Wie es weitergeht? «Keine Ahnung», sagt Adah de Almeida Osorio. Die Ungewissheit nagt an der 16-Jährigen. Ihre Pläne für ihren Berufseinstieg? Verpufft. Zuerst wollte sie eine dreijährige Lehre als Kosmetikerin machen und sich dann zur Podologin weiterbilden.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Vor einem Jahr schnupperte die Sek-B-Schülerin in etlichen Berufen, ehe sie bei der Kosmetik hängen blieb. «Beauty ist mein Ding, und ich liebe Menschen», sagt sie. Adah fand eine Lehrstelle in einem Kosmetiksalon, man kümmerte sich gut um sie. «Ich bin richtig zum Zug gekommen und habe viel gelernt, die Arbeit machte mir Freude.»

Und nun: alles auf den Kopf gestellt durch eine Mail mit dem Betreff «Traurige Nachricht». Ende März informierten die Inhaber, dass ihr Kleinbetrieb Konkurs anmelden müsse. Schon zuvor waren die Umsätze rückläufig gewesen, die Krise erledigte den Rest. Adahs Lehrvertrag wurde aufgelöst. «Ich habe nur noch rumgeheult.»

Adah de Almeida Osorio

Adah de Almeida Osorio

Quelle: Christian Schnur

Eine Woche dauerte die Schockstarre, danach rappelte sich die junge Frau aus Zürich wieder auf. Sie setzte sich mit dem Berufsbildungsamt und dem RAV in Verbindung, aktualisierte ihr Bewerbungsdossier Bewerbungen In 15 Sekunden zum Erfolg . Auftrieb gibt ihr, dass sie vorübergehend bei einer Tante aushelfen kann, die Kosmetikerin ist. Daneben bleibt die Berufsschule, «wo ich jetzt erst recht Gas gebe». Ihr Ziel ist, einen Fortsetzungsvertrag bei einem anderen Ausbildungsbetrieb abzuschliessen. Gelingt dies nicht innert nützlicher Frist, würde Adah ein Jahr verlieren.

Bei der Kosmetik will sie unbedingt bleiben. «Ich habe alle Ausbildungsziele für das erste Lehrjahr bereits erreicht», sagt sie. «Meine bisherige Chefin hat mir viel mitgegeben, auf dem ich aufbauen kann.» Dass Kosmetiksalons unter den Ersten waren, die nach der Lockerung der Pandemiemassnahmen Coronavirus Rechtliche Fragen zur Lockerung der Massnahmen wieder öffnen durften, könnte ein Vorteil sein. Immerhin schellt das Telefon jetzt nicht mehr ins Leere, wenn sie sich nach einem Job erkundigt.

«Alles auf Pause» 

Hilfe bei der Lehrstellensuche im durchgeschüttelten Arbeitsmarkt findet Adah de Almeida Osorio bei Job Caddie. Im Projekt mit Standorten in Zürich, Bern und Zug begleiten freiwillige Mentorinnen und Mentoren junge Erwachsene, die Probleme beim Berufseinstieg haben. Zurzeit befänden sich viele in der Warteposition und seien verunsichert, stellt Programmleiterin Claudia Manser fest. Unterstützung sei jetzt besonders gefragt, vor allem Motivationsarbeit. «Wir sagen ihnen: Lasst nicht locker, informiert euch, bewerbt euch. Bloss kein Rückzug ins Schneckenhaus!»

Die Lehrbetriebe erlebt Manser als kulant im Umgang mit ihren Lernenden – bisher zumindest. Sie seien sich ihrer Verantwortung bewusst. Aber gerade kleinere Firmen müssten schauen, wo sie nach der Krise stehen werden Dossier KMU in der Corona-Krise: Was kann ich tun? und was bezüglich Berufsbildung noch möglich sei. «Im Moment steht alles auf Pause.»

Es sei bisher erst vereinzelt zur Auflösung von Lehrverträgen wegen der Corona-Krise gekommen, bestätigen verschiedene kantonale Berufsbildungsämter auf Nachfrage. Genützt habe, dass Kurzarbeit Kurzarbeit Ihre Rechte bei reduzierter Arbeitszeit auch für Lernende zugelassen ist. Wie sich die Krise auswirkt, werde sich deshalb erst mit Verzögerung zeigen. Aber Nicole Meier, Ressortleiterin Bildung beim Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV), macht sich wenig Illusionen. «Fälle von Vertragsauflösungen werden vermutlich zunehmen», sagt sie.

