Nazi-Wanderer riskieren bald auch in der Schweiz Strafen
Eine Gruppe Männer wandert in Wehrmachtsuniformen mit Nazisymbolen durch das Berner Oberland. Das soll bald unter Strafe stehen: Wer öffentlich Nazisymbole verwendet, muss künftig 200 Franken Busse zahlen.
Veröffentlicht am 22. Juli 2025 - 16:39 Uhr,
aktualisiert vor 11 Stunden
Keine Konsequenzen für Nazi-Wandergruppe: Das Tragen von Hakenkreuzen ist in der Schweiz bis heute nicht strafbar (Symbolbild).
Am Wochenende zeigte sich Wanderern im Berner Oberland ein verstörendes Bild: Eine Gruppe Männer, die komplett in alte Wehrmachtsuniformen gekleidet war, wanderte durch das Wildhornmassiv. Dies berichtete SRF am Dienstag. Eine Augenzeugin habe an manchen Uniformen Hakenkreuze und andere Nazisymbole erkannt. Laut der Berner Kantonspolizei handelte es sich um 25 Personen aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA.
Strafrechtliche Konsequenzen drohen den Männern keine.
Die Polizei griff ein und wies die Gruppe an, die Jacken mit den Nazisymbolen auszuziehen – um zu verhindern, dass es zu Auseinandersetzungen mit Drittpersonen kommt. Strafrechtliche Konsequenzen drohen den Männern hingegen keine. Das soll sich bald ändern.
Müssen wir Nazi-Symbole verbieten?
In vielen europäischen Ländern, darunter Deutschland, Frankreich, Österreich oder Tschechien, ist das Zeigen von Nazisymbolen strafbar. Die Schweiz zieht aktuell nach. Am 31. März endete die Vernehmlassung zu einem Spezialgesetz, wonach nationalsozialistische Symbole verboten werden – darunter das Hakenkreuz, aber auch abgewandelte Symbole wie die Buchstabencodes 18 (erster und achter Buchstabe im Alphabet, entspricht den Initialen Adolf Hitlers) oder 88 (analog: «Heil Hitler»).
Wer öffentlich Nazisymbole verwendet, muss danach 200 Franken Busse zahlen. Ziel ist neben der Geldstrafe vor allem die symbolische Ächtung.
Das lange Ringen um ein Verbot
Nach dem verheerenden Angriff der Hamas auf jüdische Menschen im Oktober 2023 waren auch auf Schweizer Hauswänden plötzlich Hakenkreuze zu sehen. Symbole des Hasses und des Antisemitismus.
Doch es blieb nicht bei Farbe an Hauswänden. In Zürich wurde ein 50-jähriger orthodoxer Jude Opfer eines Messerangriffs. Und hinterher stellte sich mal wieder die Frage: Hat sich so eine Attacke angekündigt?
Unter Symbolen wie Hakenkreuz, Reichsadler oder SS-Runen wurden während des Zweiten Weltkriegs sechs Millionen Juden ermordet. Nie wieder, hiess es danach auf Denkmälern, in Geschichtsbüchern, politischen Reden und Filmen. Das Schweizer Parlament findet: Nie wieder, diese Mahnung muss jetzt – symbolisch gesprochen – ins Gesetz.
«Antisemitismus ist wie Gülle unter löchrigen Brettern.»
Marianne Binder-Keller, Mitte-Ständerätin
An einer Sondersession am 17. April 2024 hat eine Mehrheit des Schweizer Nationalrats dem Bundesrat die Aufgabe übermittelt, eine gesetzliche Grundlage für ein allgemeines Verbot nationalsozialistischer Symbole auszuarbeiten. Wie das gelingen soll, ist noch unklar. Welche Symbole genau verboten werden sollen, ebenso.
Dass ein Verbot kommt, sei aber überfällig, sagen Politikerinnen von Mitte, SP und Grünen, die sich seit Jahren dafür einsetzen. «Antisemitismus ist wie Gülle unter löchrigen Brettern. Wenn man draufsteht, quillt er nach oben», sagt die Aargauer Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller.
