Alt Bundesrat Christoph Blocher war sichtlich erfreut, als der Ständerat Mitte 2007 mit der Beratung der neuen Zivilprozessordnung (ZPO) begann. «Die vorliegende Schweizerische Zivilprozessordnung ist ein weiterer Meilenstein in der Justizreform», verkündete der Justizminister feierlich. Tatsächlich beseitigt die neue Regelung einen Wildwuchs: Heute wird überall in der Schweiz nach dem gleichen Muster prozessiert – dafür wurden 26 kantonale Prozessgesetze beziehungsweise beinahe 10'000 Gesetzesbestimmungen aufgehoben.

Ehe der damalige Bundesrat derart ins Schwärmen geraten konnte, dauerte es allerdings mehr als 200 Jahre, in denen die Kantone Widerstand gegen eine Vereinheitlichung des Prozessrechts leisteten. Ein Umdenken setzte erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts ein. Die Kantone gerieten unter ständigen Anpassungsdruck: Sobald der Bund das materielle Zivilrecht änderte und dabei auch Vorgaben für den Zivilprozess machte – etwa im Familien-, Miet- und Arbeitsrecht –, mussten sie ihre eigenen Prozessgesetze anpassen. Das wurde für die Kantone immer komplizierter.

Dies schuf den Boden, auf dem der Bund in der Folge das Paket «Justizreform» schnürte. Neben der Neugestaltung des Verfahrens vor Bundesgericht und der Vereinheitlichung des Strafprozessrechts war darin auch eine neue Zivilprozessordnung für die ganze Schweiz enthalten. Im März 2000 stimmten Volk und Stände mit überwältigendem Mehr der Vorlage zur Verfassungsänderung zu.

Vorschusspflicht des Klägers

Knapp elf Jahre später trat am 1. Januar 2011 die schweizweit gültige ZPO in Kraft. Bei der Schaffung der neuen Zivilprozessordnung wurde ein besonderes Augenmerk auf die Staatskosten gerichtet: Sie durften auf keinen Fall wegen des neuen Rechts steigen. Wegen der Kostenfrage überliess man es den Kantonen, neue Fachgerichte wie etwa Arbeits-, Miet- oder Handelsgerichte einzurichten. Die Mehrheit der Kantone hat darauf verzichtet.

Ebenfalls unter dem Aspekt der Kosten enthält das neue Verfahrensrecht eine allgemeine Vorschusspflicht des Klägers für die mutmasslichen Gerichtskosten. Mehr noch: Sein Vorschuss wird später mit den Gerichtskosten verrechnet, selbst wenn er den Prozess gewinnt. Der Kläger muss die Gerichtskosten selber beim unterlegenen Beklagten einfordern – eine Regelung, die manchen Kläger davon abhalten wird, sein Recht vor Gericht einzufordern.

Oder dramatischer formuliert: Nur noch die Reichen und die Armen werden einen Prozess wagen – die Reichen, weil sie das Geld dafür haben, die Armen, weil ihnen unentgeltliche Prozessführung bewilligt wird.

Schlichtung vor Klage

Ein zweiter Punkt bei der Ausarbeitung der Zivilprozessordnung betraf die Entlastung der Gerichte. Ermöglichen soll dies ein neuer Grundsatz: Bevor eine Klage beim Gericht eingereicht werden darf, muss in der Regel ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Das gilt bei einem Streitwert bis zu 100'000 Franken selbst dann, wenn die Parteien bereits selber versucht haben, eine Einigung zu erzielen, und daher auf einen weiteren, nutzlosen Schlichtungsversuch verzichten würden.

Der Bundesrat begründet diese Regel in seiner Botschaft auf reichlich antiquierte Weise: «Ein Gericht ist kein beliebiger Dienstleistungsbetrieb. (…) Das Gericht ist und bleibt eine Autorität. Es weist erst dann den Weg, wenn die Betroffenen nicht mehr imstande sind, allenfalls mit Hilfe Dritter selber einen Weg zu finden.»