15'000 offene Lehrstellen

Bisher hat der Arbeitgeberverband mit seinen Verbundpartnern den Fokus darauf gelegt, trotz Pandemie die Lehren vernünftig zu Ende zu bringen. Bei den Abschlussprüfungen wird nur die praktische Arbeit bewertet, die schulischen Tests entfallen. Das sorgt für etwas Verbindlichkeit in der letzten Phase der Ausbildung. Doch die vielen Jugendlichen, die erst Anlauf für eine Lehre Junge verpassen Anschluss Nach der Schule in die Leere nehmen, hängen in der Luft.

Für 100'000 Schülerinnen und Schüler endet im Juli die obligatorische Schule, etwa 70'000 wollen im Spätsommer eine Berufslehre starten. Zurzeit sind noch über 15'000 Lehrstellen offen. An sie heranzukommen, ist jedoch schwierig, weil der Lockdown den Anstellungsprozess blockiert. Schnupperlehren und Eignungstests gibt es im Moment praktisch keine. Als Folge davon stellen Ausbildungsbetriebe seit einigen Wochen kaum noch neue Lehrverträge aus. Selbst wer einen Vertrag in der Tasche hat, kann sich nicht sicher sein, ob die Ausbildungsfirma in der Nach-Corona-Zeit überhaupt noch genügend Ressourcen hat, um Lehren anzubieten.

Das alles hemmt die Stellensuchenden. Schätzungen zufolge werden gegenwärtig nur halb so viele Bewerbungen verschickt wie sonst üblich. Sandro Subotic hält nichts von falscher Zurückhaltung – über hundert Mal hat sich der Stadtzürcher Sek-A-Schüler für eine KV-Lehre beworben. Über hundert Mal vergeblich.

Das frustriert zusehends. «Langsam verliere ich die Lust, und mit jeder Absage Bewerbungen «Leider müssen wir Ihnen mitteilen…» steigt mein Ärger.» Worüber ärgert er sich? Einerseits über sich, sagt Sandro. «Vielleicht hätte ich mich nach einem anderen Beruf umsehen sollen?» Aber eine EFZ-Lehre als Kaufmann war schon länger sein erklärtes Ziel. Diverse Schnuppereinsätze haben ihn darin bestärkt, dass er da seine Stärken voll ausspielen kann. «Es braucht Teamfähigkeit, Selbständigkeit, eine gute Kommunikation – diese Eigenschaften bringe ich mit.»

Der Ärger des sportlichen Teenagers, der Basketball spielt und Fussball-Schiedsrichter ist, gilt auch den Firmen. «Noch nie hat mir jemand konkret geschrieben, was ich falsch mache und weshalb meine Bewerbung abgelehnt wurde.» Seit Corona das Zepter führt, setzten sich die meisten Betriebe erst recht nicht mehr vertieft mit seinen Bewerbungen auseinander, das spürt der 15-Jährige. Die Absagen bleiben vage. «Langsam habe ich echt ein ungutes Gefühl», sagt er. Da wird jemand ausgebremst, kaum ist er losgerannt.

Aufgeben ist jedoch keine Option. Sandro Subotic hat, allen Widrigkeiten zum Trotz, jetzt eine Schnupperlehre bei einer Heizungsfirma eingefädelt. Er werde bei den künftigen Bewerbungen auch andere Berufe auf den Radar nehmen, Detailhandel vielleicht. Und er sondiert schon mal die Möglichkeiten, ein zehntes Schuljahr zu absolvieren, sollte es diesen Sommer noch nicht klappen mit einer Stifti.

Beratung per E-Mail und Telefon

Unterstützung holt sich Sandro Subotic bei den Berufsberatungsstellen. Dort wird das Angebot online, telefonisch und mittels E-Mail so gut wie möglich aufrechterhalten. Die Botschaft an die Jugendlichen ist landauf, landab die gleiche: Weitermachen lohnt sich, denn langfristig sind die Firmen auf Nachwuchs angewiesen.

Dennoch sind Exponenten der Berufsbildung beunruhigt. «Die Situation ist derzeit unklar, entsprechend angespannt sind wir», räumt Niklaus Schatzmann ein, Chef des Mittelschul- und Berufsbildungsamts des Kantons Zürich. «Es gibt viele Unsicherheiten, und wir wissen nicht, ob sie sich in den kommenden Wochen abschwächen oder verstärken.»

