossen, das Richtlinien für umweltfreundliche Gastronomie vorsieht. Allerdings machen seit 2002 schweizweit erst 67 Restaurants mit.

Wir produzieren mehr, als wir essen

Sparsamkeit ist oberstes Gebot, wenn die Umweltbelastung durch die Ernährung sinken soll. Jedes Jahr fallen in der Schweizer Gastronomie rund 300'000 Tonnen Speisereste an – Rüstabfälle und Unverkauftes sowie das, was der Gast auf dem Teller liegen lässt. So werden mehr Lebensmittel produziert als gegessen. Dass Essensreste seit diesem Jahr nicht mehr in der Schweinemast eingesetzt werden dürfen, trübt die Bilanz weiter.

Die Frage bleibt, ob sich der Konsument für umweltfreundliche Kost begeis-tern mag. Julia Negri, Sprecherin bei SV Group, weiss: «Derzeit steigt die Nachfrage nach fleischlosen Gerichten leicht an.» Gleichzeitig nimmt aber auch der Fleischkonsum weiter zu. Negri bestätigt das: «Schnitzel mit Pommes frites ist bei uns nach wie vor der Renner.»