Weiter soll zur Entlastung der Gerichte beitragen, dass die Richter ihre Urteile nicht mehr schriftlich begründen müssen. Nur wenn eine Partei ausdrücklich eine Begründung verlangt, muss das Gericht eine solche nachliefern.

«Einfach», «bürgernahe» und «laienfreundlich»

Neben den Kantonen, Anwälten und Gerichten hat der Gesetzgeber bei der Neufassung der ZPO aber auch an die juristischen Laien gedacht. Vor allem hiermit: Für Forderungsstreitigkeiten bis 30'000 Franken wird für sie ein vereinfachtes Verfahren zur Verfügung gestellt, das es ihnen ermöglichen soll, selber zu ihrem Recht zu kommen. «Einfach», «bürgernahe» und «laienfreundlich» – das sind die Schlagwörter, mit denen der Bundesrat in der Botschaft Werbung für das vereinfachte Verfahren machte. Inwieweit sich diese Ziele erreichen lassen, wird auf Dauer die Gerichtspraxis beweisen müssen.

Die Schweizerische Zivilprozessordnung baute auf den kantonalen Prozessgesetzen auf und übernahm neue Institute wie zum Beispiel die Mediation. Auf die Übernahme der Sammelklage nach US-Vorbild wurde indes verzichtet. Doch die Zeiten haben sich geändert; beispielsweise wären viele der Schweizer Geschädigten der konkursiten Bank Lehman froh, es gäbe das Instrument der Sammelklage. Aber was nicht ist, kann noch werden: Das neue Verfahrensrecht erlaubt den Kantonen, Pilotprojekte durchzuführen, um so zum Beispiel alternative Verfahrensformen wie eben die Sammelklage zu testen.

Neue Zivilprozessordnung: Das müssen Sie wissen
1. Zuerst schlichten, dann richten

Bevor Sie eine Klage beim Gericht einreichen dürfen, müssen Sie zur Schlichtungsbehörde. Es gilt das Prinzip «zuerst schlichten, dann richten». Davon abweichen dürfen Sie nur ausnahmsweise: etwa im Scheidungsverfahren oder in einem Forderungsprozess, bei dem die Streitsumme mindestens 100'000 Franken beträgt und beide Parteien auf das Schlichtungsverfahren verzichten.

Das Verfahren leiten Sie mit einem Gesuch ein. Danach findet eine Verhandlung statt. Einigen sich die Parteien nicht, erteilt der Schlichter die Klagebewilligung. Falls die Streitsumme nicht mehr als 5000 Franken beträgt, kann der Schlichter einen Urteilsvorschlag machen. Dieser gilt dann wie ein Urteil, wenn ihn die Parteien nicht innert 20 Tagen ablehnen. Bis zu einem Streitwert von 2000 Franken kann der Schlichter auf Verlangen des Klägers ein Urteil fällen.

2. Mediation

Als Alternative zum Schlichtungsverfahren sieht das neue Prozessrecht die Mediation vor. Diese ist aber nur möglich, wenn Sie und die Gegenseite damit einverstanden sind. Ein Antrag auf Mediation sollte bei der Schlichtungsbehörde gestellt werden, damit laufende Verjährungsfristen unterbrochen werden. Anschliessend wählen die Parteien einen Mediator.

Ist die Mediation erfolgreich, treffen die Parteien eine Vereinbarung, die sie von der Schlichtungsbehörde genehmigen lassen. Diese gilt dann wie ein Urteil.

Scheitert die Mediation, stellt die Schlichtungsbehörde die Klagebewilligung aus. Damit können Sie Klage beim Gericht einreichen.

3. Vereinfachtes Verfahren

Für den Fall, dass Sie sich mit der Gegenseite vor der Schlichtungsbehörde oder in einer Mediation nicht einigen konnten, stellt der Gesetzgeber Ihnen verschiedene Verfahrenstypen zur Verfügung, zum Beispiel das vereinfachte Verfahren. Dieses kommt bei Forderungsprozessen – Ausnahmen vorbehalten – zur Anwendung, wenn die Streitsumme nicht mehr als 30'000 Franken beträgt.

