«Stress, Burn-out, körperliche Beschwerden – das ist die Realität»
Das Parlament will zwölf verkaufsoffene Sonntage einführen. Dabei umgehen Detailhändler bereits heute die bestehenden Regelungen. Das Verkaufspersonal wehrt sich.

Veröffentlicht am 3. November 2025 - 13:57 Uhr

Die Gewerkschaften Unia und Syna haben eine Petition mit über 9000 Unterschriften gegen mehr Sonntagsarbeit eingereicht (Bild vom 30.10.2025).
Das Parlament will die Öffnungszeiten weiter ausdehnen. Im Visier: der einst «heilige» Sonntag. Geschäfte sollen bald an zwölf Sonntagen statt wie bisher an vier pro Jahr öffnen dürfen. Die Idee geht auf eine Standesinitiative des Kantons Zürich von 2023 zurück. Im August hat die Wirtschaftskommission des Ständerats einen Gesetzesentwurf veröffentlicht. Dieser ist aktuell in der Vernehmlassung.
Verkäuferinnen und Verkäufer wehren sich. Sie haben mit den Gewerkschaften Unia und Syna eine Petition mit über 9000 Unterschriften gegen mehr Sonntagsarbeit eingereicht. Sie fordern das Schweizer Parlament auf, den «Angriff auf den arbeitsfreien Sonntag zu stoppen».
Heftige Kritik von den Gewerkschaften
«Die geplante Ausweitung der Sonntagsverkäufe ist ein massiver Angriff auf die Arbeitsbedingungen im Verkauf», sagt Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia. «Aber nicht nur: Auch Jobs in der Reinigung, in der Logistik und der Sicherheit wären von mehr Sonntagsarbeit betroffen.» Die Gewerkschaften fordern das Parlament auf, die Gesundheit der Angestellten zu schützen.
«Die Krankheitsfälle im Verkauf gehen durch die Decke. Stress, Burn-out, körperliche Beschwerden – das ist die Realität.»
Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia
«Die Krankheitsfälle im Verkauf gehen durch die Decke. Stress, Burn-out, körperliche Beschwerden – das ist die Realität», so Alleva. Hinzu kommen für Angestellte mit Kindern Schwierigkeiten, die Kinderbetreuung am Sonntag zu organisieren. «Wie flexibel muss eine Mutter in der heutigen Zeit denn bitte schön sein?», sagte letztes Jahr eine junge Mutter zum Beobachter, die verzweifelt nach einer Stelle im Detailhandel sucht. Trotz langjähriger Erfahrung wollte sie niemand anstellen – oder nur zu Bedingungen, die nicht mit der Kinderbetreuung vereinbar waren.
«Wir müssen schon jetzt mit immer weniger Personal immer mehr Arbeit leisten, da Personal eingespart wird.»
Verkäuferin
Bevölkerung wünscht keine Ausweitung
Eine Verkäuferin, die die Petition unterschrieben hat, erzählt: «Wir müssen schon jetzt mit immer weniger Personal immer mehr Arbeit leisten, da Personal eingespart wird. Wenn die Sonntagsverkäufe zunehmen, wird nicht mehr Personal eingestellt. Im Gegenteil: Das bestehende Personal wird auf sechs Arbeitstage aufgeteilt, und wir haben noch mehr Stress. Dies führt zu Überbelastung, Krankheitsausfällen und wieder mehr Stress für die Arbeitskollegen – ein Teufelskreis.»
Die Bevölkerung lehne zusätzliche Sonntagsverkäufe ab, so die Gewerkschaften. Viele Kantone machen keinen Gebrauch von der bereits bestehenden Möglichkeit, bis zu vier verkaufsoffene Sonntage zu nutzen. «Das Parlament politisiert mit diesem Vorhaben an der Bevölkerung vorbei», schreiben sie. Notfalls würden sie das Referendum ergreifen.
«Das Parlament politisiert mit diesem Vorhaben an der Bevölkerung vorbei.»
Syna und Unia
Der Vorstoss für zwölf verkaufsoffene Sonntage ist nicht der einzige Angriff auf den Ruhetag. So stimmte der Nationalrat zuletzt einer Gesetzesänderung zu, wonach Sonntagsarbeit im Homeoffice an neun Sonntagen bewilligungsfrei möglich werden soll. Zudem gibt es auf kantonaler Ebene diverse Vorstösse zu den Öffnungszeiten.
Streit um Migros-Filiale
Während die Politik über Öffnungszeiten streitet, haben die Detailhändler längst Wege gefunden, längere Öffnungszeiten durchzusetzen. Etwa mit Tankstellen- und Convenience-Shops wie Migrolino, Coop Pronto, Avec oder Topshop. Rund 1600 solcher Läden gibt es gemäss Schätzungen unterdessen. In Tankstellenshops haben Angestellte keinen Anspruch auf Zuschläge für Abendeinsätze. Und regelmässig wiederkehrende Sonntagsarbeit wird laut GAV mit einem knausrigen Zuschlag von fünf Prozent vergütet.
Zuletzt sorgte ein Streit um die Migros-Daily-Filiale am Zürcher Hauptbahnhof für Aufsehen. Trotz einem Verbot des Bundesgerichts öffnete die Migros die Filiale am Sonntag. Der Laden funktioniert nun ohne Personal. Zugang erhält man durch das Scannen einer Kreditkarte oder eines QR-Codes. Bezahlt wird am Self-Check-out.
Die Unia nannte es gegenüber dem «Tages-Anzeiger» «ein Unding», dass sich die Migros nicht an den Entscheid des Bundesgerichts halte. Zumal es zwar kein Personal vor Ort, aber einen Pikettdienst gebe für Notfälle. Und es brauche Angestellte, die am Morgen die Regale füllten.
Die Migros sagte dazu, die Genossenschaft halte sich strikt an den vorsorglichen Entscheid des Bundesgerichts. Dieser untersage den Einsatz von Verkaufspersonal am Sonntag, nicht jedoch die Öffnung der Filiale oder den Einsatz technischer Lösungen.
Was halten Sie von den Vorstössen für mehr Sonntagsverkäufe? Und sind Sie allenfalls betroffen? Erzählen Sie es uns in der Kommentarspalte.
- Syna: Nein zu 12 verkaufsoffenen Sonntagen – Verkäufer/-innen wehren sich
- Parlament.ch: Zusätzliche Sonntagsverkäufe ermöglichen: Eröffnung der Vernehmlassung
- Parlament.ch: Zeitlich befristete Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten
- Parlament.ch: Zusätzliche Flexibilität bei Sonntagsverkäufen
- Parlament.ch: Nationalrat will Regeln für Homeoffice lockern und flexibilisieren
- SRF: Selbstbedienungsläden dürfen in Luzern länger offen bleiben
- Beobachter: Als Mutter im Verkauf arbeiten? Fast unmöglich
- Beobachter: Wir shoppen – sie schuften
- AZ: Streit um Sonntagsöffnung: Migros überlistet die Gewerkschaften mit einem Trick
- Tagesanzeiger.ch: Migros Daily am Hauptbahnhof Zürich ist sonntags doch wieder geöffnet
- Rede Vania Alleva: Ladenöffnungszeiten


