Ein 58-Jähriger hustet bei einer Polizeikontrolle in Winterthur absichtlich Beamte an. Ein psychisch auffälliger Mann spuckt in BürglenTG einem Polizisten ins Gesicht Gewalt und Drohungen Hilferuf aus dem Polizei-Korps . Ein Aargauer Kardiologe verbreitet über Wochen Verschwörungstheorien via Social Media: Das Virus sei ein schlechter Scherz und ein globaler Putschversuch, die schweren Krankheitsverläufe hingen mit der Mobilfunktechnologie 5G zusammen. Er wird in psychiatrische Behandlung gebracht.

Immer wieder tauchen jetzt solche Meldungen auf. Von Leuten, die in der Corona-Krise die Kontrolle verlieren und sich irrational verhalten.

Der Kontrollverlust stresst

Wieso ticken einige im Moment aus? Genau das untersucht die kanadische Psychologieprofessorin Anita DeLongis. Seit Beginn der Krise befragt sie online Menschen, wie sie auf die Pandemie reagieren. «Die ersten Resultate zeigen, dass sich einige gestresster fühlen und vermehrt unter Angstzuständen, Depressionen und Einsamkeit leiden», sagt die 62-Jährige. Die Menschen wollen das Gefühl haben, sie hätten die Kontrolle über ihr Leben. «Dieses Gefühl wird ihnen nun genommen, sie werden aus ihrem gewohnten Alltag rausgerissen.»

Besonders Menschen mit psychischen Vorerkrankungen oder einer Suchterkrankung hätten Mühe, sich mit der Situation zurechtzufinden. «Sie können wegen des Coronavirus nicht wie gewohnt durch Fachpersonen begleitet Psychotherapie Wer kann mir durch die Krise helfen? werden. Das verschärft das Problem natürlich noch.»

Für ältere Menschen sei die Situation teilweise sehr schwierig. Distanz halten Covid-19 Wie schütze ich mich vor dem Coronavirus? zu müssen, sei für sie eine einschneidende Massnahme. «Denn viele tun sich mit dem Internet schwerer als Junge. Sie können nicht den Kontakt über das Smartphone oder die sozialen Medien kompensieren», sagt DeLongis. Ihnen müsse man helfen.

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Routinen helfen durch die Coronakrise

Bislang beobachtet die Psychologin jedoch noch keine grosse Zunahme von psychischen Erkrankungen. «Die meisten sind sehr anpassungsfähig und gehen gut mit der Krise um.» Doch auch sie haben mit dem Kontrollverlust zu kämpfen. Gut sei deshalb, wenn man unter den veränderten Bedingungen Routinen entwickle Antriebslosigkeit «Ich fühle mich so ausgelaugt» , zum Beispiel immer zu einer bestimmten Uhrzeit mal aus der Wohnung rauszugehen.

Erschwerend für den Umgang mit der Krise ist laut Anita DeLongis, dass noch immer nicht absehbar ist, wann wir unser gewohntes Leben wieder im vollen Umfang werden aufnehmen können. «Diese Unsicherheit macht es noch viel schwieriger, mit der Situation umzugehen. Wenn wir ein Enddatum hätten, wären wir viel besser fähig, unser Leben zu organisieren und uns selbst zu motivieren.»

«Die pausenlose Newsflut ist überwältigend und tut uns nicht gut.»

Anita DeLongis, Psychologie-Professorin, University of British Columbia, Kanada

Es sei für die meisten Menschen nicht gut, sich pausenlos in den Medien über die neusten Entwicklungen zu informieren. «Das ist kein guter Kompass in einer Krise. Natürlich ist es wichtig, gut informiert zu sein – aber nicht 24 Stunden am Tag. Diese permanente Newsflut ist überwältigend Coronavirus-News «Die Nachrichten machen uns Angst» », so DeLongis.

Es reiche völlig aus, einmal täglich fokussiert und während einer definierten Zeit Nachrichten zu konsumieren. «Man darf nicht vergessen, dass nicht alle in einem Haushalt gleich auf solche Nachrichten reagieren. Und das eigene Newsverhalten strahlt immer auch auf die anderen aus, etwa weil es zum dominierenden Gesprächsthema wird.»

Behörden müssen das richtige Mass finden

Wie man die Pandemie Pandemie Die Gefahr, die nicht interessierte wahrnehme, habe zu einem grossen Teil auch mit der Kommunikation der Behörden zu tun. Man habe dazu festgestellt, dass vor allem Botschaften gut funktionieren, die an die Empathie appellieren. «Wenn eine Behörde schreibt, man solle sich die Hände waschen, um sich vor dem Virus zu schützen, dann funktioniert das nicht besonders gut. Falls sie hingegen auffordert, die Hände zu waschen, um andere zu schützen, wird die Empfehlung viel eher befolgt.» 

