«Das Leben ist zu schön für Schmerzen». Dieser frühere Werbeslogan eines deutschen Schmerzmittelherstellers drückt aus, was viele denken: Von Schmerzen lässt man sich nicht aufhalten – wenn nötig, unterdrückt man sie. Oft sogar vorbeugend: So gaben etwa am Jungfrau-Marathon 1998 bereits über 30 Prozent der Teilnehmer an, vor dem Start zu einer Tablette gegriffen zu haben. Neuere Zahlen gibt es hierzulande nicht. Doch auch an einem Marathon in Bonn im Jahr 2010 sah die Situation nicht besser aus. Über die Hälfte der knapp 9000 Läuferinnen und Läufer – die meisten davon Amateure – nahm vorbeugend Schmerzmittel ein. Am beliebtesten war unter den Sportlern Diclofenac, gefolgt von Ibuprofen.

Auch bei den Profis ein ähnliches Bild: Laut einer Studie des Weltfussballverbands Fifa haben bei der WM 2010 39 Prozent der Spieler vor jeder Partie Schmerzmittel genommen. Gesund ist das nicht. Die bekannten Nebenwirkungen reichen von blutigem Durchfall und Übelkeit über Kreislaufprobleme bis hin zu akutem Nierenversagen. Wenn überhaupt, sollten Schmerzmittel erst nach der körperlichen Anstrengung eingenommen werden – und wer vor dem Lauf bereits unter Schmerzen leidet , müsste vernünftigerweise darauf verzichten.

In vielen Schmerzmitteln steckt der gleiche Wirkstoff.

Doch auch unter Nichtsportlern sind Schmerzmittel weit verbreitet. Jeder dritte Bauarbeiter greift regelmässig zur Tablette, wie eine Umfrage der Gewerkschaft Unia im Jahr 2008 zeigte. Und in der schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017 gaben 24 Prozent an, in den letzten sieben Tagen mindestens ein Mittel gegen Schmerzen eingenommen zu haben. Bei beiden Geschlechtern ist der Verbrauch seit der ersten Gesundheitsbefragung 1992 angestiegen.

Hierzulande gibt es etwa 60 verschiedene Schmerzmittel frei in jeder Apotheke zu kaufen. Allerdings täuscht das grosse Angebot darüber hinweg, dass in vielen Tabletten derselbe Wirkstoff steckt. Seit 2004 sind nur noch fünf Substanzen zum freien Verkauf zugelassen: Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen und Paracetamol (siehe Artikel am Ende zu den Wirkstoffen von rezeptfreien Schmerzmitteln).

Und was viele nicht wissen: Schmerzmittel ist nicht gleich Schmerzmittel. Man kann nicht bei allen Schmerzursachen das gleiche Medikament einsetzen. So hilft etwa Paracetamol nicht bei Entzündungen – hier wäre Ibuprofen die bessere Wahl, denn es wirkt vor allem bei entzündungsbedingten Schmerzen. Deshalb ist es ratsam, vor der Einnahme eines Schmerzmittels bei einem Arzt oder Apotheker erst zu klären, welches Präparat überhaupt geeignet ist, um die Schmerzen zu bekämpfen (siehe auch Infobox «Tipps für den Umgang mit Schmerzmitteln»).

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Paracetamol ist pures Gift für die Leber

Auch weil keine der fünf zugelassenen Substanzen harmlos ist. Ibuprofen und Diclofenac erhöhen laut einer Studie der Uni Bern das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, Acetylsalicylsäure hemmt die Verklumpung von Blutplättchen und damit die Blutgerinnung. Zudem können sie alle auf den Magen schlagen. Einzig Paracetamol gilt als magenverträglich, ist aber in höheren Dosen das reinste Gift für die Leber. Neuere Studien weisen darauf hin, dass Leberschäden bereits bei mässigem Konsum entstehen können. Der deutsche Pharmakologe Kay Brune würde Paracetamol deshalb am liebsten verbieten oder wenigstens unter Rezeptpflicht stellen.

In der Schweiz sieht man wegen der bereits eingeführten Mengenbeschränkung keinen Handlungsbedarf: Arzneimittel werden auch nach der Zulassung überwacht. Und wenn sich Signale ergeben, die Einschränkungen des Zulassungsspektrums oder weitergehende Massnahmen erfordern, werden diese umgesetzt, so das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic. Aktuell bestehe beim Wirkstoff Paracetamol dazu kein Anlass.

