Natalie Urwyler hatte elf Jahre lang als Anästhesieärztin am Inselspital Bern gearbeitet. Wegen ihrer Forschungstätigkeit im Ausland galt sie als Nachwuchshoffnung. Sie war auf bestem Weg, eine Professur zu erhalten.

Nach der Geburt ihrer Tochter kam es 2014 jedoch zum Bruch. Ihr wurde gekündigt «aufgrund eines komplett zerrütteten Vertrauensverhältnisses». Urwyler hatte wiederholt Diskriminierung von Frauen und den ungenügenden Schutz von Schwangeren und Müttern am Inselspital kritisiert, bevor sie selber Mutter wurde.

Gegen ihre Entlassung wehrte sie sich bis vor Obergericht und bekam nach einem aufwendigen Prozess recht. Gemäss Gleichstellungsgesetz handelte es sich um eine verbotene Rachekündigung. Das Inselspital musste sie wieder anstellen und ihr die ausstehenden Löhne für die letzten vier Jahre zahlen. Es war das erste Urteil, das aufgrund des Gleichstellungsgesetzes erreicht wurde. Für diesen Kraftakt und ihren Einsatz für die Gleichstellung wurde Natalie Urwyler mit dem Prix Courage 2018 ausgezeichnet Prix Courage 2018 Die Gewinnerin heisst Natalie Urwyler .

Wieder eingestellt und sofort freigestellt

«Das Urteil wurde bisher nur teilweise umgesetzt», sagt die 45-Jährige. «Die ‹Insel› hat mich pro forma wieder eingestellt und sofort freigestellt ; sie lässt mich in Bern nicht arbeiten, nicht mal wissenschaftlich. Damit ist meine wissenschaftliche Karriere als Anästhesieärztin ruiniert.»

Nachdem die Auszahlung monatelang auf sich hatte warten lassen, überwies das Inselspital ihr immerhin teilweise die Differenz, die sich zwischen ihrem Einkommen als Assistenzärztin an ihrem zeitweiligen Arbeitsort am Spital Wallis und dem Einkommen als Oberärztin am Inselspital ergeben hatte.

Doch das reicht ihr nicht. Natalie Urwyler geht nun einen Schritt weiter. «Es ist an der Zeit, dass der Schaden, der durch das Verhindern von Frauenkarrieren entsteht, eingeklagt und gerichtlich festgestellt wird.» Deshalb bereitet sie eine Klage vor.

Der Hintergrund: Wenn Urwyler mit 40 einen Autounfall gehabt hätte und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihre Karriere fortzusetzen, hätte die Haftpflichtversicherung den dadurch entstandenen Schaden decken müssen. Dieses Prinzip will sie auch für ihre Kündigung durchsetzen. «In meinem Diskriminierungsfall beläuft sich der Schaden bereits auf mehrere Millionen Franken – durch die entgangene Wissenschaftskarriere.» Diesen Schaden will sie einklagen.

«Diskriminierung sichtbar machen» 

Diskriminierung sei kein Kavaliersdelikt und der wirtschaftliche Schaden an den Frauen und der Gesellschaft müsse sichtbar gemacht werden, sagt Urwyler. Ihr Anwalt Rolf P. Steinegger rechnet mit guten Chancen, einen Haftpflichtprozess zu gewinnen und den Anspruch auf Schadenersatz durchzusetzen.

Nachdem der Oberärztin für Anästhesie am Inselspital gekündigt worden war, fand sie lange keine neue Stelle. Wegen des laufenden Rechtsstreits wollte ihr niemand einen Job geben. Sie musste sich umschulen zur Intensivmedizinerin. In der Folge arbeitete sie als Assistenzärztin am Spital Wallis – für einen Drittel ihres ursprünglichen Lohns.

«Heute geht es mir gut. Ich habe seit dem 1. Mai 2019 wieder eine Anstellung in meinem erlernten Beruf als Anästhesieärztin», erzählt Natalie Urwyler. Die öffentliche Haltung ihr gegenüber habe sich grundlegend geändert. «Der Prix Courage hat viel bewegt und Gleichstellungsfragen salonfähig gemacht Prix Courage 2018 «Gleichstellung ist endlich salonfähig geworden» . Das macht Mut für die nächsten Schritte.» 

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Birthe Homann, Redaktorin
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