2023 hat sich der öffentlich wahrnehmbare Antisemitismus in der Schweiz verdreifacht.
2023 hat sich der öffentlich wahrnehmbare Antisemitismus in der Schweiz verdreifacht, zeigt ein publizierter Bericht. «Fuck Jews» steht etwa auf einem Trottoir in Küsnacht ZH. Daneben mehrere Hakenkreuze. An einer Wand in Basel: «Vertreibt die Juden aus Europa, oder die weisse Rasse wird untergehen.» Diese Rhetorik kennt Europa aus seiner dunkelsten Epoche.
Ein generelles Verbot von Nazisymbolen – «es ist an der Zeit», meint Marianne Binder-Keller.
Schöne Hitlergrüsse aus der Schweiz
Das angestrebte Verbot wäre eine Verschärfung der bestehenden Praxis. Denn entsprechende Symbole können in der Schweiz unter Anwendung der Antirassismusstrafnorm schon heute geahndet werden. Verboten sind laut Artikel 261bis im Strafgesetzbuch alle Handlungen in Wort, Schrift, Bild, oder Gebärden, die Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung abwerten oder in ihrer Menschenwürde verletzen.
Doch es gibt eine Präzisierung – und die steht im Zentrum der ganzen Auseinandersetzung. Strafbar ist ein Angriff auf die Menschenwürde nämlich nur, wenn damit gleichzeitig für eine entsprechende Ideologie öffentlich geworben wird.
Damit stehen Schweizer Gerichte vor der Frage: Will da jemand rassistisches, herabwürdigendes und diskriminierendes Gedankengut verbreiten? Oder ist er oder sie lediglich, na ja, privat einfach ein Nazi?
Ein Beispiel, das diesen Bewertungskonflikt veranschaulicht, spielt 2010.
Neonazis versammeln sich auf der Rütliwiese, und einer von ihnen zeigt für rund 20 Sekunden den Hitlergruss. Die Staatsanwaltschaft Uri verklagt den Mann wegen Rassendiskriminierung, doch das Bundesgericht fällt ein anderes Urteil: Freispruch. Weil der Mann unter seinesgleichen, also anderen Nazis, gehandelt habe, laufe der Vorwurf der Verbreitung einer rassendiskriminierenden Ideologie ins Leere.
Das Tabuprinzip
Der Fall schlug auch im Ausland hohe Wellen – besonders in Deutschland, wo seit Jahren ein generelles Verbot unter Androhung von bis zu drei Jahren Haft gilt.
Viel über die deutsche Anwendung des Verbots weiss Thomas Fischer. Er war Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und schreibt heute eine viel beachtete Kolumne im «Spiegel». Es geht darin um Recht und Politik – und immer wieder auch um die Frage, ob Gesetze der richtige Ort sind, um gesellschaftliche Missstände zu lösen.
«Man kann auch in Deutschland niemandem verbieten, privat ein Antisemit zu sein.»
Thomas Fischer, ehemals Vorsitzender Richter am deutschen Bundesgerichtshof
«Man kann auch in Deutschland niemandem verbieten, privat ein Antisemit zu sein», sagt Fischer. «Aber es ist strafbar, das auf bestimmte Weise zu äussern.» Dazu gehören: die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen, die Verbreitung verfassungswidrigen Propagandamaterials oder die öffentliche Volksverhetzung.
Die deutsche Regelung, so Fischer, folgt damit einem «Tabuprinzip». Im Unterschied zur Schweizer Rechtspraxis – sie entspreche dem «Präventionsprinzip». Oder, so könne man das auch nennen, einem «Propagandaverhinderungsprinzip».
«Das ist keine Symbolpolitik»
Und nun, Thomas Fischer, ist der angepeilte Wechsel vom Propagandaverhinderungs- zum Tabuprinzip in der Schweizer Gesetzgebung sinnvoll – oder ist das reine Symbolpolitik?
«Ich halte das durchaus für sinnvoll und nicht für Symbolpolitik», sagt Thomas Fischer. «Durch die Änderung würde eine klare, formale Grenze gezogen, und Gerichte und Staatsanwaltschaften müssten nicht mehr über mögliche Absichten oder Nichtabsichten verhandeln oder spekulieren.»