Nachtrag: Happy End für Sandro Subotic

Kurz nach Fertigstellung dieses Artikels wurde die Hartnäckigkeit von Sandro Subotic belohnt: Nach über hundert vergeblichen Bewerbungen hat der 15-jährige Sekundarschüler eine Lehrstelle in einer Haustechnik-Firma gefunden – in seinem Wunschberuf als Kaufmann EFZ.

Interview: «Es fehlt an Begleitung»

Ausfallende Prüfungen und Lernende auf Kurzarbeit: Nicole Meier vom Arbeitgeberverband sucht mit den Firmen nach Lösungen.


Beobachter: Wie stark leidet die Berufsbildung unter der Corona-Krise?
Nicole Meier: Wir sind in einer schwierigen Situation. Drei Kernthemen haben die Verbundpartner: die Qualifikationsverfahren, die wir bereits angepasst haben, dann die Rekrutierung der Lernenden und als Drittes ihren Einsatz. Dabei geht es um den Umgang mit Lernenden, wenn sie auf Kurzarbeit sind oder wenn es zu temporären Betriebsschliessungen kommt. Diese Entwicklung beobachten wir sehr genau.


Ist es nicht Wunschdenken, dass sich die negativen Auswirkungen auf den Berufseinstieg der Jungen vermeiden lassen?
Tatsächlich ist es in Krisensituationen oft so, dass die Jugendarbeitslosigkeit als Erstes ansteigt. Aber sie erholt sich auch am raschesten wieder. Im Gegensatz dazu die älteren Mitarbeitenden, die später entlassen werden, dann aber meist grosse Schwierigkeiten haben, wieder eine neue Stelle zu finden.


Dennoch ist es wichtig, rasch in die Berufswelt einsteigen zu können.
Richtig. Die erste Massnahme ist, dass die Lehrabschlüsse gelten und von den Branchen anerkannt werden. Das haben wir erreicht. Wir ermuntern zudem die Betriebe, die Lernenden nach dem Abschluss weiterzubeschäftigen – als Berufsfachleute, nicht bloss mit verlängerten Lehrverträgen.


Sie sagen «ermuntern». Reicht das?
Es braucht sicherlich noch weitere Instrumente. Wir sind dabei, verschiedene Massnahmen zu prüfen. Niemand weiss genau, wo die Wirtschaft im Sommer stehen wird.


Eine mögliche Massnahme wäre ein späterer Beginn der Lehre.
Aus Sicht der Betriebe ist das schwierig, es wird wohl keine einheitliche Lösung geben. Eine Lücke von mehreren Wochen fachlich wieder aufzuholen, ist je nach Beruf kaum machbar. Besonders in der schwer betroffenen Gastrobranche Restaurants öffnen wieder Personendaten angeben für Kafi und Pizza und der Hotellerie wird unter Hochdruck nach Lösungen gesucht.


Wie kann man Schülerinnen und Schüler unterstützen, die jetzt eine Lehrstelle suchen?
Die Stellenbewerbungen haben rasant abgenommen, um bis zu 50 Prozent. Das hat sicher damit zu tun, dass schulstarke Jugendliche grossmehrheitlich bereits einen Lehrvertrag haben und momentan vor allem schulisch schwächere Schüler noch eine Lehrstelle suchen. Genau diesen Jugendlichen fehlt ganz stark die enge Begleitung durch die Lehrpersonen und Berufsberatungen. Ich hoffe sehr, dass da die baldige Schulöffnung hilft. Ausserdem sind noch ganz viele Lehrstellen offen. Die Jugendlichen müssen sich aus ihrer Komfortzone wagen und sich in einem weiteren Umfeld bewerben, nicht nur im Umkreis ihres Wohnorts.


Was ist mit den Schnupperstellen?
Viele Betriebe haben reagiert und zum Beispiel Livestreams von Schnuppertagen ins Netz gestellt. Grössere Unternehmen wollen auch für die KMUs Schnuppertage anbieten. Die Solidarität unter den Betrieben ist gross.

Zur Person

Nicole Meier, Ressortleiterin Bildung beim Schweizerischen Arbeitgeberverband

Nicole Meier, 38, ist seit 2019 Ressortleiterin Bildung beim Schweizerischen Arbeitgeberverband.

Quelle: PD

Interview: Birthe Homann

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Dani Benz, Ressortleiter
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