Eine Krötenfamilie gewinnt vor Bundesgericht
Das Bundesgericht zeigt Herz für eine Krötenfamilie. Eine Aargauer Gemeinde muss nun prüfen, ob sie ihre Strasse woanders bauen kann.

Veröffentlicht am 22. Dezember 2025 - 12:40 Uhr

Die Geburtshelferkröte – aka der Glockenfrosch – ist vom Aussterben bedroht.
Gleichberechtigung: eine Floskel? Nicht bei den Geburtshelferkröten. Bei ihnen kümmert sich der Vater um die Jungen, und zwar liebevoll. Nach der Paarung macht er kein wohlverdientes Nickerchen, sondern bindet sich die Laichschnüre um seine Hinterbeine. Und legt die Kaulquappen-Kinder erst dann ins seichte Wasser, wenn sie gross genug sind. Die seltene Art ist vom Aussterben bedroht.
Autos bedrohen eine kleine Krötenfamilie
So auch die Krötenfamilie, die sich am Tannenweg in Obersiggenthal AG niedergelassen hat. Der grosse Garten hat einen Teich, wo die Tiere laichen können, und ein Waldstück, wo andere Populationen von Geburtshelferkröten leben.
Doch dem Idyll drohte das Aus. Die kleine Aargauer Gemeinde wollte den bestehenden schmalen Fuss- und Veloweg verbreitern, damit auch Autos durchfahren können und so die Parzellen direkt ans übergeordnete Strassennetz angebunden sind.
Die Wanderung wird lebensgefährlich
Das Problem der Krötenfamilie: Um in das nahegelegene Waldstück zu kommen, muss sie die Strasse überqueren. Wenn dort plötzlich der motorisierte Verkehr durchrollt, könnte sie das leicht das Leben kosten.
Der Eigentümer der Parzelle hat die Gefahr für die Kröten erkannt, als er den öffentlich aufgelegten Erschliessungsplan angeschaut hat. Er macht beim Gemeinderat eine sogenannte Einwendung. Dieser hält zwar fest, dass beim Bauprojekt der Amphibienschutz wichtig sei und die Natur- und Heimatschutzkommission beigezogen werden müsse. Doch der Gemeinderat weist die Einwendung ab und beschliesst noch am gleichen Tag den Erschliessungsplan.
Die Beschwerde wird mehrfach abgelehnt
Der Garteneigentümer erhebt dagegen Verwaltungsbeschwerde beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau. Dieses schreibt zwar, dass der Garten, das Waldstück und der Vernetzungskorridor ein schützenswertes Biotop gemäss Natur- und Heimatschutzgesetz bilden. Und dass der Korridor wichtig sei für «die Vernetzung und damit den genetischen Austausch mit anderen Populationen».
Doch der Verkehr würde nur leicht zunehmen, und die betroffene Krötenpopulation sei klein, darum beeinträchtige die Strasse das Biotop nicht. Und selbst wenn: Das Interesse der Parzellen an der direkten Anbindung wäre höher zu werten als das Interesse der Kröten an einem Vernetzungskorridor. Das Departement weist die Beschwerde ab und genehmigt den Erschliessungsplan.
Auch beim Aargauer Verwaltungsgericht scheitert der Garteneigentümer: Es weist seine Beschwerde ab. Doch der Mann gibt nicht auf und zieht weiter vor Bundesgericht. Dieses gibt ihm in allen Punkten recht und weist die Sache zurück an die Einwohnergemeinde Obersiggenthal, zur neuen Beurteilung.
Bundesgericht sieht die Amphibien in Gefahr
Das höchste Gericht führt aus, der Verkehr auf der geplanten Strasse erhöhe das Risiko, dass eine Kröte überfahren werde. Deshalb würden die Lebensbedingungen verschlechtert. Nicht relevant sei, dass nur eine kleine Krötenfamilie betroffen sei, im Gegenteil: «Das erhöhte Verkehrsaufkommen kann gerade für Kleinpopulationen fatale Folgen haben, da bereits der Verlust eines einzelnen Individuums stark ins Gewicht fällt.» Die Gemeinde habe zudem nicht ausführlich geprüft, ob es Alternativen und Varianten gebe für das Strassenprojekt, die den Naturschutz weniger tangieren.
- Urteil des Bundesgerichts vom 24. November 2025: 1C_65/2025
- WWF: Artensteckbrief Geburtshelferkröte