«Durch die Änderung würde eine klare, formale Grenze gezogen», sagt Ex-Richter Thomas Fischer.
Deutschland hat europaweit das strengste Gesetz. Das, erklärt Fischer, hat historische Gründe. «Es sollte in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Wiederaufleben von Keimzellen des nationalsozialistischen Apparats um jeden Preis verhindert werden.» Also habe man erst sämtliche Naziorganisationen verboten. Und dann, in einem zweiten Schritt, ihre Kennzeichen, also Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grussformeln.
Heute sind in Deutschland 162 Vereine verboten. Darunter rechtsextreme. Aber auch solche aus anderen sogenannten Phänomenbereichen wie zum Beispiel Islamismus oder Ausländerextremismus.
Der Teufel steckt im Detail
Die Umsetzung ist eines der grossen Fragezeichen hinter einer möglichen neuen Schweizer Strafnorm. Auch, weil der Ständerat mit seiner Forderung nach einem Verbot diskriminierender Zeichen noch weiter geht als der Nationalrat. Er will nämlich nicht nur Nazisymbole, sondern extremistische oder gewaltverherrlichende Symbole insgesamt verbieten. Zu klären wäre dann etwa, ob das Z, das Russland im Ukrainekrieg als Emblem einsetzt, problematisch sei. Oder der Pfeil nach oben (Tiwaz-Rune), das Erkennungszeichen der rechtsextremen Jungen Tat.
Diese Ausweitung macht die Sache also noch komplizierter.
Wer in der Schweiz mit Tempo 80 durch ein Dorf brettert, weiss: Das ist gegen das Gesetz. Auf dem Feld nationalsozialistischer Symbole stehen die Gewissheiten auf dünneren Beinen. Über die Bedeutung von Hakenkreuz, SS-Rune und Reichsadler werden die wenigsten streiten.
Darf «88» noch sein?
Doch was ist mit der 88, die in rechtsextremen Kreisen wegen des achten Buchstabens im Alphabet, des H, als Chiffre für «Heil Hitler» benutzt wird? Wissen da alle Bescheid?
Für Änderungen im Strafrecht gilt das sogenannte Bestimmtheitsgebot. Das heisst, dass Bürgerinnen und Bürger ein Verbot erstens kennen müssen. Damit sie sich zweitens entsprechend verhalten können.
Die neue Norm muss also so ausformuliert sein, dass sie klar ist.
Kritik aus der Praxis
Als eine Möglichkeit zur Eingrenzung des Verbots gilt ein Katalog strafbarer Symbole im Sinn einer schwarzen Liste. Eine solche Liste verbotener Symbole wäre denkbar, sagt Damir Skenderovic, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg, zu SRF. «In diesem Bereich wird sehr viel Forschung betrieben. Diese Vorarbeit könnte bei einem allfälligen Verbot solcher Symbole in der Schweiz genutzt werden.»
Eine Informationsbroschüre des Deutschen Verfassungsschutzes zu Symbolen, Zeichen und verbotenen Organisationen lässt allerdings erahnen, wie komplex so eine Aufstellung ist: Die Liste strafbarer Zeichen ist ellenlang. Und sie umfasst neben den offensichtlichen Chiffren, Hakenkreuzen und SS-Runen auch Memes, Wappen und Gesten.
Um die Umsetzbarkeit einer schwarzen Liste zu prüfen, hat das Bundesamt für Justiz mit Richterinnen, Staatsanwälten und Polizeikräften gesprochen. Die Rückmeldungen waren kritisch bis ablehnend. Es stellten sich zum Beispiel praktische Fragen. Müssten Polizeibeamte an Demonstrationen künftig solche Listen mitführen, um potenziell strafbare Symbole erkennen zu können? Unklar sei auch, wer über die Symbole auf dieser «Tabuliste» entscheide.
Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller hofft, dass sich der Nationalrat in der Sondersession auf einen zweistufigen Auftrag zuhanden des Bundesrats einigen kann: «Die klaren, eindeutig erkennbaren Nazisymbole sollen endlich verboten werden. Danach können wir gern über weitere Verbote sprechen.»
