Herr Professor Gallo, Sie sind seit vier Jahren emeritiert. Warum geben Sie jetzt dieses Interview?
Ich sehe, dass die alten Probleme am Zentrum für Zahnmedizin immer noch bestehen. Die Universität hat grundsätzliche Fragen nicht gelöst. Das Zentrum ist immer noch stark hierarchisiert, einzelne Personen bekommen zu viel Macht und nutzen das aus, was zu Interessenkonflikten führt. Es war etwa selbstverständlich, dass ein Klinikdirektor seine Liebhaberin zur Oberärztin beförderte.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Sie arbeiteten von 1989 bis 2021 am ZZM. Wie würden Sie die dortige Kultur beschreiben?
Es herrschte eine schlechte Arbeitskultur, die sich mit «Ich bin der Big Shot, du bist ein Nobody» beschreiben lässt. Das soll ja der kritisierte Professor Srinivasan gesagt haben, wie der Beobachter schrieb. Ich durfte in den ersten Jahren meiner Karriere als leitender Mitarbeiter bei Kongressen nicht einmal eigene Visitenkarten austauschen, nur jene des Chefs abgeben. Das zeigt, dass bereits damals nur der Chef wichtig war, alle anderen, die die Knochenarbeit erledigten, waren Nobodys.

Zur Person

Klinikdirektor Srinivasan werden wissenschaftliches Fehlverhalten, mangelnde Führungsfähigkeit und mögliche Patientengefährdung durch abgelaufene Medikamente vorgeworfen. Sind Sie überrascht?
Überhaupt nicht. Am ZZM zählt Loyalität, nicht die Sache. Wer sich gegenüber den richtigen Leuten loyal verhält, kann sich viel erlauben. Viele der Massnahmen, die die Universität ergriffen hat, sind nur Kosmetik. Es gab beispielsweise eine Schlichtungsstelle für Mitarbeitende, aber kaum einen Willen, zu handeln. Das zeigt jetzt offenbar auch der Fall Srinivasan.

«Die Universität hatte lange weggeschaut, bevor sie die Führungsstruktur reformierte.»

Luigi Gallo, ehemaliger Klinikdirektor

Die Universität hat 2022 immerhin eine Untersuchung zur Führungsstruktur am ZZM durchgeführt.
Das kam zu spät. Der frühere Zentrumsdirektor, Professor Thomas Attin, führte das Zentrum neun Jahre lang wohl zu seinem eigenen Vorteil. Er besass eine enorme Machtfülle und wurde kaum kontrolliert. Heute wäre das vielleicht weniger möglich, weil die Universität die Strukturen im Sommer 2023 angepasst hat. Die Universität hatte aber lange weggeschaut, bevor sie die Führungsstruktur reformierte. Sie liess den Filz viel zu lange zu. So konnten sich Professor Attin und seine Seilschaft etwa zunehmend einen grösseren Anteil des Budgets zusprechen und starken Einfluss auf andere Abteilungen des Zentrums ausüben.

Die neue Co-Leiterin des ZZM, Professorin Mutlu Özcan, soll einen Kulturwandel herbeiführen. Kann sie das allein schaffen?
Professorin Özcan halte ich für eine fähige Frau, die fachlich kompetent und belastbar ist, aber sie besitzt keine starken Verbindungen in Zürich. Ich hoffe, dass sie sich durchsetzen kann gegen die alten Seilschaften am ZZM um Professor Attin.

«Das Geld aus den Privatpraxen ist sehr zentral für die Probleme am ZZM.»

Luigi Gallo, ehemaliger Klinikdirektor

Wie wichtig ist Geld am ZZM? Kaderärzte haben das Recht, eine Privatpraxis zu führen. 2024 generierten sie damit zusätzlich 2,3 Millionen Franken für ihr eigenes Portemonnaie.
Das Geld aus den Privatpraxen ist sehr zentral für die Probleme am ZZM. Es führt zu einem Verteilkampf. Im stark hierarchisierten ZZM bedeutet das, dass nicht der Beste die meisten Privatpatienten behandeln darf, sondern der Mächtigste. Wer seine Macht skrupellos ausspielt, kann sein Jahresgehalt deutlich steigern.

Sie waren von 2009 bis 2017 Klinikdirektor und vorübergehend der Forschungsleiter des Zentrums. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Es herrschte ein Klima, in dem Macht und Loyalität zentral waren und Interessenkonflikte hingenommen wurden. Wer kritische Fragen stellte, wurde hinausgemobbt. So wie ich. Als ich im Jahr 2015 die Handhabung einer Evaluation kritisierte, galt ich plötzlich als der böse Mann und verlor den Posten als interimistischer Klinikdirektor.

«Ich wünsche mir einen Kulturwandel zum Besseren, um den angeschlagenen Ruf des ZZM zu retten.»

Luigi Gallo, ehemaliger Klinikdirektor

Als Sie nach achtjähriger Tätigkeit als interimistischer Klinikdirektor den Direktorenposten verloren, haben Sie dagegen prozessiert und 2020 vor Bundesgericht verloren. Haben Sie eine Rechnung offen mit der Universitätsleitung?
Ich habe keine Rechnung offen, sondern wünsche mir einen Kulturwandel zum Besseren, um den angeschlagenen Ruf des ZZM zu retten. Wie ich behandelt wurde, wünsche ich keinem anderen Professor. Die Universitätsleitung hat mich für meine Arbeit immer gelobt. Die Position als Klinikdirektor wurde nur wegen aufgebauschter Vorwürfe der damaligen Zentrumsleitung nicht mehr verlängert. Die Vorwürfe erwiesen sich nachträglich aber als Bagatellfälle. Ich habe immer im Interesse der Universität gehandelt. Deshalb fände ich es nur fair, wenn sich die Universität bei mir entschuldigen würde.

 

Stellungnahmen der Universität Zürich und von Thomas Attin

Generell kommentiere man keine «persönlichen Meinungen und Einschätzungen ehemaliger ZZM-Angehöriger», schreibt die Universität Zürich auf Anfrage des Beobachters. Sie betont jedoch, dass sie Probleme aufgrund der Führungsstruktur des ZZM ernst genommen und neue Transparenzvorschriften erlassen habe. So sei im August 2023 eine «neue Governance» eingeführt worden, ein neuer ZZM-Rat übernehme nun eine «Steuerungs- sowie Aufsichtsfunktion». Zudem sei das ZZM im Sinne einer «One-House-Policy» stärker in die Medizinische Fakultät integriert worden.

In diesem Zusammenhang sei auch die Ressourcensituation überprüft worden, schreibt die Universität weiter. Dabei wurden «insbesondere mehr Transparenz bei der Verteilung der Mittel sowie ein transparenter Zugang zu Ausstattung und Forschungsreserven» geschaffen. Eine neue Geschäftsordnung, Strategieworkshops und ein engmaschigeres Finanzreporting sollen diesen Prozess zusätzlich unterstützen.

Aktuell liefen auch «die finalen Planungen» zur Etablierung einer «Faculty Practice» – eines Modells, das Privatpraxen ablösen soll. Bis zu diesem Systemwechsel unterstehe die Tätigkeit in Privatpraxen «einer strikten Überprüfung».

Der ehemalige Zentrumsdirektor, Professor Thomas Attin, nimmt auf Anfrage des Beobachters inhaltlich keine Stellung. Er weist pauschal sämtliche Vorwürfe zurück. Sie entbehrten «jeglicher Grundlage».