Der grösste Feind des Anwalts ist der eigene Klient, hört man oft von Advokaten. Das klingt böse, ist aber nicht so gemeint. Es entspricht vielmehr der Erfahrung vieler Prozessanwälte, dass sich die Informationen ihrer Mandanten im Laufe eines Gerichtsverfahrens als unvollständig oder sogar falsch erweisen. Schwierig macht die Beziehung auch, dass die Klienten oft unrealistische Erwartungen haben – sei es bezüglich der Prozesschancen oder weil sie den anwaltlichen Aufwand und die entsprechenden Kosten unterschätzt haben.

Sicher ist, dass man längst nicht für jede Streitigkeit gleich einen Anwalt beiziehen muss. Nur: Wie soll ein Laie wissen, in welchen Fällen er unbedingt auf rechtliche Vertretung angewiesen ist und wann er selber die Sache in die Hand nehmen kann?

Grundsätzlich ist es ratsam, sich die Frage nach einer Vertretung frühzeitig zu stellen: Wenn der Anwalt zu spät beigezogen wird, dann leidet die Klientel darunter, weil der Aufwand grösser wird. Ein rechtzeitig hinzugezogener Anwalt kommt in aller Regel billiger zum Ziel.

Konkrete Kriterien aufzustellen, in welchen Fällen auf eine anwaltliche Vertretung verzichtet werden kann und wann nicht, ist schwierig. Je nach Rechtsgebiet kann man aber doch einige grundsätzliche Empfehlungen abgeben:

Arbeitskonflikte

Bei einfacheren Forderungen, etwa bei ausstehenden Löhnen oder Bezahlung von nachweisbar geleisteten Überstunden, ist in der Regel kein Anwalt notwendig. Denn in arbeitsrechtlichen Verfahren muss das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen feststellen. Sinnvoll ist ein Anwalt jedoch, wenn es um komplexere Streitigkeiten geht, etwa bei fristlosen oder missbräuchlichen Kündigungen, wenn Ihnen die Verletzung eines Konkurrenzverbots vorgeworfen wird oder in Fällen von Mobbing.

Trennung und Scheidung

Bei Einigkeit zwischen den Parteien, nicht allzu komplizierten finanziellen Verhältnissen und ohne Streit um die Kinder brauchen Sie keine anwaltliche Vertretung. Wenn hingegen ein Geschäftsbetrieb, eine Liegenschaft oder anderes eigenes Vermögen vorliegt, ist ein Anwalt meist hilfreich. Sind sich die Parteien zwar (noch) uneinig, aber gesprächsbereit, so können sie sich gemeinsam an eine Anwältin wenden, um eine Trennungs- oder Scheidungsvereinbarung zu erreichen. Scheitern die Verhandlungen, so kann diese Anwältin allerdings keine der Parteien vertreten.

Erbschaftsstreit

Bei einfachen Vermögensverhältnissen und bei Einigkeit aller Erben ist kein Anwalt notwendig. Liegen jedoch komplizierte Vermögensverhältnisse vor, lohnt sich eine anwaltliche Beratung. Sind sich die Erben über die Teilung einer Erbschaft nicht einig, kommt es meist zu einer gerichtlichen Klage, für welche der Beizug eines Rechtsanwalts unerlässlich ist.

Mietrecht

Bei mietrechtlichen Streitigkeiten ist eine Vertretung in einfacheren Fällen nicht nötig – jedenfalls nicht vor der Schlichtungsbehörde oder dem Mietamt. Geht die Sache weiter vor Mietgericht, drängt sich eine professionelle Vertretung auf, sofern es sich nicht um einen sehr einfachen Fall handelt.

Strafrecht

Um Strafanzeige einzureichen respektive – bei Antragsdelikten – Strafantrag zu stellen, muss kein Anwalt beigezogen werden. Das kann jeder Laie selber bei der Polizei oder der untersuchungsrichterlichen Behörde tun. Wer selber angeschuldigt ist, der braucht – wenn es nicht gerade um ein Kapitalverbrechen geht – zumindest zu Beginn der Untersuchung keine anwaltliche Verteidigung. Je nach der weiteren Entwicklung des Verfahrens ist die Situation aber neu zu beurteilen.