Nazisymbole sind keine Meinung
In den Details sind also noch einige Fragen offen. Alt Bundesrichter Fischer sagt auch, dass sich die Rechtspraxis des einen Landes nicht ohne weiteres auf ein anderes Land übertragen lasse. Grundsätzlich darum noch mal, jetzt mit Blick auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Debatte: Was wird mit einem Verbot von extremistischen, insbesondere nationalsozialistischen Symbolen erreicht?
Thomas Fischer: «Wir sehen seit Jahren eine Verschiebung des angeblich Sagbaren, die teilweise weit in rechtsextreme Diskursräume hineingreift.» In Deutschland sehe man das teils an Sprachbildern in Teilen der AfD. Da ist von «Umvolkung» die Rede, oder vom Nationalsozialismus als «Vogelschiss in der Geschichte».
«Es muss verhindert werden», sagt Thomas Fischer, «dass in der Gesamtbevölkerung der Eindruck entsteht, Nazisymbole seien legitime Zeichen einer diskutablen Meinung unter vielen anderen.»
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 12. April 2024 veröffentlicht.
- Bund: Vernehmlassung zum Gesetz für das Verbot von Nazisymbolen
- Antisemitismusbericht 2023
- Antirassismusstrafnorm
- Beobachter: Hassrede im Internet – wo die Meinungsfreiheit endet
- Beobachter: Was darf man noch sagen? Und was nicht?
- Beobachter: Wann aus Kritik strafbarer Hass wird
- Vereinsverbote in Deutschland
- Ständerat fordert Verbot von extremistischen Symbolen
- Belltower: Die Tyr- oder Tiwaz-Rune
- SRF: Nazisymbole könnten in der Schweiz bald verboten werden
- Deutscher Verfassungsschutz: Informationsbroschüre zu Rechtsextremismus
- Bund: Bericht zum Verbot von nationalsozialistischen und rassistischen Symbolen
- Frankfurter Allgemeine: Gaulands Rede im Wortlaut
- Die Zeit: NS-Zeit nur ein «Vogelschiss in der Geschichte»
3 Kommentare
Leider wieder mal Journalismus der untersten Schublade. Erstens einmal geht diese Grussart auf die Römer zurück und hat mit Nazisymbolen rein gar nichts zu tun, sofern diese von Mask eine solche war. Zweitens müsste es dann heissen, Grüssen wie Merkel, Lauterbach, Harris u. v. m. wäre in der Schweiz bald Verbot. Alle haben ähnliche Grüsse zur Schau gestellt und kann einfach recherchiert werden. Und last but not least wäre dieser Gruss nur im Zusammenhang mit den Nazionalsoziaöismus verboten, nicht aber wenn ich Petri Heil sage und die Hand strecke oder bewusst jemandem sagen möchte er sei ein Nazi, z. B. während Corona, als ich jeweils Heil Maske rief, wenn mich jemand unter dieses Ding zwingen wollte. Wäre auch nicht verboten. Und dann noch all die anderen politischen Symbole aus Stalin und Lenins Zeiten etc. Denke ein solches Verbot wird vor Gericht nicht standhalten.
Und dann auch noch alle linksextremen Symbole verbieten: Rote Fahne (mit und ohne Hammer/Sichel), DDR-Fahne, erhobene Faust usw.
Und wenn wir gleich dabei sind: Alle totalitären/extremistischen Organisationen verbieten: Die „Junge Tat“, „Alternative Liste (AL)“, „Partei der Arbeit (PdA)“ etc.
Als nächstes ein Radikalenerlass und die Anhänger der totalitären Ideologien von links und rechts aus dem Staatsfernsehen und allen öffentlichen Ämtern entfernen.
Ein Schelm der denkt, es könnte da auch ein paar Grüne und SP-ler treffen …
Ja und all die IS, Kalifat, Palästina Flaggen usw. gehören auch dazu. Unsere Gesellschaft ist krank, einfach sehr krank.