Der Schock kommt als grosse Zahl unten rechts auf der Rechnung. Patienten müssen nach einem Spitalaufenthalt neben der Franchise auch einen Selbstbehalt von 10 Prozent bezahlen. So kommen schnell einige tausend Franken zusammen. Ein viel kleinerer Betrag geht dabei unter: 15 Franken pro Spitaltag, die man für sogenannte Lebenshaltungskosten selber berappen muss, zum Beispiel für das Essen.

Obwohl die 15 Franken nichts mit den Krankenkassen zu tun haben, schlugen diese systematisch 10 Prozent Selbstbehalt auf den Betrag. Den meisten Patienten wurden so Fr. 16.50 pro Tag verrechnet – seit Jahren.

Aufschlag ist illegal

Der Konsumentenschutz hat die 15 grössten Kassen nach ihrer Verrechnungspraxis befragt. Alle bestätigen, den Selbstbehalt auch auf den Spitalkostenbeitrag verrechnet zu haben. Es geht um Millionenbeträge, wenn man die jährlich gegen 12 Millionen verrechneten Pflegetage als Basis nimmt.

Am 14. Mai hat das Bundesgericht den Aufschlag klar als illegal taxiert. Die Kassen dürfen seither nur noch 15 Franken verrechnen. Sie wollen Patienten entschädigen, die nach dem 14. Mai Abrechnungen der alten Art erhalten haben.

Mit dem Segen des Bundes

Doch was ist mit den Millionen, die zuvor über Jahre widerrechtlich in die Taschen der Kassen wanderten? Nur eine Versicherung , die Concordia, gab gegenüber dem Konsumentenschutz an, sie werde zu hohe Rechnungen über fünf Jahre zurück korrigieren. Alle anderen Kassen wollen das nicht oder gaben an, den Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zu folgen. Das schrieb den Kassen, das Urteil «entfaltet […] keine echte Rückwirkung, das heisst, sie gilt nicht für die vor dem 14. Mai 2019 definitiv abgeschlossenen Fälle.» Rückerstattungen seien darum nur ein Thema, wenn ein Patient seine noch nicht abgeschlossene Abrechnung innert 90 Tagen beanstande, eine schriftliche Verfügung fordere und innert 30 Tagen Einsprache erhebe.

Auch der Bundesrat verteidigt die Auffassung des BAG in seiner Antwort auf eine Interpellation von SKS-Präsidentin und SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo.

Kurz: Patienten, deren Fälle vor dem 14. Mai 2019 abgeschlossen worden sind, sollen nichts zurückerhalten. Und wer sie noch verlangen könnte, muss das selbst merken. Auch wegen der eher kleinen Beträge dürften sich Rückforderungen in Grenzen halten.

Auf die Seite der Versicherungen geschlagen

Eine, die es getan hat, ist die pensionierte Ärztin Gaby Igual. Sie hatte die Falschabrechnungen überhaupt ans Tageslicht gebracht, indem sie sich gegen eine Abrechnung der Krankenkasse Assura wehrte. Diese blieb stur und provozierte letztlich das erwähnte Bundesgerichtsurteil. «Das BAG schlug sich von Beginn weg auf die Seite der Versicherungen verteidigte das illegale Abrechnen. Das hatte mich zuerst irritiert, dann ziemlich empört», sagt Gaby Igual.

Auch der Konsumentenschutz kritisiert das Verhalten des BAG: «Die Kassen rechneten über Jahre falsch ab. Es wäre jetzt das Mindeste, wenn sie vom BAG dazu aufgefordert würden, Versicherte zu informieren und rückwirkend zu entschädigen Beobachter löst den Fall Krankenkasse muss Prämien rückerstatten », sagt Ivo Meli, Leiter Gesundheit beim Konsumentenschutz.

Das BAG sieht seinen Auftrag dagegen erfüllt: «Die Aufsichtsbehörde informiert die Versicherer über die rechtliche Lage, wie im Brief beschrieben. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, den Versicherern Empfehlungen in irgendeine Richtung abzugeben», sagt BAG-Sprecher Jonas Montani.

Der Konsumentenschutz empfiehlt Betroffenen, in jedem Fall eine Rückerstattung von ihrer Kasse zu verlangen. «Es geht hier nicht nur um eine Rechtsfrage. Wenn Krankenkassen sich weigern, über Jahre zu Unrecht einkassierte Beiträge zurückzuzahlen, verspielen sie das Vertrauen von langjährigen Kunden.» Wenn sich eine Kasse nicht kulant zeige, bleibe immer noch die Möglichkeit, im Herbst mit der Grundversicherung zu einem anderen Anbieter zu wechseln .

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Peter Johannes Meier, Ressortleiter
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