Wie Herzschrittmacher unsere Prämien in die Höhe treiben
Schweizer Spitäler zahlen für Herzschrittmacher bis zu fünfmal mehr als deutsche – für exakt dieselben Geräte. «Absurd hohe Preise», sagen Experten und fordern ein nationales Preisregister.
Veröffentlicht am 1. Oktober 2025 - 17:48 Uhr
Für den Herzschrittmacher Endurity Core SR von Abbott zahlen deutsche Spitäler 860 Franken. In der Schweiz kostet er 5100 Franken. (Symbolbild)
«Unser Gesundheitswesen ist ausser Kontrolle.» So titelte der Beobachter vor einigen Tagen seine Prämienticker-Jahresbilanz und beschrieb acht Probleme, die dringend gelöst werden müssen. Problem Nummer 5: Intransparenz bei den Preisen von Medikamenten und Implantaten.
Nun bestätigt eine Recherche der NZZ diesen Missstand. Die Journalisten haben Einblick erhalten in die Einkaufspreise von Herzschrittmachern in der Schweiz und in Deutschland.
Deutschland: 860 Franken, Schweiz: 5100 Franken
1750 Franken kostet demnach der Herzschrittmacher Adapta SR von Medtronic in Deutschland. Ein Schweizer Spital muss für das identische Modell rund 3700 Franken bezahlen. Das ist mehr als doppelt so viel.
Noch grösser ist der Preisunterschied beim Modell Endurity Core SR des amerikanischen Herstellers Abbott. In Deutschland kostet das Modell 860 Franken, in der Schweiz 5100 Franken. Der Schweizer Preis ist mehr als fünfmal so hoch – für das exakt gleiche Gerät.
Nationales Preisregister gefordert
Der Preisüberwacher hat bereits Ende Januar eine Analyse veröffentlicht, die grosse Preisunterschiede bei orthopädischen und kardialen Implantaten aufzeigt. Ein Spital bezahlt für einen Einkammer-Herzschrittmacher 1200 Franken, ein anderes 5405 Franken.
Ähnliche Unterschiede gibt es auch bei Zweikammer-Herzschrittmachern. Das Spital mit dem höchsten Einkaufspreis muss 6800 Franken berappen, das Spital mit dem günstigsten nur 2000 Franken. Der Preisüberwacher fordert deshalb ein nationales Preisregister für Implantate.
Wie sind solche Preisunterschiede zu erklären?
Die NZZ zitiert «unabhängige Branchenexperten». Sie sagen, Hersteller würden in der Schweiz mehr leisten: Bei einer Herzschrittmacher-Implantation sei meist ein Spezialist der Herstellerfirma im OP, der das Gerät mitprogrammiere.
In Deutschland hingegen liefern die Hersteller nur das Implantat. Ein nicht namentlich genannter Leiter einer Schweizer Herzklinik warnt im Beitrag: Würden die Preise zu stark gedrückt, drohe dieser wichtige Support wegzufallen.
«Das ist nichts als eine faule Ausrede der Industrie.»
Paul Vogt, Herzchirurg an der Klinik Im Park der Hirslanden-Gruppe
Ganz anders beurteilt dies der Zürcher Herzchirurg Paul Vogt von der Klinik Im Park der Hirslanden-Gruppe: «Das ist nichts als eine faule Ausrede der Industrie, um die absurd hohen Preise zu rechtfertigen. Was die Spezialisten der Hersteller im Operationssaal machen, können Kardiologen genauso gut übernehmen.» Die Preisunterschiede seien etwa bei Herzklappen ebenso eklatant – und dort sei beim Eingriff kein Herstellerspezialist anwesend.
Vogt schlägt den Spitälern deshalb einen Test vor: Sie sollten eine Zeit lang auf den Beistand der Herstellerspezialisten verzichten. «Dann müssten die Preise ja eigentlich deutlich sinken, wenn tatsächlich dieser überflüssige Service die Implantate so teuer macht», sagt Vogt.
Spitäler verstossen möglicherweise gegen das Gesetz
Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) verpflichtet die Spitäler, ihre Leistungen wirtschaftlich zu erbringen. Mit den eklatanten Preisunterschieden beim Einkauf verstossen sie möglicherweise gegen das Gesetz, wie das Onlineportal «Infosperber» darlegt. Der Spitalverband H+ sieht sich jedoch nicht in der Verantwortung: Er sei nicht darin involviert, wie die Spitäler ihre Medizinprodukte beschaffen.
Der Krankenkassenverband Prioswiss bezeichnet die Situation als «unbefriedigend». Er hofft auf eine Verbesserung, wenn die Schweiz wie geplant die europäische Verordnung über Medizinprodukte übernimmt. Sie sorgt für eine klare Kennzeichnung der Geräte, so dass Preisvergleiche möglich werden.
Implantatepreise an der Tagung des Beobachters
Medtronic schreibt auf Anfrage des Beobachters, Preisunterschiede zwischen Ländern kämen durch verschiedene Faktoren zustande: etwa durch Unterschiede bei den Versorgungsmodellen, Unterstützung vor Ort, Betriebskosten, Wettbewerbsdynamik und Einkaufsvolumen. Abbott hat nicht geantwortet.
Die überrissenen Einkaufspreise von Implantaten sind auch bei der Tagung «Faire Prämien jetzt!» ein Thema, die der Beobachter Ende Oktober gemeinsam mit Pro Salute organisiert. Dieter Zocholl vom Beratungsunternehmen XMED iQ wird ein Referat halten zum Thema «Die Schweiz – Zahlmeister Europas bei medizinischen Implantaten?».
Der Beobachter-Prämienticker
Der Prämienticker schaut Lobbyisten und Profiteuren des Gesundheitswesens auf die Finger, deckt Missstände auf und sammelt Erfahrungen von Patienten, die unnötige Ausgaben vermeiden konnten.
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- NZZ-Recherche: Geheime Preisdaten zeigen: Herzschrittmacher kosten in der Schweiz bis zu fünfmal so viel wie in Deutschland
- «Infosperber»: Abzockerei im Gesundheitswesen und alle schauen zu
- Preisüberwacher: Analyse zu den Implantatepreisen