Sozialversicherungen

Hier braucht es in einfacheren Angelegenheiten keinen Anwalt. Im Sozialversicherungsrecht geht es aber oft um existenzielle und komplexe Fragen, und die Betroffenen sind aufgrund ihrer schwierigen gesundheitlichen Situation vielfach nicht in der Lage, ihre Rechte selber richtig zu vertreten. Deshalb ist in vielen Fällen dennoch der Beizug einer Anwältin zu empfehlen. So sind beispielsweise die Schadensberechnungen im Haftpflichtrecht überaus kompliziert. Vielfach sind in einen Fall auch mehrere Versicherungen involviert.

Steuerrekurse

Für die Einsprache gegen einen Steuerentscheid bei der verfügenden Behörde ist ein Anwalt meist noch nicht nötig. Muss ein Steuerrekurs gegen den Einspracheentscheid erhoben werden, so empfiehlt sich in den meisten Fällen hingegen eine anwaltliche Vertretung.

Konsumforderungen und Betreibungen

Müssen Sie eine Betreibung einleiten oder haben Sie einen Zahlungsbefehl erhalten, brauchen Sie keine Rechtsvertretung. Auch nicht, wenn Ihnen ein Inkassobüro hohe Kosten verrechnen will. Geht es später vor Gericht, kann sich die Situation ändern.

Allerdings: Handelt es sich um einen geringen Streitwert von wenigen tausend Franken, so lohnt sich eine anwaltliche Vertretung kaum. Im Konsumbereich existieren diverse Branchenombudsstellen, die gratis oder zumindest erheblich günstiger sind als ein Zivilprozess und meist auch zu einer schnelleren Lösung führen. Einige dieser Stellen behandeln Beschwerden auch nur dann, wenn nicht bereits ein Anwalt eingeschaltet wurde.

Eine Regel, die in allen Fällen gilt:

Hat die Gegenpartei einen Anwalt beigezogen, so drängt sich eine eigene Vertretung auf, damit beide mit gleichen Waffen kämpfen. Auch wenn Sie ein Rechtsmittel gegen einen Entscheid ergreifen müssen, ist das ohne anwaltliche Vertretung im Normalfall nicht empfehlenswert.

Es sollte zudem nicht vom Streitwert abhängig sein, ob man einen Anwalt beizieht oder nicht. Es gehört zur Aufgabe des Anwalts, dem Klienten den besten Weg aufzuzeigen – bei einem geringen Streitwert kann das bedeuten, von einem Gerichtsverfahren abzuraten.

Dennoch ist der sofortige Beizug einer Rechtsvertretung nicht in jedem Fall angezeigt: Besonders wenn die menschliche Komponente eine wichtige Rolle spielt, zum Beispiel im Nachbarrecht oder bei einem Todesfall in der Familie, sollten die Parteien zunächst selber versuchen, eine Lösung zu finden.

Und in vielen Fällen machen auch die Friedensrichter einen guten Job: Wenn es vor den Friedensrichter geht und dort noch eine Chance auf Beilegung des Streits besteht, kann auf eine anwaltliche Vertretung vorläufig verzichtet werden.

Ausserdem gibt es bei allen oben erwähnten Streitigkeiten einfachere und kompliziertere Konstellationen. Ebenso unterschiedliche persönliche Wissensstände und Fähigkeiten: Fühlen Sie sich unsicher, konsultieren Sie sicherheitshalber eine Anwältin – oder zunächst eine Rechtsberatungsstelle wie das Beobachter-Beratungszentrum GetYourLawyer Finden Sie einen Anwalt in Ihrer Region . Dieses hilft Ihnen auch abzuklären, ob in Ihrer Situation ein Anwalt empfehlenswert ist. Haben Sie aber auch keine Hemmungen, sich von einer Anwältin zunächst nur beraten zu lassen und von einer eigentlichen Mandatierung vorläufig noch abzusehen – das wird Ihnen niemand übelnehmen.