Vorsicht bei Grippemitteln

Das Toxikologische Informationszentrum (Toxinfo) in Zürich weist auf seiner Website vor allem im Zusammenhang mit Grippemitteln auf eine Gefahr hin: Vorsicht sei bei der gleichzeitigen Einnahme von Grippemedikamenten in Tablettenform und als Heissgetränk geboten. Denn viele Heissgetränke, wie etwa Neocitran oder Pretuval, enthalten bereits den Wirkstoff Paracetamol. Bei einer gleichzeitigen Einnahme einer Schmerztablette kann es zu einer gefährlichen Überdosierung kommen.

Allerdings hält das Toxinfo nicht viel von einer Rezeptpflicht, obwohl es fast täglich mit Anfragen zum Wirkstoff Paracetamol konfrontiert wird. Das Problem würde sich vermutlich verschieben, so das Informationszentrum, da sich viele ihr Medikament einfach im Internet bestellen würden. Es müsste ein verantwortungsvoller Umgang mit Schmerzmitteln auch ohne Rezeptpflicht möglich sein.

Schmerzmittel bekämpfen nur die Symptome

Das bedingt unter anderem, die empfohlene Tagesdosis nicht zu überschreiten, ohne ärztlichen Rat kein Schmerzmittel länger als drei Tage in Folge einzunehmen und bei weiter andauernden Schmerzen unbekannter Ursache einen Arzt aufzusuchen. Die Unterdrückung von Schmerzen mag im Moment richtig und sinnvoll sein, eine dauerhafte Lösung ist sie nicht, weil es sich um reine Symptombekämpfung handelt. Die Analgetika, wie die rezeptfreien Schmerzmedikamente im Fachjargon heissen, dämpfen zwar die Schmerzempfindung, beseitigen aber nicht die Ursache.

Der Gang zum Arzt lohnt sich oft allein deshalb, weil sich unspezifische und unheilbare Schmerzen wie zum Beispiel Migräne mit rezeptpflichtigen Medikamenten oft besser behandeln lassen als mit Paracetamol und Co. Und bei Spannungskopfschmerzen oder Menstruationsbeschwerden wirken Methoden der Komplementärmedizin Akupunktur Nadelstiche als Wundermittel oder grundsätzliche Veränderungen im Lebensstil meist nachhaltiger als pharmazeutische Produkte.

Ironischerweise können nämlich gerade die Helfer gegen Kopfweh und ähnliche Beschwerden neue Schmerzen auslösen.

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Tipps für den Umgang mit Schmerzmitteln

Obwohl rezeptfreie Schmerzmittel bei kurzer Einnahmedauer in der Regel gut verträglich sind, heisst «rezeptfrei» nicht «ungefährlich». Für einen sachgerechten Umgang gilt Folgendes:

  • Nehmen Sie nicht irgendein Schmerzmittel, sondern lassen Sie sich in der Apotheke oder beim Hausarzt beraten, welches Mittel in Ihrer Situation am besten geeignet ist.
  • Achten Sie weniger auf Produktnamen, sondern vor allem auf die darin enthaltenen Wirkstoffe.
  • Um Überdosierungen zu vermeiden, sollten Sie nach der Einnahme eines Grippemittels auf Schmerzmittel verzichten. Viele Grippemittel enthalten bereits entsprechende Wirkstoffe, und die empfohlene Tagesdosis ist schnell überschritten.
  • Unerwünschte Wechselwirkungen vermeiden Sie nur, wenn Sie die Apothekerin vor dem Kauf über sämtliche Medikamente informieren, die Sie einnehmen.
  • Verzichten Sie nach der Einnahme von Schmerzmitteln auf Alkohol. Das gilt insbesondere nach der Einnahme von Mitteln mit dem Wirkstoff Paracetamol.
  • Nehmen Sie Schmerzmittel nicht im Beisein von Kindern ein und bewahren Sie sie an einem für Kinder unzugänglichen Ort auf.
  • Die meisten rezeptfreien Schmerzmittel sind für Kinder und Schwangere ungeeignet. Lassen Sie sich von einer Ärztin oder in der Apotheke beraten.
  • Suchen Sie bei anhaltenden Schmerzen einen Arzt auf, um die eigentliche Ursache der Beschwerden herauszufinden. Bei chronischen Schmerzen hilft auch die Beratung in einer Schmerzsprechstunde.
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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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