Das Verfahren beginnt mit der Klage, die Sie nicht begründen müssen. Darauf findet eine mündliche Verhandlung statt, wo der Richter eine verstärkte Fragepflicht hat. Fehlen Angaben zum Sachverhalt, muss der Richter nachfragen. Ebenso muss er die Parteien anhalten, die Beweismittel zu nennen. Falls Sie sich mit dem Beklagten doch noch einigen, kann das Verfahren mit einem Vergleich enden. Andernfalls fällt das Gericht ein Urteil.

4. Vorsorgliche Beweisführung

Geradezu revolutionär ist die Möglichkeit, bereits vor Einleitung eines Verfahrens die Prozesschancen abklären zu lassen. Haben Sie zum Beispiel ein Haus bauen lassen und stellen später Risse in der Fassade fest, können Sie mit der sogenannten vorsorglichen Beweisführung beim Gericht beantragen, dass ein Experte die von Ihnen festgestellten Mängel abklärt. Das so erstellte Gutachten gilt als Beweismittel in einem späteren Prozess.

Nach der Begutachtung durch den Experten wissen Sie, ob das Gebäude tatsächlich mangelhaft ist. Das hilft Ihnen zu entscheiden, ob Sie gegen den Verkäufer prozessieren wollen, sollte dieser nicht bereit sein, die Reparaturkosten zu übernehmen.

5. Mit oder ohne Anwalt

Die Schweizerische Zivilprozessordnung sieht keinen Anwaltszwang vor. Sie haben die Wahl, den Prozess selber zu führen oder sich vertreten zu lassen. Auch bei der Vertretung sind Sie frei: Sie können eine beliebige Vertrauensperson beiziehen, solange sie Sie nur aus Gefälligkeit vertritt, oder sich durch einen zugelassenen Anwalt GetYourLawyer Finden Sie einen Anwalt in Ihrer Region vertreten lassen.

6. Prozesskosten

Sobald Sie ein Verfahren einleiten, fallen Prozesskosten an. Falls Sie den Prozess verlieren, müssen Sie die Gerichtskosten übernehmen und der Gegenseite eine Entschädigung bezahlen. Davon macht das Gesetz nur wenige Ausnahmen: etwa für das Schlichtungsverfahren, in dem keine Parteientschädigungen zugesprochen werden; bei Arbeitsstreitigkeiten bis 30'000 Franken entfallen auch die Gerichtskosten.

Das Gericht kann von Ihnen als Kläger einen Vorschuss für die Gerichtskosten verlangen. Selbst wenn Sie den Prozess gewinnen, wird Ihnen der Vorschuss nicht zurückerstattet. Sie müssen ihn zusammen mit der Parteientschädigung bei der unterlegenen Gegenpartei einfordern. Die Höhe der Prozesskosten bestimmt jeder Kanton selber.

7. Berufung und Beschwerde

Verlieren Sie einen Prozess, können Sie sich mit einem Rechtsmittel dagegen wehren. Die Schweizerische Prozessordnung kennt grundsätzlich nur zwei Rechtsmittel: die Berufung und die Beschwerde. Beträgt die Streitsumme bei einem Forderungsprozess mehr als 10'000 Franken, kann Berufung erhoben werden, unter dieser Summe eine Beschwerde.

Mit der Berufung kann sowohl gerügt werden, der Sachverhalt sei falsch festgestellt, als auch, das Recht sei falsch angewendet worden.

Anders gesagt: Alles kann bemängelt werden. Bei der Beschwerde hingegen ist die Rüge der Sachverhaltsfeststellung eingeschränkt, nämlich nur dann zulässig, wenn Letztere offensichtlich unrichtig war.

8. Eingaben per E-Mail

Es sind auch Eingaben per E-Mail möglich. Bei der Übermittlung muss das Dokument, welches die Eingabe und die Beilagen enthält, mit einer anerkannten elektronischen Unterschrift versehen sein. Das Gericht kann jedoch verlangen, dass Sie alles auf Papier nachreichen.