Vor den Entsorgungshöfen bilden sich jeden Samstag lange Schlangen: Die Schweiz rühmt sich Recyclingweltmeisterin Von wegen Recycling-Weltmeisterin Die Schweiz hat ein massives Plastikproblem – und kritisiert lieber andere . Doch so fleissig wir bei Sperrmüll, Blech und PET auch sein mögen – die Wiederverwertung von Kleidern steckt in den Kinderschuhen, die wir gerade neu gekauft haben.

Rund 60 Kleidungsstücke pro Person kaufen wir im Schnitt jedes Jahr – doppelt so viele wie vor 15 Jahren. Und tragen sie nur noch halb so lang.

Mitverantwortlich für dieses Verhalten: Fast Fashion. Bis vor wenigen Jahren lancierten Modekonzerne vielleicht zwei Kollektionen jährlich, heute sind es oft 24. Ein rasantes Geschäft, bei dem die Umwelt noch stärker leidet – massiver Rohstoffverbrauch, toxische Chemikalien, Verschleiss von nicht erneuerbaren Ressourcen wie synthetischen Fasern, immenser Verbrauch von Wasser und Landflächen.

Problematische Mischgewebe

Wer neue Kleider kauft, wirft alte weg. Die Hälfte der Alttextilien landet im Müll Recycling Das gehört nicht in den «Güsel» , rund 65'000 Tonnen werden über Altkleiderstellen erfasst. Einige dieser Stoffe werden zu Lumpen – eine nur kurze Lebensverlängerung, dann landen sie definitiv im Abfall.

Rund die Hälfte der gesammelten Alttextilien wird nach Afrika und Asien exportiert. Dabei ist unklar, wie viele der Kleider dort tatsächlich getragen werden, zu viel findet seinen Weg in diese Regionen. Die meisten ausrangierten Fast-Fashion-Textilien, die aus Plastik und schwer rezyklierbaren Mischgeweben bestehen, landen deshalb auf Mülldeponien. Das Recycling dieser Kleidungsstücke ist zu komplex. Und weil sie weder biologisch abbaubar noch wiederverwertbar sind, gelangen sie als schadstoffbelasteter Müll in die Umwelt. Nur ein Prozent der Kleider wird in einem geschlossenen Kreislauf rezykliert und für neue Textilprodukte genutzt.

Die Politik schreitet ein

Dass Rohstoffe eines Tages ausgehen, die Umweltschäden zu gross werden und ein radikales Umdenken in der Modeindustrie nötig ist, hat nun auch die Politik erkannt. Eine neue Textilstrategie der EU zielt darauf ab, den Kleidungsmarkt bis 2030 zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu transformieren. Textilien sollen rezyklierbar, Wertschöpfungsketten bis zur Faser nachverfolgbar sein. Alttextilien sollen nicht mehr im Ausland entsorgt, die Überproduktion abgestraft und Kleiderverbrennungen verboten werden.

Die Schweiz wird den EU-Vorschlag voraussichtlich übernehmen. «Wir wissen längst, dass wir alte Kleider viel besser wiederverwerten müssen», sagt Françoise Adler, Designforscherin für textile Kreislaufprozesse an der Hochschule Luzern. Sie ist positiv überrascht von den strengen EU-Regulierungen. Die Textilindustrie benötige dringend verbindliche Gesetze.

Im Projekt «Texcircle» zerlegten Françoise Adler und ein Forschungsteam Textilien in ihre ursprünglichen Faserbestandteile und verarbeiteten diese zu hochwertigen Garnen. Dieses «Faser-zu-Faser-Recycling» wandten sie mitunter bei gebrauchter Kleidung an – was bisher kaum verbreitet ist. Je mehr Marken kreislauffähige Materialien verwenden, desto einfacher und effizienter werde das Recycling.

Mehrere Leben für Kleider

Adler glaubt, dass durch die neue EU-Textilstrategie bald auch grosse Firmen qualitativ bessere, langlebige und reparierbare Kleidung produzieren. Der H & M der Zukunft könnte über einen hauseigenen Secondhandshop oder eine eigene Reparaturstation verfügen, Kleider würden zusätzliche Leistungen erhalten. Zum Beispiel eine Neufärbung oder eine Anpassung des Schnitts. «Künftige Modedesigner müssen Kleidungsstücke von Anfang an für mehrere Lebenszyklen konzipieren», hofft Françoise Adler. «So werden innovative Lösungen entstehen, die Kleidung nicht länger als kurzlebige Wegwerfware behandeln.»

Tipps zum nachhaltigen Umgang mit Kleidern

  • Kaufverhalten überdenken: wenig, dafür gezielt und bewusst einkaufen
  • Mischgewebe vermeiden: möglichst Kleider aus Monomaterial kaufen, also 100 Prozent zertifizierte Baumwolle, 100 Prozent Wolle oder 100 Prozent Polyester
  • Zertifizierte Labels: Labelinfo.ch zeigt, welche Normen bei einzelnen Gütesiegeln gelten.
  • Secondhand: einzigartige Styles entdecken und dabei Ressourcen schonen
  • Upcycling: flicken, färben und abändern statt wegwerfen
  • Teilen, tauschen, mieten: Online-Plattformen, Flohmärkte oder Kleiderschränke im Freundeskreis nutzen
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