Wer mehr Einfühlungsvermögen für andere entwickeln könne, verhalte sich generell angemessener und komme besser durch die Krise. «Solche Menschen verfallen weniger in Mikroaggressionen wie Schuldzuweisungen und Hamsterkäufe», so DeLongis.

Die Behörden müssten das richtige Mass finden bei der Beschreibung des Bedrohungspotenzials Risiken Angst folgt keiner Logik . «Sie müssen einerseits einen gewissen Druck aufsetzen, damit sich die Bevölkerung an die Anweisungen hält. Andererseits dürfen sie die Bedrohung nicht als zu hoch darstellen, weil viele sonst mit Aggression reagieren.»

Postangestellte entwickelten Anthrax-Symptome

Das sei eine heikle Gratwanderung, bestätigt der Zürcher Psychotherapeut Gary Bruno Schmid. «Wenn Behörden und Medien Angst schüren Panikmache Wie Angst uns steuert vor einer neuen, gefährlichen Krankheit, kann das dazu führen, dass Einzelne oder sogar ganze Gruppen Symptome entwickeln, ohne objektiv von der Krankheit betroffen zu sein.»

Schmid verweist auf die Ereignisse vor acht Jahren im Postzentrum Zürich-Mülligen. Wegen eines verdächtigen weissen Pulvers in zwei Couverts wurde ein Grossalarm ausgelöst. Sämtliche Mitarbeitenden wurden evakuiert, Sanität und Polizei fuhren mit rund 40 Blaulicht-Fahrzeugen vor, ein grosses Zelt für die Erstversorgung wurde aufgebaut.

Die Einsatzkräfte trugen spezielle Chemieschutzanzüge. Die meisten Postangestellten klagten über Reiz im Hals und Unwohlsein. Viele mussten erbrechen – die typischen Erstsymptome einer Anthrax-Vergiftung. Bei rund drei Dutzend waren die Symptome so gravierend, dass sie zur besseren Versorgung in Spitäler gebracht wurden. Gegen Mitternacht kam die Entwarnung. Das weisse Pulver war nicht Anthrax, sondern Maizena.

Schreckensnachrichten schwächen Selbstheilungskräfte

«Mülligen war ein klassischer Fall von psychogener Massenhysterie», sagt Schmid. Dazu komme es, weil unser Körper sich selber heilen kann. Nur wirken diese Kräfte während einer Massenhysterie in die falsche Richtung und machten krank, statt zu heilen. Der Effekt heisst Nocebo Nocebo Wir denken uns krank (lateinisch: «Ich werde schaden») und ist wissenschaftlich unbestritten. Er wurde vielfach belegt.

Der Nocebo-Effekt konnte etwa bei Frauen nachgewiesen werden, die der Überzeugung sind, sie würden später einen Herzinfarkt haben. Sie erlitten tatsächlich viermal häufiger einen, obwohl sie objektiv gesehen kein erhöhtes körperliches Risiko aufwiesen.

Die konstante Mischung aus Angst- und Schreckensnachrichten kann dazu führen, dass die Selbstheilungskräfte geschwächt werden und Nocebo-Effekte verstärkt auftreten. Behörden sind da im Dilemma: Die Aufklärungspflicht der Politik und der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, über alles informiert zu werden, stehen im Widerstreit zum Risiko, eine psychogene Krankheit als Massenphänomen auszulösen.

Jeder kann Selbstheilungskräfte stärken

Gary Bruno Schmid empfiehlt, bei der Kommunikation stets positiv zu formulieren. «Wenn ein Medikament bei 3 Prozent der Patienten Bauchweh verursacht, sollte im Aufklärungsgespräch gesagt werden, dass 97 Prozent das Medikament problemlos vertragen.»

Aber auch jeder Einzelne könne etwas tun und seine Selbstheilungskräfte stärken. Dazu gehört gemäss Schmid die gezielte Reduktion von Stress durch Entspannung Geniessen lernen Mit Genuss gegen die Widrigkeiten des Alltags . «Stellen Sie sich mit allen Sinnen vor, dass Sie sich an Ihrem Wohlfühlort befinden. Gönnen Sie sich in Gedanken eine gute Gesundheit und stellen Sie sich die Krankheit als überwindbar vor.»

Wer bereits erkrankt sei, solle gegenüber den eigenen Selbstheilungskräften eine wohlwollende und vertrauensvolle Haltung einnehmen– aber auch gegenüber der traditionellen Schulmedizin und den behandelnden Ärzten. All diese Faktoren seien wichtige Bestandteile der medizinischen Hypnose und hätten ihre Wirksamkeit in vielen Studien bewiesen.

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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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